Aus Angst vor einer Corona-Infektion Ärzte in Bonn sind alarmiert: Immer weniger kommen zur Vorsorge

Bonn · Die Angst, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, schreckt viele Patienten vor der Vorsorgeuntersuchung ab. Ärzte warnen davor, dass das fatale Folgen haben kann.

 Am Johanniter-Krankenhaus werden am Eingang Kontrollen durchgeführt. Dennoch bleiben viele Vorsorgepatienten aus Angst fern.

Am Johanniter-Krankenhaus werden am Eingang Kontrollen durchgeführt. Dennoch bleiben viele Vorsorgepatienten aus Angst fern.

Foto: Benjamin Westhoff

Die Schockdiagnose traf Wiltrud B. im vergangenen Herbst vollkommen unvorbereitet: Im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung entdeckte ihre Ärztin einen Knoten in der Brust der 54-Jährigen. Wenige Tage später wurde die Grafikerin operiert und ein Tumor entfernt. „Ich habe wohl noch einmal großes Glück gehabt. Es geht mir gut und bis jetzt wurden keine Metastasen entdeckt“, sagt sie. Eigentlich müsste sie sich in diesen Tagen wieder einem größeren medizinischen Check unterziehen. Doch in Corona-Zeiten bereitet ihr dieser Gedanke ein ungutes Gefühl. „Was ist, wenn ich mich im Krankenhaus mit dem Virus anstecke?“, fragt sie sich.

Mit dieser Angst ist sie nicht allein. „Ein Aussetzen von Früherkennungs- und Abklärungsmaßnahmen ist nur über einen kurzen Zeitraum tolerierbar, sonst werden Tumore möglicherweise erst in einem fortgeschrittenen Stadium mit dann schlechterer Prognose erkannt“, sagt Professor Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums, und ergänzt: „Wir beobachten derzeit, dass Menschen Symptome nicht ärztlich abklären lassen. Patienten sollten sich aber nicht scheuen, auch während der Covid-19-Pandemie Ärzte und Krankenhäuser aufzusuchen.“

Das betont auch Professor Andreas Türler, Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Johanniter-Krankenhaus: „Wir müssen schon jetzt feststellen, dass die Zahl der Patienten, die mit Tumoren im fortgeschrittenen Stadium zu uns kommen, gestiegen ist.“ Dabei hätten Krankenhäuser und Praxen eine Reihe von Schutzmaßnahmen getroffen, um einen möglichst sicheren Aufenthalt zu gewährleisten. „Es wäre schlicht eine Katastrophe, wenn wir Covid-19 irgendwann beherrschen, sich die Zahl schwer krebserkrankter Menschen jedoch erhöht, weil wir durch Zurückhaltung und Angst wertvolle Chancen verpasst haben“, so Türler.

Professor Joachim Schmidt vom Malteserkrankenhaus in Duisdorf hat durchaus Verständnis für die Angst der Patienten vor einer Ansteckung, aber: „Als Arzt ist es mir ein großes Anliegen, dass diese Patienten nicht die Sorge vor einer Corona-Infektion vor die Abklärung und Behandlung ihrer Erkrankung stellen. Bei Tumorerkrankungen ist Zeit häufig ein wichtiger Faktor – je früher der Krebs erkannt und behandelt wird, desto größer sind die Erfolgsaussichten.“ Um die Sicherheit weiter zu erhöhen, wird am Malteserkrankenhaus in den nächsten Tagen zusätzlich die von der Charité entwickelte App zu Risikoeinschätzung aller Patienten bei Aufnahme und bei Zutritt in das Hospital genutzt.

„In den letzten Wochen wurden nicht weniger Menschen krank, es haben nur weniger von ihnen Hilfe und Rat gesucht“, bewertet Professor Yon-Dschun Ko, Chefarzt der Internistischen Onkologie im Johanniter-Krankenhaus, die aktuelle Situation. „Wesentlich für die Gesundheit der Region ist jetzt jedoch vor allem, dass die Menschen ihre Beschwerden abklären lassen und Arztbesuche nicht länger aufschieben.“

Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen müssten engmaschig überwacht werden, erklärt Professor Heyder Omran, Chefarzt an den GFO Kliniken Bonn (St. Marien und St. Josef). „Uns ist es wichtig, dass unsere Patienten sich auch jetzt nicht alleingelassen fühlen“, sagt er. „Wir stehen bei akuten oder chronischen Beschwerden selbstverständlich zur Verfügung, damit eine erforderliche Therapie oder Kontrolluntersuchung nicht aus Angst vor einer Ansteckung zu lange hinausgezögert wird.“ In seinen Häusern werden alle Mitarbeiter im Herzkatheterlabor wöchentlich vor Dienstbeginn auf eine Infektion getestet. Darüber hinaus hat die Abteilung für Innere Medizin/Kardiologie die Besetzung der Teams, die die spezialisierte Versorgung der Herzinfarktpatienten sicherstellen, verdoppelt.

Ganz überzeugt ist Wiltrud B. dennoch nicht. „Ich werde jetzt erst einmal abwarten, wie sich die Infektionszahlen nach den verschiedenen Lockerungen entwickeln. Erst dann werde ich mich entscheiden, ob ich meine Nachsorgeuntersuchung zügig durchführen lasse“, so die 54-Jährige. „Angst habe ich sowieso – vor dem Krebs und vor Corona.“

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