Corona-Studie im Kreis Heinsberg Bonner Virologe Hendrik Streeck: Zu früh für klare Ergebnisse

Bonn · Der Bonner Virologe Hendrik Streeck hat bei einer Videokonferenz über die Corona-Studie in Gangelt informiert. Er arbeitet mit einem Team von mehr als 60 Personen an einer Prävalenzstudie zur Ausbreitung des Coronavirus in Heinsberg.

 Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik Bonn.

Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik Bonn.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Professor Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn mit derzeitigem Hauptquartier in einem leeren Schulgebäude der Gemeinde Gangelt, übt sich dieser Tage in der nicht immer ganz freiwilligen Kunst der Gratwanderung. Auf der einen Seite steht eine durch das Virus Sars-CoV-2 und die Atemwegserkrankung Covid-19 sowie durch kurzfristig erlassene und umfassende Vorsichtsmaßregeln verunsicherte Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite kann und will der Virologe keine simplen Antworten auf komplexe Fragen geben.

In seiner Arbeit empfinde er derzeit durchaus einen persönlichen Druck. Die Politik wolle schnelle Entscheidungen treffen. „Wir versuchen eben schnell zu arbeiten, aber gleichzeitig die größte wissenschaftliche Sorgfalt zu haben. Und das empfinde ich schon als Druck“, sagte er am Dienstag. Hinzu komme, dass seine Worte mitunter anders interpretiert würden, als sie gemeint seien. „Es wird einem manchmal dann auch zu viel, weil man denkt: Das habe ich so nicht gesagt.“ Streeck gehört seit Ausbruch des Coronavirus zu den meistzitierten Experten.

Doch Schwarz und Weiß sind Streecks Farben nicht – vielmehr „Stufen von Grau“, wie es der 42-Jährige bei einer von der Uniklinik organisierten Videokonferenz den 52 zugeschalteten Journalisten aus ganz Deutschland sowie aus den Niederlanden, aus Luxemburg und aus Polen erklärt hat.

Tatsache ist, dass Streeck seit einer Woche im Auftrag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet und mit einem sich stetig vergrößernden Team von derzeit etwas mehr als 60 Personen an einer Prävalenzstudie zur Ausbreitung des Coronavirus im Kreis Heinsberg arbeitet, deren repräsentative Ergebnisse weit darüber hinaus reichen werden. Tatsache ist aber auch, dass es zum gegenwärtigen Stand für eben diese Ergebnisse zu früh sei, wie Streeck eingangs betonte.

Was sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausführen lässt, sind Details zur Untersuchungsmethode an sich. Das Material beispielsweise liefern Rachenabstriche sowie Tests auf bestimmte Antikörper.

Dabei sei auch eine Langzeitbeobachtung sinnvoll, fügte Streeck hinzu. Er will seine Forschung in der Region auch auf die Zeit von möglichen Lockerungen im öffentlichen Leben ausweiten. „Wir werden wahrscheinlich auch im Nachgang versuchen, dass wir zum Beispiel alle paar Wochen in Gangelt wieder testen dürfen“, sagte der Virologe. „Das empfinde ich selber als sehr wichtige Information, wie es sich entwickelt.“

1000 von insgesamt 12.529 Einwohnern der Gemeinde waren vorab von Amts wegen ausgewählt worden. Zusätzlich zu Rachenabstrich und Blutprobe geben sie einen Fragebogen zu Vorerkrankungen, Reise- und Nahrungsgewohnheiten ab. Zudem wird die Studie in 300 ausgewählten Haushalten fortgesetzt. Wer aber am 15. Februar denn nun tatsächlich Patient Null auf der Kappensitzung in Gangelt-Langbroich gewesen ist, wird auf Dauer hinter die viel interessantere Antwort auf die Frage treten, wie sich Infektionsketten generell fortsetzen und was eine Dunkelziffer über das jeweils von einem Erreger ausgehende Risiko besagt.

Womit Streeck noch eine Weile im Dilemma zwischen wissenschaftlicher Exaktheit und dem immer dringenderem Wunsch nach belastbaren Ergebnissen stecken dürfte. Zum Beispiel, wenn die Aussage, dass Sars-CoV-2 zwar auf Oberflächen und Gegenständen im Umfeld Infizierter und erkrankter Menschen nachweisbar, aber nicht mehr lebensfähig sei, manche zu dem missverständlichen Schluss verleitet, der Virologe halte Maßnahmen wie Schulschließungen für übertrieben.

 Videokonferenz mit dem Bonner Professor Hendrik Streeck: Der Virologe erklärte vor Journalisten sein Vorgehen bei der Heinsberg-Studie.

Videokonferenz mit dem Bonner Professor Hendrik Streeck: Der Virologe erklärte vor Journalisten sein Vorgehen bei der Heinsberg-Studie.

Foto: Screenshot: GA/GA

Das Virus anzuzüchten wird, so blickte er voraus, einer der nächsten Schritte sein. Ob und wann hingegen bestehende Regeln gelockert werden, sei ein politisches Thema. „Wir Virologen liefern dazu die nötigen Ergebnisse.“

Übrigens möchte Streeck im kommenden Jahr gerne Karneval in Gangelt feiern. „Es ist eine unheimlich nette Bevölkerung, und ich freue mich auf den Karneval im nächsten Jahr - hoff ich“, sagte der 42-Jährige. Bei seiner Coronavirus-Studie im Kreis Heinsberg stoße er auf sehr viel Entgegenkommen der Bevölkerung. „Uns wird Kuchen gebacken (...), es ist ein sehr, sehr netter Umgang dort vor Ort.“

(dpa)
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