Interview mit DGB-Chef „Befristungen sind nicht akzeptabel“

Bonn · Bernd Weede (57) hat vor zwei Jahren den Kreisvorsitz des Deutschen Gewerkschaftsbundes Bonn/Rhein-Sieg übernommen. Im Interview spricht Weede über hohe Einkommen in der Region, große Kinderarmut sowie Investitionen, die dringend getätigt werden müssten.

Verdi ist vor einigen Wochen mit einer Klage gegen einen verkaufsoffenen Sonntag gescheitert. War das wirklich notwendig?

Bernd Weede: Es war vor allem legitim, eine rechtlich einwandfreie Entscheidung herbeizuführen. Das Bundesarbeitszeitgesetz wird mehr und mehr ausgehöhlt. Es wird zu einem gesellschaftlichen Problem, wenn immer mehr Leute kontinuierlich sieben Tage die Woche arbeiten sollen.

Die Händler versprechen sich davon aber mehr Umsatz...

Weede: Wer glaubt, mit Sonntagsarbeit die Innenstädte retten zu können, ist auf dem falschen Dampfer. Gegen den Onlinehandel kommt man so nicht an. Zwar sind die Läden an den Sonntagen meist voll; trotzdem haben die Leute nicht mehr Geld in der Tasche. Letztendlich werden nur Einkaufstage verschoben.

Wie steht es derzeit um die DGB-Mitgliederzahlen?

Weede: Wir sind hoffentlich durch die Talsohle durch, die Zahlen stabilisieren sich. Trotzdem haben wir in Bonn eine nicht so gewerkschaftsfreundliche Klientel. Es sind nicht die Engagierten gegangen, sondern eher die, die sich die Gewerkschaftsbeiträge sparen wollten. Denn letztendlich profitieren sie auch ohne die Mitgliedschaft von den Tariflöhnen. Wir kämpfen ja für alle. Das können wir aber nur dann, wenn auch was dahintersteht – sowohl organisatorisch als auch finanziell.

Wie viele Mitglieder haben Sie denn nun?

Weede: Die jeweiligen Zahlen liegen bei den einzelnen Mitgliedsgewerkschaften, deswegen ist es schwierig, sie genau zu nennen.

Und wieso haben es Gewerkschaften in Bonn besonders schwer, wie Sie sagen?

Weede: Wir haben in Bonn einen großen Anteil an sehr hoch gebildeten und gut bezahlten Arbeitskräften. Die haben Berührungsängste mit Gewerkschaften. Dann haben wir aber auch viele Menschen, die sehr wenig verdienen oder auch arbeitslos sind. Die zu mobilisieren, ist genauso schwierig. Was hier besonders ist: Es gibt ein hohes Bruttoinlandsprodukt von rund 92 000 Euro pro Erwerbstätigen und trotzdem rund 20 Prozent Kinderarmut. Das ist ein großer Widerspruch.

Kinderarmut in einer so reichen Stadt: Wer muss handeln?

Weede: Kinderarmut ist auch immer Familienarmut. Stark gefährdet sind Alleinerziehende und Langzeitarbeitslose. Ich finde es falsch, wenn Spenden oder Schulranzen gesammelt werden, das hat auch immer etwas Diskriminierendes. Wichtig ist, dass Bildung und Kinderbetreuung kostenfrei sind.

Verschärfen befristete Arbeitsverhältnisse die Probleme?

Weede: Sie sind nicht akzeptabel. Die sachgrundlose Befristung muss vom Tisch. So lange es das Gesetz gibt, werden Arbeitgeber es ausnutzen. Das ist ein besorgniserregender Zustand. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Zukunft für die Menschen sichern. Dass Sie mich nicht falsch verstehen: Ich bin kein Freund des bedingungslosen Grundeinkommens. Wir werden es allerdings diskutieren müssen, wenn es um die soziale Absicherung im Alter geht.

Um Zukunft geht es auch bei Zuwanderern. Warum ist es so schwer, Flüchtlingen Jobs zu verschaffen?

Weede: Da spielt mit Sicherheit die populistische Propaganda eine Rolle. Es fehlt aber auch die Bereitschaft in vielen Betrieben. Das lässt sich nicht durch einen Tarifvertrag regeln, nur durch lange, zähe Diskussionen. Gerade in Bonn müsste es bei so vielen international agierenden Firmen und Institutionen doch gut möglich sein, Flüchtlinge zu integrieren.

Preiswerte Wohnungen sind rar in Bonn, was soziale Probleme verstärkt. Was tun?

Weede: Die Wohnungsausgaben hier liegen bei mehr als 30 Prozent. Ich will ungern den Wohnungsbaugesellschaften Auflagen machen, deswegen muss der genossenschaftliche Wohnungsbau gefördert werden. Zum Beispiel mit der Zuweisung von Flächen. Aber nicht in der Peripherie, sondern im Quartier, in dem es neben Wohnraum Platz für Kleingewerbe geben muss, mit Blick auf die alternde Gesellschaft. Nur wenn wir durchmischen, bekommen wir ein vernünftiges Verhältnis hin. Aber ich habe das Gefühl, dass der Stadtverwaltung der Überblick fehlt.

Auch an Gewerbeflächen fehlt es...

Weede: Was das angeht, müssen wir mit dem Rhein-Sieg-Kreis zusammenarbeiten. Das geht zu langsam voran, und ich habe das Gefühl, dass man sich da nicht grün ist. Fakt ist: Die Stadt Bonn wird nicht nach außen wachsen. Trotzdem gibt es viele Flächen, von denen wir gar nicht wissen, dass man dort etwas machen kann. Doch immer mehr Einkaufsflächen freizumachen, sorgt im Umland nur für Konkurrenz und irgendwann Leerstand. Stattdessen sollten wir die Qualität in die Innenstädte zurückholen und nicht alteingesessene Geschäfte von großen Ketten verdrängen lassen.

Warum ist es nicht gelungen, große Arbeitgeber wie Haribo in Bonn zu halten?

Weede: Die Frage müsste lauten: Hätte Bonn Haribo das bieten können, was es in der Grafschaft bekommt. Ich glaube schon. Aber offensichtlich waren die Kollegen aus Rheinland-Pfalz einfach schneller. Grundsätzlich können wir mit guter Infrastruktur die Unternehmen hier halten. Pluspunkte, die wir schon haben, sind die Hochschulen, gut ausgebildete Fachkräfte und die Stärken eines Wissenschaftsstandorts.

Es gehen immer mehr ministerielle Arbeitsplätze nach Berlin. Thema für den DGB?

Weede: Natürlich hätten die Bonner die Ministerien gerne voll und ganz. Der Führungsstab muss aber nicht komplett an einem Ort sein. Ein Staatsvertrag könnte Sicherheit schaffen. Bonn sollte aber auch seine Qualitäten ausspielen. Denn europapolitisch ist die Bundesstadt ein angenehmerer Standort als Berlin.

Machen Sie sich Sorgen, wenn demnächst die Bauarbeiten am Tausendfüßler und der Nordbrücke anstehen?

Weede: Ja, denn die Pendler verbringen dann noch mehr Zeit auf der Straße. Für die Unternehmen ist es ein unheimlicher Produktivitätsverlust, riesige Umwege fahren zu müssen. Und auch die Umwelt wird durch die Staus belastet.

Wo müsste man investieren?

Weede: Wir hätten viel früher investieren müssen. Langfristig ist ein attraktiveres Nahverkehrssystem wichtig, nur mit dem Auto werden wir da nicht weiterkommen. Es gilt, den Verkehr zu verzahnen, durch „Park and Ride“-Plätze oder die Fahrradmitnahme im Öffentlichen Nahverkehr. In Trier gibt es sogar eigene Anhänger an den Bussen, wo man die Räder abstellen kann. Wichtig sind aber auch mutige neue Diskussionen wie die über die Seilbahn auf den Venusberg oder ein Bürgerticket für alle.

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