Buchmesse Migration Autor Haydar Karatas liest im Haus der Geschichte

Bonn · Haydar Karatas war 16, als türkische Polizisten ihn 1989 zum ersten Mal in Haft nahmen. „Dabei war das Ganze doch kaum mehr als ein Witz“, sagt der heute 44-Jährige vor seiner Lesung zum Auftakt der 11. Buchmesse Migration im Haus der Geschichte.

 Der in der Türkei verfolgte Schriftsteller Haydar Karatas schrieb seinen ersten Roman Nachtfalter im Gefängnis.

Der in der Türkei verfolgte Schriftsteller Haydar Karatas schrieb seinen ersten Roman Nachtfalter im Gefängnis.

Foto: Martin Wein

An Istanbuls größtem Gymnasium habe er in der Schülerzeitung eine Kurzgeschichte veröffentlicht – mit Schreibmaschine getippt und mit dem Kopiergerät vervielfältigt. Dafür blieb der Internatsschüler aus der kurdischen Volksgruppe der Zaza 15 Tage in Polizeigewahrsam und weitere zwei Wochen in Haft.

Im Jahr 2017 kann Karatas, der nach seiner illegalen Ausreise im Exil in Zürich lebt, bei der Anbiederung Europas an die Türkei nur mit dem Kopf schütteln. Deren Präsident, Recep Tayyip Erdogan, kenne nur zwei Welten: Die Islamische und die der Feinde. Erst am Donnerstag habe der Präsident vor Re᠆kruten geäußert, Türken kämen als Soldaten zur Welt. Karatas fürchtet einen offenen Krieg – zunächst die Besetzung Nord-Syriens, dann gegen Griechenland oder Israel. „Erdogan will keine friedliche Koexistenz mit dem Westen. Wir sind seine Feinde“, glaubt der Autor.

Trotz seiner ersten Erfahrung mit der Justiz empfand Karatas die Türkei in den 1990er Jahren zunächst durchaus liberal: Egal ob Türken, Kurden, Zaza oder auch Sunniten, Alewiten, Christen oder Anhänger einer Naturreligion – alle hätten zwar ihre Standpunkte vertreten, aber doch im friedlichen Miteinander. So schrieb Karatas nach seiner ersten Verhaftung weiter, ging zum Philosophie-Studium nach Izmir.

Doch seine Nähe zu linken Gruppen, so erzählt er im Gespräch mit dem GA, habe ihn erneut ins Visier der Polizei gerückt. Im März 1993 wurde er mit drei Kommilitonen wegen marxistisch-leninistischer Umtriebe zu lebenslanger Haft verurteilt. Zehn Jahre und vier Monate schubsten ihn die Behörden durch elf Gefängnisse im ganzen Land. In dieser Zeit schrieb er nach den Erzählungen seiner Großmutter seinen ersten Roman „Nachtfalter“ über den Aufstand seines Volkes 1937/38. Dabei kamen nach offiziellen Zahlen über 13.000 Menschen ums Leben. Das Manuskript aber wurde konfisziert. Erst mehr als zehn Jahre später konnte Karatas es im Exil rekonstruieren. 2015 erschien das Buch auf Deutsch (Dageli Verlag). Derzeit schreibt er an der Fortsetzung.

Karatas warnt vor Erdogan

Haydar Karatas ist einer von zahlreichen Autoren, die bis Sonntag unter dem diesjährigen Motto „ankommen – teilwerden – gemeinsam gestalten“ bei der Buchmesse Migration im Haus der Geschichte bis Sonntagabend ihre Bücher vorstellen. Dabei stehen Fluchterfahrungen, Traumata, aber auch die ersten Schritte im Gastland im Mittelpunkt. Wie die Kabarettistin Ibrahima Ndiaye am Samstagabend zeigen will, muss das nicht unbedingt in Trübsal münden. Und afrikanisches Essen, Musik und ein Kinderprogramm sorgen für Abwechslung.

Veranstalter der Messe sind das Bonner Institut für Migrationsforschung und interkulturelles Lernen (BII) e. V. und die Migrations- und Flüchtlingsarbeit des Evangelischen Kirchenkreises Bonn. Vor allem der BIM-Vorsitzende Hidir Celik nutzte die Eröffnungsveranstaltung dabei auch für deutliche Worte. Eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen halte er für realitätsfern. „Trotzdem glaube ich, dass unser Land nicht noch einmal so viele Flüchtlinge aufnehmen kann wie 2015“, sagte er.

Von gelungener Integration könne man nicht einmal bei den Kindern und Enkeln der ersten Gastarbeiter sprechen, sagte Celik, dessen Eltern selbst in den 1960er Jahren zuwanderten. Schließlich schafften 39 Prozent aller türkischstämmigen Jugendlichen keinen Schulabschluss. Man müsse mit vereinten Kräften in Stadtteilen wie Tannenbusch, Brüser Berg oder Bad Godesberg Jugendliche aus der „Umarmung“ der Salafisten befreien, um eine weitere Verschärfung von Parallelgesellschaften zu vermeiden.

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