Frank Hoever im GA-Interview Bonner Polizeipräsident: „Das Personal reicht natürlich nie“

Interview | Bonn · Frank Hoever ist seit rund 100 Tagen Polizeipräsident in Bonn. Im Interview spricht er über Kriminalität in Corona-Zeiten, den Kampf gegen sexuellen Missbrauch und die Situation am Brassertufer.

 Interview mit neuem Polizeipräsidenten

Interview mit neuem Polizeipräsidenten

Foto: Benjamin Westhoff

Frank Hoever ist Bonner Polizeipräsident. Seit rund 100 Tagen steht er an der Spitze von 1750 Mitarbeitern der Bonner Behörde. Über seinen Einstieg und die Schwerpunkte, die er setzen möchte, sprach der 59-Jährige mit Ayla Jacob.

Warum haben Sie den Chefsessel im LKA geräumt und sind nach Bonn gekommen?

Hoever: Die Aufgaben in der Bonner Behörde sind sehr vielfältig. Von Kripothemen, Einsatz und Gefahrenabwehr über Verkehr bis zum Versammlungswesen ist alles dabei. Außerdem bin ich jetzt kein Polizist mehr und kann arbeiten, bis ich 67 Jahre alt bin. Ich hätte mir nicht vorstellen können, in zwei Jahren in Ruhestand zu gehen – und meine Familie noch viel weniger. Positiv ist auch, dass ich nur drei Kilometer vom Präsidium entfernt wohne und mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren kann. Das bietet Lebensqualität.

Was unterscheidet die Arbeit in der Bonner Behörde von der im LKA?

Hoever: Im LKA hatte ich ausschließlich mit Kripothemen zu tun, außerdem war die Arbeit deutlich überregionaler geprägt. In Bonn ist es eine lokalere, aber auch die politischere Ausrichtung. Das Thema Versammlungen habe ich vorher gar nicht bedient, das spielt hier schon eine große Rolle. Außerdem habe ich hier mit dem Einsatzgeschehen zu tun. Mir ist wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen den unbedingten Willen haben, Gefahren abzuwehren und Straftaten aufzuklären, besser noch zu verhindern. Dafür muss man vom Schreibtisch weg.

Möglichst viele Polizisten auf die Straße zu bringen, ist ein hehres Ziel. Reicht denn dafür das Personal?

Hoever: Das Personal reicht natürlich nie. Aber das Ministerium versucht, es nach möglichst objektiven Kriterien zu verteilen: nach der Kriminalitäts- und nach der Einsatzbelastung. Insofern müssen wir mit dem Personal zurechtkommen, das wir haben.

Wie können die anstehenden Pensionierungen aufgefangen werden?

Hoever: Das ist eine der großen Herausforderungen für die Behörde. Wir müssen schauen, dass wir die vielen jungen Kolleginnen und Kollegen, die wir in den kommenden Jahren kriegen werden, vernünftig einarbeiten und den Wissenstransfer sicherstellen. Wir haben im Herbst eine Strategieplanung. Dabei geht es auch um den demographischen Wandel und wie wir seine Folgen abfedern können.

Wie haben Sie die ersten Monate in Bonn erlebt?

Hoever: Mir tut es erst einmal sehr leid, dass die geplante Verabschiedung meiner Vorgängerin, Ursula Brohl-Sowa, nicht stattfinden konnte. Auch mein Start war von Corona geprägt. Ich hätte mir gewünscht, früher auf die Kolleginnen und Kollegen zugehen zu können. Das werde ich jetzt nachholen.

Gab es überraschende Momente?

Hoever: So richtig überraschend war ehrlich gesagt nichts. Ich habe mich hier nach wenigen Tagen heimisch gefühlt. Ich wohne hier, Bonn lag mir schon immer am Herzen. Da habe ich schon ein Eigeninteresse, dass es hier nicht nur schön, sondern auch sicher ist (lacht).

Wo läuft es in Bonn mit Blick auf die Kriminalität gut?

Hoever: Die Gesamtkriminalität ist – genau wie im Rest von NRW – gesunken. Auch die Zahlen im Bereich Wohnungseinbruch sind zurückgegangen. Der Anteil der Versuche liegt mittlerweile bei über 50 Prozent, was damit zu tun hat, dass die Menschen ihr Eigentum besser sichern und besser aufeinander aufpassen. Aber es liegt auch daran, dass die Vielzahl der reisenden, mobilen Täter abnimmt. Die kamen meist aus Südosteuropa. Mittlerweile sind es eher örtliche Täter.

Enkeltrickbetrug und die Masche „falsche Amtsträger“ stellten in Bonn und der Region ein großes Problem dar. Wie bewerten Sie die Lage aktuell?

Hoever: Sehr gut. Was vor allem daran liegt, dass nicht mal ein Prozent der Täter zum Ziel kommt. Das hat etwas mit guter Präventionsarbeit zu tun. Den Tätern Herr zu werden, ist schwierig. Oftmals sitzen die nicht in Deutschland, sondern in Callcentern im Ausland, unter anderem in der Türkei. Gut ist, wenn wir von den Opfern informiert werden, wenn die falschen Polizisten noch am Telefon sind. Und wir müssen mit den Banken reden. Wenn ein älterer Kunde auf einmal eine hohe Summe abhebt, sollte man stutzig werden. Klar, es gibt das Bankgeheimnis und man möchte auch keine Kunden verprellen. Aber ich würde als Bank eher eine kritische Diskussion mit dem Kunden in Kauf nehmen, um so eventuell eine Straftat mit großem Schaden zu verhindern.

Also bereitet Ihnen dieses Kriminalitätsfeld derzeit kein Kopfzerbrechen?

Hoever: Nein derzeit nicht.

Welches denn?

Hoever: Der sexuelle Missbrauch von Kindern. Das Problem ist seit vielen Jahren bekannt. Dass es dabei immense Datenmengen gibt, die exponentiell ansteigen, ist auch nichts Neues. Aber das Problem hatte in der Vergangenheit nicht das nötige politische Gewicht. Das hat sich nun geändert. Das sieht man daran, dass das Ministerium den Behörden für diesen Bereich sogenannte Sockelstellen zugewiesen hat, die zwingend für den Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern eingesetzt werden müssen. Man muss sagen: Mit dem Regierungswechsel hat sich da eine Menge getan.

Wie äußert sich das vor Ort?

Hoever: Wir bekommen zusätzliche Stellen, damit einher geht auch, dass die Zuständigkeit erweitert wird. Natürlich kann man diesen Sumpf nicht komplett trockenlegen. Aber vielleicht gelingt es so mehr und mehr. Solange man in dieses Nest nicht hineinsticht, bleibt vieles im Dunkeln. Klar ist: Das Thema zieht sich durch jede Gesellschaftsschicht. Und hinter jedem kinderpornografischen Bild steckt eine Missbrauchstat. Daher müssen die Daten vollumfänglich ausgewertet werden. Es geht nicht nur darum, die Täter zu stellen. Es geht auch um Gefahrenabwehr.

Ist die Polizei den Tätern technisch überlegen?

Hoever: Die Täter sind vorneweg, das muss man ganz klar sagen. Aber unsere technische Ausstattung ist mittlerweile wirklich gut. Allerdings werden wir ohne die Vorratsdatenspeicherung nicht weiterkommen. Noch mehr Personal wäre wünschenswert, aber das gilt auch für andere Felder wie den Islamismus.

Ist Bonn nach wie vor Islamisten-Hochburg?

Hoever: Hochburg würde ich nicht sagen. Durch die Schließung der König-Fahd-Akademie ist es ruhiger geworden. Aber es gibt hier schon eine islamistische Szene, die wir weiter im Auge behalten. Wir beobachten hier einige Gefährder, aber auch ungefähr 30 Objekte, die sich überall in Bonn und der Region befinden. Der Staatsschutz in Bonn ist auf jeden Fall sehr gut aufgestellt.

Wie viele Gefährder gibt es in Bonn und der Region?

Hoever: Dazu werde ich nichts sagen. Aber ich kann sagen, dass derzeit den Frauen in der Szene ein besonderes Augenmerk gilt.

Welche Rolle spielen die Frauen?

Hoever: Die Frauen sprechen junge Menschen an, unterstützen die Gefährder. Sie sind im Internet präsent, werben auch dort an. Sie stellen Logistik zur Verfügung, reisen mit aus und wieder ein. Wir haben landesweit eine hohe Zahl an Rückkehrern, die potenziell eine Gefahr darstellen und gegen die Strafverfahren eingeleitet werden.

Wie sieht es mit anderen Extremisten aus dem rechten Spektrum und Reichsbürgern aus?

Hoever: Die spielen hier eher eine untergeordnete Rolle. Ein Fall fällt mir ein, den der hiesige Staatsschutz übernommen hat: Der Vorfall in einem Supermarkt in Troisdorf, bei dem es auch zu massiven Angriffen auf die Polizisten kam. Dabei spricht alles dafür, dass es jemand aus der Reichsbürgerszene war. Im Übrigen nehmen die Angriffe gegenüber Polizisten zu.

Wie äußert sich dies?

Hoever: Nehmen Sie zum Beispiel das Brassertufer. Bei dem Einsatz wurden Beamte mit Faustschlägen traktiert. Was neu ist: Es mischen sich die Leute ein, die drumherumstehen. Die greifen selbst nicht ein, heizen aber die Stimmung an. Oder vor einiger Zeit in Tannenbusch. Dort wurden Kollegen bei Kontrollen angegriffen. Da muss man von Anfang an klare Kante zeigen. Es gibt bestimmte Dinge, die man sich nicht bieten lassen darf. Dabei handelt es sich um Angriffe gegen den Rechtsstaat, das geht nicht.

Wie wollen Sie dagegen vorgehen?

Hoever: Zum einen gibt es Schulungen für die Kolleginnen und Kollegen. Es geht um den Umgang mit den Angriffen, bei denen immer häufiger Messer eine Rolle spielen. Aber ich signalisiere auch, dass ich hinter den Beamten stehe, indem zum Beispiel viele Strafanträge seitens der Behördenleitung gestellt werden. Da reagiert die Justiz auch sehr gut.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation am Brassertufer?

Hoever: Ich verstehe, dass junge Menschen irgendwo feiern wollen, wenn Clubs und Diskotheken geschlossen sind. Aber das darf nicht zu Lasten anderer gehen. Allein an einem Wochenende hatten wir stadtweit 136 Ruhestörungen. Am Brassertufer trifft sich nicht nur die Partyszene, sondern auch Störer und Straftäter. Alkohol wird massiv konsumiert, es kommt zu Streitereien, Pöbeleien, Diebstählen und wildem Urinieren. Deshalb haben wir dort mit der Stadt kontrolliert und werden das weiter tun. Eine ähnliche Situation haben wir am Beueler Rheinufer.

Hat die Polizei andere Bereiche besonders im Blick?

Hoever: Das sind nach wie vor Kaiserplatz und Hofgarten, aber auch der Bertha-von-Suttner-Platz. Dort spielen, wie auch am Brassertufer, Drogen häufig eine Rolle.

Wie stellt sich die Situation in Bad Godesberg und Tannenbusch dar?

Hoever: Was Tannenbusch angeht, haben wir in der Corona-Zeit einen Rücklauf der Zahlen um 15 bis 20 Prozent. Allerdings gibt es weiterhin Kriminalität und spektakuläre Fälle wie die Schüsse auf den Pkw. Das gilt auch für Bad Godesberg, die Zahlen gehen ähnlich nach unten. Aber auch dort gibt es punktuelle Hotspots. In Friesdorf zum Beispiel haben wir Zunahmen im Bereich Wohnungseinbruch, was gegen den Trend geht. Außerdem gibt es dort vermehrt Autoaufbrüche. Ansonsten ist Bad Godesberg unauffällig.

Hat die Corona-Krise generell einen Einfluss auf die Kriminalität?

Hoever: Ja. Wir haben insgesamt rückläufige Zahlen. Was uns gewundert hat: Es gab einen Rückgang im Bereich häuslicher Gewalt, allerdings gibt es da definitiv eine hohe Dunkelziffer. Wir haben auch deutlich weniger Wohnungs-, aber mehr Keller- und Geschäftseinbrüche. Außerdem wurden mehr Autos aufgebrochen und ausgeräumt.

Es gibt häufig die Kritik, dass die Polizei zu wenig Präsenz auf der Straße zeigt. Können Sie diese teilen?

Hoever: Präsenz ist wichtig. Es ist unsere Aufgabe, nicht nur für ein objektives, sondern auch für ein subjektives Sicherheitsgefühl zu sorgen.

Welche Rolle spielt dabei die Videobeobachtung?

Hoever: Sie ist eine Karte zur Abwehr von Gefahren. Wir dürfen nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen Videobeobachtung durchführen. An den Stellen müssen zum Beispiel vermehrt schwere Straftaten begangen worden sein, es müssen Tatsachen dafürsprechen, dass dies so bleibt. Ich persönlich finde, dass es eine gute Geschichte ist. Daher haben wir zwei mobile Beobachtungsanlagen angeschafft, die momentan getestet werden.

Wo könnten sie wann eingesetzt werden?

Hoever: Der Hofgarten spielt eine Rolle, sicher auch der Bertha-von-Suttner-Platz und das Brassertufer. Mein Ziel ist, dass wir im dritten Quartal loslegen können.

Welche strategischen Schwerpunkte wollen Sie in den nächsten Monaten setzen?

Hoever: Im Herbst ist ein direktionsübergreifender Fahndungs- und Kontrolltag geplant. Generell ist mir die operative Ausrichtung sehr wichtig, das konsequente Einschreiten. Polizei muss Akzente setzen, natürlich im rechtlichen Rahmen und auch immer verhältnismäßig. Aber ich glaube, dass man deutlich machen muss, dass niemand Bereiche für sich deklarieren kann. Das habe ich durch das Thema Clan-Kriminalität im LKA hautnah miterlebt. Wir werden in Bonn keine Verhältnisse bekommen wie in einzelnen Großstädten des Ruhrgebiets, dort gibt es andere Rahmenbedingungen. Aber wenn es einmal eingerissen ist, ist es schwierig, das wieder einzufangen.

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