In der Schuldenfalle, Teil 10 Bonns Sportvereine im Abseits

BONN · Der klassische Vereinsmeier denkt noch nicht mal bis zum Kirchturm, sondern maximal bis zu seinem Vereinsheim und maximal zu dem des Konkurrenten - und ist "unpolitisch". Vorurteile gibt es viele. Wer die Initiative Pro Sportstadt Bonn (PSB) besucht, wird jedoch mit Begriffen wie "Legitimationsdefizit", "Integration" oder "Landesverfassung" begrüßt.

Die PSB, anfangs eine lose Zusammenkunft kritischer Geister, ist überzeugt, dass in Bonn "etwas gründlich schief läuft" - etwa bei der Verteilung öffentlicher Gelder. Binnen weniger Wochen waren fast 85.000 Bürger unter dem PSB-Dach versammelt, die nicht nur Sport treiben, sondern auch Konzerte oder Museen besuchen.

Stadtsportbund (SSB), Sportausschuss, die sportpolitischen Sprecher der im Rat vertretenen Parteien. Das alles gab es schon vor der PSB, wie auch einen Kultur- und Sportdezernenten in Personalunion und einen SSB-Vorsitzenden, der zugleich Vorsitzender des städtischen Kulturausschusses ist. In dieser Konstellation geriet der Sport im NRW-Vergleich kommunaler Förderung schleichend in den Tabellenkeller.

Auf dem PSB-Briefkopf liest man: "Wir stehen für soziales Lernen, Leistung, Ehrenamt, Gesundheitsprävention, Integration." Nichts mit Leuchtturm-Charakter, nur Unspektakuläres. Aber das erachten auch Politiker als wichtig für eine Gesellschaft, zumindest dann, wenn sie am Tag des Ehrenamts bei Saft und Salzstangen eine Rede halten.

Als Bonns neuer Kultur- und Sportdezernent Martin Schumacher sich mit dem Satz "Sport ist Privatsache" verlief, erinnerte die PSB sogleich an die NRW-Landesverfassung. Dort stünden Kultur und Sport "wort- und ranggleich" nebeneinander. Doch in Bonn driftete das Verhältnis auch deshalb immer weiter auseinander, weil die Sportler tatsächlich jahrelang "unpolitisch" agierten.

Die PSB will weg vom Wildwuchs bilateraler Sonderbeziehungen zwischen Clubs und Sportamt, weg von Beliebig- und Zufälligkeit und strebt ein transparentes Gesamtkonzept an, "mindestens aber eine Dekadenstrategie", sagt Michael Scharf, Leiter des Olympia-Stützpunkts Rheinland und 16 Jahre lang Vorsitzender der SSF Bonn, des mit 8 500 Mitgliedern größten Bonner Sportvereins.

Da es aktuell kein Gesamtkonzept gebe, stelle sich die Frage der demokratischen Legitimation: "Auf welcher Grundlage geschieht was in dieser Stadt, die gerade ihre Zukunft verfrühstückt?" Bei allen Zwängen habe man trotzdem "die Aufgabe, für Kinder und Jugendliche in dieser Stadt eine Zukunft zu gestalten". Doch zuletzt (2011) kürzte die Stadt beim Sport wild drauflos - und überschritt dabei eine wichtige Grenze: die, so die PSB, der Respektlosigkeit (s. Text unten).

Scharf sagt: "Wir sind davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Bonner Bürger nicht weiß, dass die Sport-Jahresförderung 2011 für fast 30.000 Kinder und Jugendliche so zusammengespart wurde, dass sie einer städtischen Tagesförderung für Oper, Kunstmuseum und Beethoven-Orchester entspricht." Er sehe darin ein Stück Aufklärung.

Als erstes gründete die PSB Arbeitskreise. Dabei ging es nicht nur ums Geld, denn man hat viele Probleme. Sie reichen von Offenen Ganztagsschulen, die die Kinder zu immer späterer Tageszeit in die Clubs entlassen, über zu wenige Nutzungszeiten in Bädern bis zu heruntergekommenen Sportstätten, für die die Stadt sogar Nutzungsgebühren erheben wollte.

Professor Lutz Thieme (Rhein-Ahr-Campus), Scharfs Nachfolger bei den SSF und Leiter des PSB-Arbeitskreises "Sportkonzept", sagt: "Die zum Teil bedenklichen Zustände in den Anlagen, die meistens auch Schulsportstätten sind, sind einer ehemaligen Bundeshauptstadt nicht würdig." Die "Thieme-Gruppe" hat neue Sportförderrichtlinien ausgearbeitet, die von der Stadt jedoch noch nicht anerkannt worden sind. Auch strebe die PSB "Planungssicherheit für die Vereine" an - Verträge. Die schützen im Nothaushalt-Fall vor dem Rotstift. Die sogenannte Hochkultur ist geschützt, der Sport nicht.

Die PSB hat manche Ungereimtheit entdeckt. Da wären die NRW-Pauschalen: Die für die Kultur floss in die Kultur, die für den Sport verschwand im Haushaltsloch. "Im Sportetat wurde alles berücksichtigt, was sich irgendwie dem Sport zurechnen lässt, dabei werden Sporthallen auch von Schulen genutzt", so PSB-Experte Achim Dehnen.

Als Anfang November rund 5.000 Sportler bei Dauerregen protestierten, traf Christoph Niessen vom Landessportbund den Nerv: "Wenn immer mehr Menschen unter Bewegungsmangel-Krankheiten leiden, dann sind Ihre Sportvereine als kostengünstige Bewegungsanbieter willkommen. Wenn immer deutlicher wird, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, dann sind Ihre Sportvereine als Integrationsmotoren willkommen." Aber wenn die Clubs auf marode Sportstätten hinwiesen, auf um die Hälfte gekürzte Übungsleiterzuschüsse durch das Land oder ständig sinkende kommunale Zuschüsse, "dann sind sie nicht mehr willkommen".

Niessens erste drei Worte: "Bonn ist überall." Das erklärt, warum die Demo ein bundesweites Echo erhielt. Selbst das ZDF berichtete, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb: "In Bonn haben Sportvereine erstmals in diesem Land massiv gegen die Ausgabenpolitik zugunsten der Kultur demonstriert." PSB-Demo-Chef Rainer Wolff, Leiter des Beueler Judo-Clubs, sagte: "Es waren auch viele Ältere, die keinem Verein angehören, da - die um die Schwimmbäder bangen.

Wenn Sie sich nur noch mit dem Rollator bewegen können, dann ist Schwimmen der einzige Sport, bei dem Ihnen nichts weh tut." Auch deshalb verfolgt die PSB die Bäderdiskussion. Wenn die Verwaltung meine, drei Bäder schließen zu müssen, "ohne sich die Mühe zu machen, das für 60.000 Euro erstellte Bädergutachten zu berücksichtigen, dann", so Scharf, "ist es folgerichtig, dass auch Prestigeobjekte wie Oper oder Kunstmuseum auf den Prüfstand müssen".

Minimaler Konsens in Bonn: Die Mittel sind begrenzt. "Aber der Sport hat darauf schon vor Jahren reagiert", sagt Hochschullehrer Thieme. "Eine Leistungssportförderung in jeder Sportart in jeder Stadt ist Vergangenheit, eine Zusammenarbeit über die kommunale Grenzen hinweg seit langem gelebte Realität. Alles andere wäre auch schlichte Kirchtumspolitik." Die Bonner Politik, aufgeschreckt von Fakten und Demo, marschiert jedoch in Sachen Sport uneinheitlich. Einig war man sich nur darin: neue Intendantenverträge für Theater und Kunstmuseum. Dort kann man sich zurück lehnen. Treibt Bonn in den Nothaushalt, steht der Sport aber wieder mit leeren Händen da.

Bonn ist überall und die PSB bundesweit Vorreiter. Nun gibt es bereits eine PSD - Pro Sportstadt Darmstadt. Auch in Mannheim sitzt man in den Startlöchern - unter dem Kürzel PSM.

Nächste Folge am Montag: These: Die Stadt darf nicht an der Kultur sparen. Ein Pro und Contra.

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