Gläubige halten Sicherheitsabstand Bonner Kirchengemeinde feiert ersten Gottesdienst seit sieben Wochen

Bonn · Viele Gläubige hatten in den vergangenen Wochen zu Hause den Gottesdienst gefeiert. Nun durften sie wieder in die Kirchen - und sangen hinter Masken.

 Feiern wieder Gottesdienste mit der Gemeinde: Stadtdechant Wolfgang Picken und Messdiener in der Remigiuskirche. 

Feiern wieder Gottesdienste mit der Gemeinde: Stadtdechant Wolfgang Picken und Messdiener in der Remigiuskirche. 

Foto: Meike Böschemeyer

Eine Kerze in der Lutherkirche brennt für Frau Sommer. Frau Sommer ist 89 Jahre alt. Sie wohnt im Altenheim auf dem Venusberg. Bestimmt wäre sie gerne zum Gottesdienst gekommen. Aber sie kann nicht mehr und fühle sich ziemlich allein, glaubt Pfarrer Joachim Gerhardt, der am Sonntagmorgen zusammen mit Ulrike Veermann den ersten evangelischen Gottesdienst in Bonn seit sieben Wochen leitet. Frau Sommer hat noch eine Tochter in Hamburg. Aber die durfte sie nicht besuchen. Und auch sonst niemand.

Der Wunsch nach Gemeinschaft ist allen gemeinsam, die sich in der Lutherkirche eingefunden haben. Nelly Fuhrmannek, die sonst die Kindergottesdienste leitet, ist mit ihrem drei Monate alten Sohn gekommen und strahlt unter der Maske. Ein bekannter Mediziner mit Gattin erzählt, wie man an Ostern mit den Kindern zu Hause Gottesdienst gefeiert habe. Er ist überzeugt: „Es gibt etwas in einer Glaubensgemeinschaft, dass sich nicht digital übertragen lässt“. Am rechten Rand der letzten Bank sitzt Kirsten Schweingrober und freut sich ebenfalls über bekannte Gesichter und geistlichen Zuspruch – wenn auch auf Abstand.

Jeweils eine Sitzbank blieb frei

Drei Besucher in einer Bank mit jeweils einer Bank dazwischen. Bei 340 Plätzen dürfen damit maximal 50 Menschen in die Lutherkirche. Auf Bläser wird verzichtet. Stattdessen ist Cellistin Ines Altmann vom Beethoven-Orchester gekommen. Man singt gemeinsam unter den Masken, aber zumeist klingt es eher wie ein sachtes Murmeln. Ein Experiment für den Kirchenkreis, genauso wie die Gottesdienste in Endenich und Duisdorf, wie ein Leben mit dem Virus gelingen könnte, gibt Gerhardt zu. Auch in der Zeit der Gottesdienstverbote sei die Kirche tagsüber stets offen gewesen, betont der Pressepfarrer. Und sie werde es auch in den kommenden Wochen bleiben. Gerhardt spricht von einem „wichtigen Signal“, dass die Kirchen auch in der Not für die Gläubigen da seien. „Glaube, Hoffnung und Liebe sind systemrelevant“ ruft er zu Beginn der Messe. Und Konfirmand Frederik Lamielle zündet drei Kerzen an. Nicht nur für Frau Sommer, sondern auch für einen Familienvater, der in diesen Tagen Insolvenz für seinen Betrieb anmelden muss, und für alle, die sich nicht zur Messe getraut haben. Statt 100 bis 150 an normalen Sonntagen sind es dieses Mal nur 48 Besucher.

Zusätzlich wird Messe online übertragen

90 Minuten später beginnt auch die erste katholische Messe in der Remigiuskirche. Grüne Pfeile auf den Bänken, Markierungen am Boden und eine komplexe Wegführung zur wortlosen Austeilung der Kommunion am Altar – in die Hand, nicht in den Mund – sollen auch hier bestmöglich für Sicherheit sorgen. Die Verlesung der Schutzmaßnahmen erinnert ans Sicherheitsbriefing vor einem Transatlantik-Flug. Den Gesang übernimmt stellvertretend die Sopranistin Lorraine Pudelko. Für alle besonders Vorsichtigen wird die Messe live im Internet gestreamt.

Ausgehend vom Bild des guten Hirten, das seit Anbruch der Pandemie auf einer neuen Ikone neben dem Altar zu sehen ist, nutzt Stadtdechant Wolfgang Picken die Predigt zu einer Abrechnung mit menschlichem Dominanzstreben.

Ob das Coronavirus in einem chinesischen Labor entstanden sei oder auf einem Markt für Wildtiere, sei letztlich egal. Die Krise habe die Menschheit durch die Missachtung natürlicher Gesetzmäßigkeiten selbst ausgelöst – so wie viele andere Krisen zuvor. In diesem Zusammenhang nennt Picken die Zerstörung der Biodiversität ebenso wie die Flüchtlinge vor den Toren Europas und die zahllosen Kriege und bewaffneten Konflikte weltweit. Er geißelt „Egozentrismus und Individualismus“ als die Wurzel vielen Übels. Es sei eine „Idiotie“, die Welt besser umgestalten zu wollen, als sie von Gott geschaffen sei. In der Krise mit ihren Kontaktverboten müsse die Menschheit nun schmerzhaft lernen, dass ein Überleben ohne soziale Kontakte gar nicht möglich sei. Der Glaube ist für Picken bei der geforderten Umkehr „das Zukunftsangebot der heutigen Zeit“.

Das erste ökumenische Abendgebet mit Picken, dem evangelisch-lutherischen Superintendenten Dietmar Pistorius sowie Vertretern weiterer Glaubensbekenntnisse wurde dann am Abend aus der Remigiuskirche unter www.magenta-tv.de übertragen. Es soll künftig jeden Sonntag ab 18 Uhr gestreamt werden, wird allerdings ohne Zuhörer aufgezeichnet.

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