Bande muss sich vor dem Bonner Landgericht verantworten Bonner Betrüger erfinden per Mausklick 102 Unfälle

Bonn · Insgesamt 102 Karambolagen soll eine Bande zwischen 2008 und 2014 europaweit fingiert haben und so von Versicherungen 715.000 Euro kassiert haben. Ein Bonner soll die Schäden an den Luxuskarossen am Computer manipuliert haben.

 Angeklagte und Anwälte warten im Landgericht in Bonn auf den Beginn ihrer Verhandlung. Die fünf Angeklagten sollen europaweit Autounfälle fingiert und über Versicherungen abgerechnet haben.

Angeklagte und Anwälte warten im Landgericht in Bonn auf den Beginn ihrer Verhandlung. Die fünf Angeklagten sollen europaweit Autounfälle fingiert und über Versicherungen abgerechnet haben.

Foto: dpa

Zwei Stunden dauerte am Mittwoch allein die Verlesung der Anklage vor dem Bonner Landgericht: Oberstaatsanwalt Patrick Wilhelm, bei der Staatsanwaltschaft Bonn Chef der Abteilung Organisierte Kriminalität, musste sich tapfer durch insgesamt 102 fingierte Unfallgeschehen kämpfen: In Rom, Paris, Prag, aber auch in Griechenland, Slowenien, Ungarn oder Holland sollen die Karambolagen zwischen 2008 und 2014 stattgefunden haben. Aber keiner der zu Papier gebrachten Unfällen hat sich jemals wirklich ereignet, da ist sich der Ankläger sicher.

Sie sollen ausschließlich im kreativen Kopf und am Computer eines 39-jährigen Bonners entstanden sein, der mithilfe eines Photoshop-Programms zahlreiche Beulen und Blechschäden in die meist teuren Limousinen manipuliert haben soll. Mit den fingierten Karambolagen sollen der mutmaßliche Bandenboss und sein großes betrügerisches Team – insgesamt wurden 14 Mitglieder angeklagt – reihenweise Rechtsschutz- und Kfz-Versicherungen betrogen haben. Ausgezahlt wurden 715.000 Euro.

Vor der 3. Großen Strafkammer wurde zunächst gegen die fünf Hauptangeklagten in dem Mammut-Betrugsfall verhandelt, der allein mit mehr als 2800 Akten das Fürchten lehren kann. Mit Aktendeckeln vor ihren Gesichtern schützten sich die Angeklagten, die alle nicht vorbestraft und auf freiem Fuß sind, vor den Blicken der Kameras. Zu Beginn waren die Männer im Alter zwischen 35 und 63 Jahren auch grundsätzlich bereit, sich zu äußern. Allerdings warnte Kammervorsitzender Klaus Reinhoff sie eindringlich, dem Gericht zu sagen, „was Sache ist“, und nicht auch noch einen fiktiven Drahtzieher zu präsentieren. „Lügen Sie uns nicht an. Das kommt unterm Strich besser an.“

Gefälschter Personalausweis

Tatsächlich hatte der 39-jährige „Erfinder“ im Vorfeld des Verfahrens versucht, die Fiktion weiterzutreiben. Bei den polizeilichen Vernehmungen soll er erklärt haben, nicht er sei der Drahtzieher, sondern er arbeite ausschließlich im Auftrag eines großen Unbekannten namens „Sven“.

Als einzigen Beleg für die Existenz des Mannes hatte er einen Personalausweis präsentiert, den er – wie sich herausstellte – auch selber gefälscht hatte. Die Ermittler fanden die virtuelle Herstellung des Dokuments auf seinem beschlagnahmten Rechner. Diesen Sven, sagt der Ankläger, „gibt es zu 99 Prozent nicht“. So wie die Autos und die Unfälle. Zu den Vorwürfen wollen sich die Angeklagten erst am nächsten Verhandlungstag äußern.

Aufgeflogen war das raffiniert eingefädelte Betrugssystem schließlich durch zunehmende Bequemlichkeit der erfolgsverwöhnten Bande: So hatten sie bei Versicherungsniederlassungen in Slowenien und Frankreich das absolut identische „Unfallgeschehen“ eingereicht: In Deutschland fiel 2014 einem Sachbearbeiter die seltsame Duplizität auf. Ein Einzelfall, hinter dem die Ermittler nach und nach ein „gigantisches und perfide gespanntes Betrugssystem“ entdeckten.

Der Prozess ist vorerst bis Ende Februar terminiert.

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