Bebauungspläne in Bonn Architekten halten Richtlinien der Stadt für überaltert

BONN · "Rund 73 Prozent aller Bebauungspläne sind älter als 30 Jahre", so der Bonner Architekt Ralph Schweitzer. Es gebe sogar Bereiche, etwa in Mehlem, wo sich die Baubehörde der Stadt auf das preußische Fluchtliniengesetz beruft - und das stammt vom 2. Juli 1875.

So mancher, dem die Südüberbauung am Bonner Hauptbahnhof oder die Pläne auf den Arealen daneben nicht gefallen, wird sich wohl wünschen, dass die alten Statuten noch Bestand hätten. So wie die "Ortssatzung zum Schutz gegen Verunstaltung", die 1909 für die Bonner Innenstadt verabschiedet wurde. Doch die ist längst nicht mehr gültig. Und doch gibt es Gegenden in Bonn, für die Bebauungspläne von anno dazumal nichts Ungewöhnliches sind. Im Gegenteil.

Das Schlimmste aber sei, so der Vorsitzende des Bundes Deutscher Architekten Bonn/Rhein-Sieg (BDA), Nikolaus Decker, dass sich die Verwaltung "sklavisch an die Vorgaben hält und vor der Politik geradezu in Schockstarre verharrt". So sei etwa der Ausbau eines Dachgeschosses in einem Sechsfamilienhaus an der Witterschlicker Allee abgelehnt worden, weil der Bebauungsplan aus den 80er Jahren nur zwei Wohnungen pro Baukörper erlaube.

Decker: "Das ist ein typisches Beispiel. Mit solchen absurden Dingen haben Architekten in Bonn dauernd zu tun." Ein anderes Beispiel: Aus dem Jahr 1977 stammt der Bebauungsplan für den Bad Godesberger Ortsteil Muffendorf. Und dieser sieht noch eine 14 Meter breite Entlastungsstraße quer durch das beschauliche Örtchen vor.

"Es gibt 1050 Bebauungspläne in Bonn, 850 haben wir untersucht und festgestellt, dass das Gros dieser Pläne völlig überaltert ist. Das Problem ist ja, dass keine neuen städteplanerischen Erkenntnisse einfließen können", so Schweitzer. "Wenn man sich das mal bildlich vorstellt: Wenn die meisten Bebauungspläne aus dem 1982 und älter sind, dann sprechen wir von der Generation VW-Santana und Commodore 64. 1982 wurde der erste Opel Corsa eingeführt! Handys gab's nicht, unser Berufs- und Alltagsleben war ein völlig anderes - und das spiegelt das Baurecht in keinster Weise wider."

Am Rhein werde im Bonner Süden immer noch Platz für eine Rheinbrücke vorgehalten, die längst gebaut ist - die Konrad-Adenauer-Brücke. Und so gebe es etwa auch in vielen Gegenden Bonns die Einschränkung, dass nicht mehr als zwei Wohneinheiten pro Haus zugelassen sind. "Das stammt noch aus der Zeit, als man Angst hatte, die Leute würden nur noch teuren Wohnraum für Bundestagsabgeordnete schaffen", so Schweitzer.

Aus Sicht von Peter Hawlitzky, Leiter des Kataster- und Vermessungsamtes der Stadt Bonn, entsprechen viele der Vorgaben nach wie vor heutigen städtebaulichen Vorstellungen. "Das ist nicht so, dass sie überholt wären. In der Bonner Südstadt oder im Bad Godesberger Villenviertel will man ja bewusst die Strukturen erhalten", so Hawlitzky. Natürlich gebe es aus seiner Sicht auch Pläne, die sicher überaltert seien: "Unsere Kapazitäten sind aber begrenzt. Da müssen wir uns auf Bebauungspläne konzentrieren, die zur Wohnbebauung dienen."

Egal, ob es um Straßenbau oder das Thema Nachverdichtung gehe - das Planungsrecht in Bonn, so Schweitzer, verhindere eine städtebauliche Entwicklung. Und das Schlimmste aus Sicht des Architekten: "Statistisch werden in Bonn pro Jahr sechs Bebauungspläne verabschiedet oder aktualisiert. Bei dem Tempo brauchen die Mitarbeiter bei der Stadt 100 Jahre, bis sie alles abgearbeitet haben."

Und weil es so sei, überließen Politik und Verwaltung die Arbeit gerne Investoren: "Dann wird ein sogenannter vorhabenbezogener Bebauungsplan in die Wege geleitet, mit dem der Investor das Maximale aus den Arealen herausholt - und die Anwohner laufen zu recht Sturm. Aber so stehlen sich Politik und Verwaltung aus der Verantwortung", so Schweitzer.

Hawlitzky sieht das anders: "Der vorhabenbezogene Bebauungsplan ist ein richtiges Instrument. Das andere ist der Unterausschuss Bauplanung, in dem alle Bauvorhaben landen, die im Widerspruch zum bestehenden Baurecht stehen", so der Amtsleiter. "Darüber bekommen wir oft genug den Auftrag, etwas zu ändern." Solche Verfahren, meint Decker, dauerten immer länger. "Heute muss man doch mit gut drei bis fünf Jahren rechnen", so der Architekt. Hinzu kämen immer mehr Forderungen nach Gutachten. "Das lähmt die Stadtentwicklung", so Schweitzer.

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