Prozessauftakt vor dem Bonner Schwurgericht Angeklagter gesteht Schüsse auf Auto

Bonn · Ein 34-Jähriger hatte einen Unbeteiligten mit einem Mitglied der „Fist Fighter“ verwechselt. Er selbst war Anwärter bei den „Bandidos“. Jetzt muss er sich vor Gericht verantworten.

Es ist die Nacht auf den 16. März 2016, als auf der schnurgeraden Deutschherrenstraße in Bad Godesberg zwei Autos mit über 100 Sachen hupend über den Asphalt jagen. Schließlich überholt der hintere den roten Citroën mit Kölner Kennzeichen, bremst ihn aus und bringt ihn zum Stoppen. Es folgt – mitten in Lannesdorf – eine gespenstische Szene: Der Verfolger steigt aus, zieht eine Pistole, zielt und schießt. Der Fahrer des Citroëns bekommt Panik, schützt sich – „so wie wir es aus Krimis kennen“ – hinterm Lenkrad und gibt zugleich Gas. Der fremde Schütze feuert drei weitere Schüsse ab. Der 30-Jährige hat Glück: Keine Kugel trifft ihn; er wird durch Splitter des durch die Einschüsse berstenden Fensterglases leicht verletzt. Eineinhalb Tage später meldet sich ein 34-jähriger Bonner bei der Polizei, legt ein Geständnis und die Waffe ab.

Aufmarsch der „Fist Fighter“ löste den Angriff aus

Vor dem Bonner Schwurgericht muss sich seit Donnerstag der mutmaßliche Schütze wegen versuchten Totschlags sowie Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten. „Das Ganze war ein Irrsinn. Ich wollte mich für die Tat entschuldigen“, eröffnete der arbeitslose Trockenbauer sein Geständnis. „Aber ich habe niemanden verletzen, geschweige denn töten wollen.“ Den Fahrer des roten Autos habe er „nur etwas erschrecken wollen.“ Einen Denkzettel verpassen, so bezeichnete es der Angeklagte. „Wenn ich den Fahrer hätte töten wollen, wäre das ein einfaches Spiel gewesen. Ich stand keine zwei Meter von ihm entfernt.“

Später stellte sich heraus, dass der Angeklagte den Mann am Steuer verwechselt hatte. Er glaubte, ein Mitglied des Boxclubs „Fist Fighter“ vor sich zu haben, den die Polizei als rockerähnliche Gruppe einstuft. Die „Fist Fighter“ hatten nach GA-Informationen Streit mit einer Gruppe von Albanern, zu der wohl auch der Angeklagte gehörte. Der 34-Jährige selbst erzählte vor Gericht, er sei ein Jahr lang Anwärter bei den „Bandidos“ gewesen. Ob die Albaner-Gruppe etwas mit der berüchtigten Rockergang zu tun hatte, blieb am ersten Prozesstag unklar.

Angeklagter spricht von Morddrohungen

An jenem Abend seien rund 15 „Fist Fighter“ überraschend in drei Autos vorgefahren, berichtete der Angeklagte. Schreiend seien sie mit Schlagstöcken und Baseballschlägern auf ihn losgegangen. Im Hof seiner Eltern habe er sich retten und in einer Garage verstecken können; da hätten die „Fighter“ die Aktion abgebrochen. Später, nachdem er sich Verstärkung von etwa 15 „Freunden“ geholt habe, sei ihm der rote Pkw aufgefallen, der kurz vor Mitternacht die Straße entlangkam, vor ihnen wendete und dann wieder wegfuhr. „Nicht schon wieder“, habe er gedacht. „Nach dieser extremen Sache war ich so aufgewühlt, dass ich dachte, der Fahrer sei einer der Typen, die mich zuvor gejagt hatten.“

Daraufhin habe er sich, „ohne nachzudenken“ ins Auto des Vaters gesetzt, die Pistole – eine umgebaute Glock, die auch Dauerfeuer abgeben kann – hatte er vorher eingesteckt. Besorgt hatte er sich die Waffe angeblich drei Monate zuvor, weil er wiederholt Morddrohungen bekommen haben will. Warum er in der Nacht von den „Fist Fightern“ angegriffen wurde, weiß der 34-Jährige angeblich nicht. Er habe mit niemandem Streit gehabt. „Grundlos passiert so was nicht“, meinte Kammervorsitzender Josef Janßen. Aber eine Antwort blieb der Angeklagte schuldig.

Fast genau ein Jahr zuvor hatten sich die „Fist Fighter“ vor der Bar „Take Two“ in der Innenstadt eine Massenschlägerei mit dem Rockerclub United Tribuns geliefert. Dabei wurde der damalige Präsident der „Fist Fighter“ durch Pistolenschüsse am Bein verletzt. Vor einigen Wochen hat die Bonner Staatsanwaltschaft einen 35-Jährigen, den sie für den Schützen hält, und dessen 30-jährigen Bruder wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Beide gehören den Ermittlern zufolge zu den Tribuns und müssen sich demnächst vor dem Schwurgericht verantworten. Seit einer Razzia im Mai 2016, bei der 50 Beamte Häuser in Bonn, Düsseldorf und Bad Münstereifel durchsucht hatten, ist es um die „Fist Fighter“ ruhig geworden.

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