Mangelnde technische Ausstattung Bonner Eltern kritisieren den Unterricht während des Lockdowns

Bonn · Abfotografierte Mathebuch-Seiten, ausgefallene Stunden: Bonner Eltern kritisieren, dass es während des Lockdowns kaum Fernunterricht oder Korrekturen gab. Die Schulpflegschaft fordert eine bessere digitale Ausstattung für Lehrer.

 Lernen zu Hause war während des Lockdowns angesagt. Nicht alle Eltern waren glücklich mit der Betreuungsleistung der Lehrer.

Lernen zu Hause war während des Lockdowns angesagt. Nicht alle Eltern waren glücklich mit der Betreuungsleistung der Lehrer.

Foto: dpa-tmn/Mascha Brichta

Wenn in NRW heute die Schulen für die großen Sommerferien schließen, so ändert sich im Alltag vieler Schulkinder in Wahrheit wenig. Wie eine aktuelle Befragung zweier westdeutscher Bildungsforscherinnen unter 1000 Eltern zeigt, hatte in manchen Fächern nicht einmal die Hälfte der befragten Kinder seit der Schließung der Schulen Mitte März persönlichen Kontakt zu Fachlehrern. Auch in Bonn bemängeln Eltern in Hilferufen an die GA-Redaktion nicht nur mangelnde technische Ausstattung der Schulen, sondern auch fehlendes Engagement von Lehrkräften während der Coronakrise.

Vater dokumentiert 248 ausgefallene Unterrichtsstunden

Penibel hat etwa der Vater eines Fünftklässlers am Carl von Ossietzky-Gymnasium Buch geführt. Für den Zeitraum vom 16. März bis Ende Mai kommt er auf 248 ausgefallene Unterrichtsstunden. In dieser Zeit habe es stattdessen ein Dutzend Videokonferenzen von maximal 45 Minuten Dauer im Klassenverband gegeben – je vier in Mathe und Englisch, je zwei in Deutsch und Spanisch. Insgesamt zehn eingereichte Hausarbeiten kamen korrigiert zurück. Nicht ansatzweise sei ein Bemühen erkennbar, den massiven Unterrichtsausfall durch Online-Unterricht oder sorgfältige Rückmeldungen zu begrenzen.

Eine Mutter berichtet, ihre Tochter habe vom Mathelehrer einmal zwei mit dem Handy  aus dem Mathebuch abfotografierte Seiten geschickt bekommen. „Ein anderes Mal hat sie ein Video bekommen mit der Bemerkung, wenn sie das gesehen habe, würde sie ja alles verstanden haben. Das war es über die ganze Zeit der Schulschließung“, behauptet die Mutter und fragt zynisch: „Wozu brauchen wir da noch Lehrer?“

Auch eine andere Mutter schimpft: „Es ist ja kaum die Aufgabe der Eltern, den Lehrauftrag zu erfüllen.“ Lehrer an der Gesamtschule Beuel hätten sich trotz ihrer ausdrücklichen Bitte geweigert, Arbeitsaufträge direkt an die Mailadressen ihrer beiden Kinder in Klasse 7 und 9 zu mailen. Es sei nicht zuviel verlangt, dass Pädagogen in direkten Kontakt mit den Schülern träten und sich auch direktes Feedback zum Verständnis und Lernerfolg holten.

Zudem sei das Material nicht gesammelt, sondern zu wechselnden Tages- und Nachtzeiten gemailt worden. Statt klarer Arbeitsaufträge und Ermunterungen habe eine Mathelehrerin geäußert, der Stoff sei als neues Thema vermutlich ohnehin nicht zu schaffen, „aber sie sollten einfach mal drauflos rechnen und eventuell Google bemühen“.

Auch die Mutter eines Grundschülers konstatiert: „Oftmals wurden Hausaufgaben nur per E-Mail übersandt. Lernkontrollen fanden nicht oder in Abhängigkeit von der Eigeninitiative des jeweiligen Klassenlehrers statt. Dies variiert teils innerhalb einer Schule, aber auch im Vergleich der Schulen untereinander.“ Echten Online-Unterricht habe es mangels eLearning-Plattform und digitaler Ausstattung gar nicht gegeben.

Besonders wenig Verständnis zeigen mehrere Eltern dafür, dass einige Schulen nach Beginn des rollierenden Präsenzunterrichts an den Freitagen nach Himmelfahrt und Fronleichnam auf den beweglichen Brückentagen bestanden hätten. Für einige Kinder fiel damit gleich in zwei Wochen der einzige Unterrichtstag der Woche zusätzlich aus.

Andreas Beutgen ist als Vorsitzender der Schulpflegschaft Bonn der oberste Elternvertreter der Stadt. Pauschale Kritik an der Lehrerschaft äußert er  nicht. Die technische Ausstattung sei ein Hauptproblem, sagt er. In manchen Schulen seien nur von 60 Prozent der Schüler oder Eltern überhaupt E-Mail-Adressen hinterlegt. Lehrern sei vom Kultusministerium die volle datenschutzrechtliche Verantwortung auferlegt worden, wenn sie vom heimischen PC mit ihren Schülern Kontakt aufnahmen.

Beim Umstieg auf den Fernunterricht seien sie weitgehend alleingelassen worden. Die Bonner Schulen sollten von der Stadt als Trägerin für einen hybriden Unterricht fit gemacht werden. Dazu gehöre Hardware für die Lehrkräfte ebenso wie eine attraktive öffentlich betriebene Lernplattform zum Austausch von Aufgaben, für Videokonferenzen und Chats. „Wir müssen künftig in der Lage sein, auch Schüler, die erkrankt sind oder in Quarantäne, per Videochat am Unterricht teilnehmen zu lassen“, fordert Beutgen.

Rolf Haßelkus, Vorsitzender im Stadtverband der Lehrergewerkschaft GEW sagt: „Wer sich als Pä-
dagoge dem Homeschooling und dem begrenzten Präsenzunterricht entziehen wollte, der hatte Möglichkeiten dazu“, sagt er. Einige hätten Förderbedarf. Neben besserer technischer Ausstattung brauchten die Schulen bezahlte Administratoren. Auch müsse das Lernen auf Distanz datenschutz- und arbeitsrechtlich geregelt werden. An der Realschule, an der Haßelkus unterrichtet, wurden in der Zeit des Lockdowns zwei Stunden feste Beratungszeit pro Woche eingeführt.

GEW-Landesvorsitzende Maike Finnen äußerte sich kämpferischer. Zum aktuellen Aufruf von Schulministerin Yvonne Gebauer, die Schulen auf Präsenzunterricht auf Distanz nach den Ferien vorzubereiten, sagte sie: „Nach den Belastungen der letzten Monate“ seien für die Lehrerschaft nun zunächst „Urlaub und Erholung (…) dringend notwendig.“

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