Zugverspätungen in der Region Fernzüge sind in Bonn besonders unpünktlich

Bonn · Am Hauptbahnhof sind nicht einmal 60 Prozent der Fernzüge pünktlich. Damit bildet Bonn die Spitze der Zugverspätungen.

 Wenn die Mitarbeiter der Bahn obendrein noch streiken, geht auch am Bonner Hauptbahnhof nahezu nichts mehr.

Wenn die Mitarbeiter der Bahn obendrein noch streiken, geht auch am Bonner Hauptbahnhof nahezu nichts mehr.

Foto: Benjamin Westhoff

Gemeinhin gilt Bonn als lebenswerte Stadt, die eine Reise wert ist. Für die Erkenntnis brauchte es nicht einmal den Lonely-Planet-Reiseführer, der die Bundesstadt kürzlich in seine Liste der zehn Top-Reiseziele aufnahm. Nicht geschadet hat dabei offenbar der Umstand, dass An- und Abreise in Bonn mit überdurchschnittlich viel Zeitverlust verbunden sind. Zumindest, wenn man mit der Bahn reist. Denn deren Fernzüge sind am Bonner Hauptbahnhof nur zu 59 Prozent pünktlich. Herausgefunden hat das David Kriesel, der diese Erfahrung zunächst jahrelang am eigenen Leib machte, bis er sich der Sache auf professionelle Weise annahm.

Denn mit Kriesel als vielfahrendem Kunden war die Bahn buchstäblich an den Richtigen geraten. Als Datenanalyst ist der 36-Jährige den Umgang mit Zahlen und Daten gewohnt. Und für Modellreihen und Berechnungen ist dem Informatiker und seinen Kollegen jedes „Spielzeugobjekt“ recht. Dass er in Bonn und Köln eine Zeit lang fast bei jeder zweiten Fahrt auf verspätete Züge warten musste, ließ den Rheinbacher grübeln. „Ich habe mich gefragt: Habe ich einfach nur Pech, und wie passt das mit den Pünktlichkeitswerten der Bahn zusammen?“, erzählt Kriesel. Bestätigen sollte sich indes eine dritte Vermutung: Dass die verspäteten Fernzüge ein spezielles Problem der Bahnhöfe Bonn und Köln sind.

Hintergrund:

Die auf ganz Deutschland bezogene und transparente Pünktlichkeitsstatistik der DB zieht Kriesel im Grundsatz nicht in Zweifel. Deren zentrale Aussagen gelangen für das Jahr 2019 zu dem Ergebnis, dass 75 Prozent der Fernzüge und 90 Prozent der Nahverkehrszüge pünktlich waren. Dazu muss man wissen: Als pünktlich gilt ein Zug immer dann, wenn er am Zielbahnhof weniger als sechs Minuten Verspätung aufweist. Bahnhöfe, die der Zug unplanmäßig nicht mehr anfährt, weil er – etwa wegen hoffnungsloser Verspätung – aus dem Plan genommen wird oder liegen bleibt, fallen gleich ganz aus der Statistik heraus. Anders gesagt: Die Statistik der Bahn stellt radikal zusammengefasste Durchschnittswerte dar. Und die schließen eben nicht aus, dass die Verspätung an Bahnhöfen auf der Strecke größer oder kleiner ist als am Ziel. Und genau unter dem Effekt scheint aufgrund seiner Lage gerade der Bonner Hauptbahnhof zu leiden.

Somit behielten letztlich sowohl die Bahn als auch David Kriesel recht, den das Gefühl der ständigen Verspätungen in Bonn nicht getrogen hatte. Doch was sind die Gründe dafür, dass es ausgerechnet in der ehemaligen Bundeshauptstadt beim Bahnverkehr derartig hakt, während beispielsweise Städte wie Halle, Leipzig und Magdeburg besonders gute Pünktlichkeitsquoten aufweisen?

Dass die schlechten Bonner Werte etwas mit den Umbauarbeiten am Hauptbahnhof zu tun haben, will Kriesel nicht ausschließen. In seiner Präsentation allerdings glüht die gesamte Region Köln/Bonn tiefrot, wie er die starken Verspätungen gekennzeichnet hat. Hinzu kommen die laufenden Baustellen am Schienennetz rund um Köln. Und nicht zuletzt gilt die Hohenzollernbrücke in Bahnkreisen als sensibles Nadelöhr. Der Fahrgastverband Pro Bahn kann das nur bestätigen: „In der Tat sind die Hauptbahnhöfe Bonn und Köln schon seit jeher mit Problemen behaftet, die sich negativ auf die Pünktlichkeit der dort verkehrenden Züge auswirken“, sagt dessen Bundesvorsitzender Detlef Neuß. Die von Kriesel errechneten Werte hält auch er für plausibel.

Ankunfts- und Abfahrtszeiten analysiert

Und auch die Bahn zieht die Expertise des Rheinbachers nicht grundsätzlich in Zweifel. „Pünktlichkeiten für einzelne Halte, Linien oder Regionen können starken Schwankungen unterliegen, etwa aufgrund von Bauarbeiten, Streiks oder aufgrund von größeren Einzelstörungen“, sagt ein Bahnsprecher.

Gegenüber der Bahn spielte Kriesel von Anfang an mit offenen Karten: „Wegen eines Passus zum Massendownload in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen habe ich sicherheitshalber vorher um Erlaubnis gebeten. Denn mehr Massendownload als in diesem Fall gibt es kaum“, erzählt er lachend. Anders gesagt: Der Rheinbacher schaufelte die Ankunft- und Abfahrtszeiten von Fernzügen an 350 deutschen Bahnhöfen auf seinen Rechner und ließ sie dort analysieren. In der Summe wertete er auf diese Weise gut 25 Millionen Zughalte aus. Arbeitstitel seines Freizeitprojekts: „BahnMining – Pünktlichkeit ist eine Zier“.

Bei der DB habe er viele neue Kontakte gewonnen, berichtet er und ergänzt: „Alle waren sehr nett zu mir, offenbar hat man meine Aktion sportlich aufgenommen“. Unter der Rubrik „Tipp der Woche“ wurde er schließlich in einem internen DB-Newsletter erwähnt. Sein „BahnMining“ will Kriesel schließlich auch nicht als eilfertige Kritik verstanden wissen. Einerseits kann er die 75-prozentige Pünktlichkeit der DB-Gesamtstatistik grundsätzlich bestätigen – nur eben nicht für Bonn; zudem weise der Nahverkehr extrem hohe Pünktlichkeitsquoten auf. Den aber hatte er auch gar nicht untersucht.

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