WCCB - Die Millionenfalle, Teil 76 Bärbel Dieckmann: "Wer oben steht, hält den Kopf hin"

Bonn · Im Prozess gegen Kim, C. & Co. wird zunehmend auch die undurchsichtige Rolle der Stadt Bonn beleuchtet. Neue Dokumente: Nach GA-Informationen soll die frühere Oberbürgermeisterin das "Kündigungsschreiben" ihrer Projektleiterin geändert haben.

 Was wusste Bonns Ex-OB Bärbel Dieckmann?

Was wusste Bonns Ex-OB Bärbel Dieckmann?

Foto: dpa

Der erste Prozess zur komplexen WCCB-Vergangenheit gegen "Investor" Man-Ki Kim, Stadt-Berater Michael Thielbeer und Kims Rechtsberater Wolfditrich Thilo und Ha-S. C. zieht sich wie Kaugummi. Wollte man eine Tendenz in den vielen Zeugenaussagen erkennen, so stand das Rathaus 2005 mehr oder weniger vor der Wahl: Kim oder kein WCCB.

Andere Investoren sahen in Bonn keine Chance zum Geldverdienen. Ob Kim in Bonn nur eine öffentliche Geldquelle suchte, um andere Projekte, etwa in Libyen, zu finanzieren?

Mitte 2005 hatte nur die Sparkasse KölnBonn Kims Firma SMI Hyundai Corporation nüchtern bewertet - als nicht vertrauenerweckendes Leichtgewicht. Von uns kein Cent für Kim! Doch im Hintergrund sorgten bis heute nicht enttarnte Kräfte mit einer verheerenden Spielregel - Investor baut, Stadt bürgt - für eine Kehrtwende.

In diesen Tagen sitzt Arno Hübner im Zeugenstand. Heute soll er von den Staatsanwälten befragt werden. Der ehemalige Stadtdirektor und Leiter der WCCB-Projektgruppe (bis 2007) erzählt einstweilen seine Version, während neben ihm sein Anwalt sitzt: Stefan Hiebl aus der Kanzlei Mehle-Eimer-Heuschmid, in der auch Bärbel Dieckmanns Ehemann Jochen, Ex-NRW-Justizminister, als Anwalt tätig ist. Auch Hübners Ex-Kollegin Eva-Maria Zwiebler wird von dieser Kanzlei vertreten. Bislang haben die Richter den heißen Brei nur angetippt. Was wusste die ehemalige OB Bärbel Dieckmann? Gegen sie sind alle Ermittlungen eingestellt, während Hübner und Zwiebler wegen Untreue im besonders schweren Fall angeklagt sind. Im schlimmsten Fall droht beiden eine Haftstrafe.

Beobachter bezweifeln, dass sich die zähe Wahrheitsfindung beschleunigt, wenn Hübner und Zwiebler auf der Anklagebank sitzen. Welche Rolle spielen die Anwälte? Naheliegend wäre, wenn Hübner und Zwiebler einen Kanzleiwechsel erwägen. Ein Hemmschuh: Die Einarbeitungszeit neuer Verteidiger in die wandfüllenden Aktenberge würde der Arbeitgeber, die Stadt Bonn, nicht bezahlen.

Es wird vermutet, dass die Anwälte eine Strategie verfolgen, wonach im WCCB-Dschungel eine strafrechtliche Schuld für keinen städtisch Handelnden individuell nachweisbar ist. Alle haben irgendwie alles und subjektiv nichts gewusst, bis zum bitteren Ende stur Zuversicht ausgestrahlt und trugen im Rucksack bestellte Gutachten, die alles Handeln rechtfertigen.

Vor Gericht entsteht der Eindruck, dass das städtische WCCB-Team über beachtliche Schwarmintelligenz verfügte, um ein auswegloses Projekt machbar zu machen, aber alles Wissen um die Vergangenheit sich sofort verflüchtigt, sobald "Schwarmmitglieder" einzeln aussagen sollen, wie etwa Zeuge Wilfried van Forst ("Ich war nur für die Technik zuständig"). Oft blockieren auch Erinnerungslücken, wenn Richterfragen die Loyalität zum Schwarm gefährden, den Weg zur Wahrheit.

Unter diesen Vorzeichen lässt sich auch Zeuge Hübner betrachten. Er spricht flüssig. Keine Frage überrascht ihn. Es fällt auf, dass er, obwohl offiziell die WCCB-Projektgruppe leitend, hier und dort betont: Dies und das habe die WCCB-Geschäftsstelle, die in der Zuständigkeit von Zwiebler lag, geregelt; er nennt das "Arbeitsebene". Wer will, kann erste Absetzbewegungen heraushören. Hübner malt ein Bild, in dem er, "da ich ja noch Stadtdirektor war", mehr über dem Projekt schwebte als in ihm arbeitete.

Und nebenbei sagt Hübner: "Über wesentliche Dinge war die Oberbürgermeisterin immer informiert." Jeder Bürger wäre überrascht, wenn es anders gewesen und das Wesentliche an der Verwaltungschefin vorbeigelaufen wäre. 2004 sagte Ex-OB Dieckmann bei den Kiersper Stadtgesprächen: "Nein, Juristin muss man als Bürgermeisterin nicht sein. Ja, Teamfähigkeit ist wichtig, aber am Ende muss man allein entscheiden."

Ein Jahr zuvor hatte sie dem GA gesagt: "Wer oben ist, hält den Kopf hin. Das ist so." Die Frage lautete 2003: "Ärgert es Sie als Chefin der Verwaltung, bisweilen den Kopf für Dinge hinhalten zu müssen, die ihre Mitarbeiter verbockt haben?" Wer hat beim WCCB den "Bockmist" verzapft? Waren es tatsächlich nur Kim & Co.?

Dieckmanns erster Strafverteidiger erklärte am 8. Dezember 2009: "Der Rat wusste alles, was Frau Dieckmann wusste. Mehr Wissen besaß sie nicht." Da der Stadtrat wenig wusste, stellt sich die Frage, wer überhaupt etwas über ein Großprojekt wusste, für das die Stadt letztlich mit über 100 Millionen bürgte. 29 Monate später teilt die Staatsanwaltschaft mit, dass nicht nachzuweisen gewesen sei, dass Dieckmann "alle für eine Strafbarkeit relevanten Informationen" besessen habe. Was strafrechtlich hilft, führt jedoch vermutlich schnurstracks zu Verstößen gegen Dienstanweisung und Gemeindeordnung (siehe Text unten rechts) - zu einem Disziplinarverfahren.

Hübner berichtet auch über die Rathaus-Kommunikation: "Spontan und offen per Mail; es wurden Gedanken ausgetauscht, was früher telefonisch gemacht wurde." Will sagen: So wurden eben vermehrt Spuren des Nachdenkens, also nichts Verbindliches, hinterlassen. "Über Ergebnisse wurde weniger per Telefon oder Mail, sondern persönlich berichtet, zum Beispiel an den Verwaltungsvorstand, dem Dezernenten und OB angehören."

Nur OB Dieckmann blieb bei der alten Kulturtechnik des Gedankenaustauschs - nur sprechen, notfalls via Telefon. Keine Mails, keine Spuren. Auch keine Protokolle im WCCB-Unterausschuss, wo Mitglieder der im Rat vertretenen Parteien über die WCCB-Entwicklung informiert wurden, was der Ex-Beamte Hübner, der im Stadthaus als Inkarnation des Korrekten gilt, vor Gericht heute treuherzig als "Nachteil", nicht aber als eklatantes Versäumnis bezeichnet. Der Nutzen eines spurenloses Wirkens war offenbar früh erkannt und möglicherweise eine notwendige Bedingung, das Projekt überhaupt bis zum Spatenstich zu lancieren.

Es ist längst belegt, dass beim WCCB früh "der Baum brannte", ohne dass der Lichterschein der Flammen nach außen drang. Hübner erkannte bereits im Februar 2008, dass das WCCB Richtung Abgrund marschierte: "Es muss ein Imageschaden vermieden werden, der sicherlich zu bundesweiten Schlagzeilen führen wird." Bald verkündete OB Dieckmann, dass sie ("Demokratie lebt auch vom Wechsel") nicht mehr kandidiert. Denkbar, dass ab August 2008 alle Aktivitäten sich nur noch daran orientierten, die WCCB-Flammen bis zur Wahl am 30. August 2009 unsichtbar zu halten. Nicht wirklichkeitsfremd ist auch die Annahme, dass angesichts des absehbaren Desasters früh versucht wurde, der Nachwelt "saubere Akten" zu hinterlassen - sauber in dem Sinne, dass jeder Akteur bestrebt war, Fehler und Verantwortung auszuradieren oder zu kaschieren.

Das lassen auch zwei Schreiben von Zwiebler erkennen (siehe Dokumentation links). Danach strich Dieckmann in Zwieblers ursprünglicher "Kündigungsversion" alle Passagen, die darauf schließen lassen, dass sie, Dieckmann, Hilferufe der Projektgruppe nach mehr Sachverstand ignoriert hatte. Zwiebler sieht indes eine unfähige Expertokratie als Hauptursache des Scheiterns. Und die GA-Millionenfalle: Hätte die Zeitung dem WCCB nicht ihre von kontinuierlicher Rathaus-PR aufgebaute Glitzerfassade weggerissen, wäre "der Zeitplan eingehalten worden". Das spiegelt eine Mischung aus Realitätsverlust und Naivität oder, wahrscheinlicher, bereits das Bestreben, von städtischem Missmanagement abzulenken. Denn bereits 17 Tage vor der ersten Millionenfalle hatte das Landgericht entschieden, dass das WCCB nun Arazim (Zypern) gehört. Damit war für Normaldenker auch der Millionen-Joker Honua weg. Dennoch träumte das Rathaus bis zur Wahl von weiteren 30 Millionen aus Hawaii.

Andererseits: Zwiebler blendet in ihrer "Kündigung" nicht mehr konsequent aus, wie sehr der städtische Rechtsberater Jürgen Lauer vor Kim/Hyundai gewarnt hatte oder dass die Sparkasse die Akte für die Herren aus Fernost eigentlich schon zugeschlagen hatte (s. Millionenfalle 74). Zudem hatte die Stadt akzeptiert, dass die Bagger ohne nachgewiesenes Kim-Eigenkapital rollen durften. Zwiebler gesteht: "Heute muss ich mir den Vorwurf machen, dass ich auf die “Bedenkenträger„ hätte hören sollen." Wer hinter den Kulissen jedoch welche Strippen zog, damit ein "Investor ohne Geld" in Bonn überhaupt mit Sparkassen-Unterstützung an den Start durfte, ist bis heute unbeantwortet. Auch vor Gericht. So ist der Nebel geblieben.

Auf Zwieblers Kündigung der WCCB-Projektleitung reagierten involvierte Sparkassen-Mitarbeiter: "Liebe Frau Zwiebler, viele aus Politik und Verwaltung haben sich im Glanze dieses Projektes dargestellt und gesonnt (...) Wo es nun kritisch und eng wird, sind alle plötzlich weg und noch schlimmer: Sie haben es natürlich alle schon vorher geahnt." Das klingt wie ein solidarischer Gruß.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort