Blinde und Sehbehinderte die Exponate im Stadtmuseum Berühren ausnahmsweise erlaubt

BONN · Die alten Musikinstrumente und die Zweite-Weltkriegs-Installation dürfen Besucher eigentlich nicht berühren, und Hunde sollten sie auch nicht mit mitbringen ins Bonner Stadtmuseum.

 Blinde und sehbehinderte Besucher führt Kai-Ingo Weule (rechts) durch das Stadtmuseum - und die Besucher dürfen ertasten, was ihnen der Museumspädagoge zeigt.

Blinde und sehbehinderte Besucher führt Kai-Ingo Weule (rechts) durch das Stadtmuseum - und die Besucher dürfen ertasten, was ihnen der Museumspädagoge zeigt.

Foto: Stefan Knopp

Am Sonntag wurde aber eine Ausnahme gemacht, denn die Teilnehmer der Führung konnten die Exponate im ersten Stock nicht oder so gut wie nicht sehen - sie mussten sie erfühlen.

Museumspädagoge Kai-Ingo Weule leitete eine Gruppe Blinder und Sehbehinderter durch die Ausstellungsräume, die sich mit den vergangenen 200 Jahren der deutschen und vor allem Bonner Geschichte befassen. Er beschrieb viel von dem, was seine Gäste nicht sehen konnten: die edle Essenstafel, die preußische Pickelhaube, den Bonnaris-Mineralwasser-Handkarren und die Jacke eines Husarenanzugs und weitere Ausstellungsstücke. Um dieses ertasten zu können, trugen die sehbehinderten Besucher weiße Handschuhe. So konnten sie etwa Instrumente, die Beethoven-Büste und ein altes Waschbrett berühren.

Weule hatte sich auf die Führung anders als sonst vorbereitet. "Ich musste Ausstellungsstücke wählen, die für diese Menschen mit anderen Sinnen als den Augen wahrnehmbar sind", erklärte er. Zum Beispiel die Pickelhaube, deren Spitze sich abnehmen lässt, um für Paraden in der Öffnung Blumensträuße anzubringen. Wichtig sei, dass diese Gegenstände auch etwas aussagen. "Der Helm steht zum Beispiel für den preußischen Militarismus, aber auch für die Einengung des Geistes zu der Zeit."

Viele Gegenstände, die die Teilnehmer anfassen durften, waren keine echten Exponate, sondern Nachahmungen. Die hatte Weule aus seiner privaten Sammlung mitgebracht. So konnte eine Teilnehmerin auch ein Korsett mit Überkleid anziehen, wie es die Frauen im 19. Jahrhundert oft trugen - die Besucherin hatte dabei sichtlich ihren Spaß. Und auch das alte Bügeleisen wurde ohne Handschuhe herumgereicht. Im Laufe der Führung zeigte sich, dass die Sehbehinderten ein großes Bedürfnis hatten, sich über das Wahrgenommene auszutauschen. Manchmal ging Weules Stimme im Gesprächsgewirr unter.

Mit den beiden Blindenhunden, die mitgeführt wurden, hatte der Museumsmitarbeiter kein Problem. Die seien ja so gut trainiert, dass sie keine Probleme machen würden. Die Gruppe bestand aus 13 Sehbehinderten und ebenso vielen sehenden Begleitern. Zu groß, fand Begleiter Peter Wagner aus Krefeld. "Mehr als zehn sollten es nicht sein." Allerdings sei eine zu große Gruppe besser als eine zu kleine.

Die nächste Führung für Sehbehinderte steht am Sonntag, 29. November, ab 15 Uhr unter Motto "Vom Steinzeitgrab in Bonn-Oberkassel bis zu den Kurfürsten". Sie kostet fünf Euro für sehbehindert Teilnehmer inklusive einer Begleitperson. Infos und Anmeldung (vormittags) unter Tel. 02 28/77 24 14.

KURZ GEFRAGT

Erich Nikolaus aus Mönchengladbach ist vor neun Jahren erblindet. Der 53-Jährige ist Mitglied in mehreren Blindenvereinen. Mit ihm sprach Stefan Knopp.

Wie arbeiten Sie als Blinder ehrenamtlich?

Erich Nikolaus: Ich gehe zum Beispiel im Altenheim einmal in der Woche mit den Leuten backen. Dann gehe ich mit der Aktion GIPS in Schulen mit mehreren Behinderten. Wir zeigen den Kindern, wie Behinderte im Leben zurechtkommen. Man kann als Blinder sehr viel, wenn man will. Ich habe im September das Forum für Menschen mit und ohne Sehbehinderung in Mönchengladbach gegründet. Da versuchen wir, für Menschen mit und ohne Sehbehinderung Museumsführungen anzubieten, die barrierefrei sind. Ich bin zum Beispiel mit dem Schloss Rheydt in Verbindung und mit dem Gasometer in Oberhausen.

Warum ist es wichtig für Menschen mit Sehbehinderung, auch ins Museum zu gehen?

Nikolaus: Viele haben Interesse und wissen nicht, wie sie es machen sollen. Deswegen ist es wichtig, dass so etwas angeboten wird. Alleine traut man sich oft nicht.

Was muss ein Museum bieten, damit es für Blinde interessant ist?

Nikolaus: Das Museum muss den Willen mitbringen. Es ist oft möglich, mit ganz kleinem Geldaufwand viel zu bewegen, auch für Sehbehinderte und Blinde. Wenn man heute über Barrierefreiheit redet, reden die meisten über Rollstuhlfahrer. Aber ein Blinder oder Sehbehinderter hat ganz andere Voraussetzungen. Ein Museum, in dem nur Bilder ausgestellt sind, ist für uns, ich will nicht sagen uninteressant, aber sehr schlecht. Wir müssen viele Sachen auch anfassen können. Und das, muss ich sagen, wird hier in Bonn sehr sehr gut gemacht.

Wann waren Sie nach Ihrer Erblindung erstmals im Museum?

Nikolaus: Seit vier Jahren gehe ich regelmäßig. Ich gehe auch zu Rhein in Flammen oder Kölner Lichter, ich gehe eigentlich überall hin. Ich schleppe auch immer Leute mit. Ich finde das wichtig, und ich probiere in meinem ganzen Bekanntenkreis, die Leute dazu zu bewegen mitzumachen.

Infos über das Forum für Menschen mit und ohne Sehbehinderung auf www.viersen.de unter dem Suchbegriff "Forum Sehbehinderung". Kontakt zu Erich Nikolaus unter Tel. 0 21 61/ 4988679 und per Mail an forum-auge @freenet.de

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