Geldwerte Rohstoffe im Abfall Wie Bonn vom Klärschlamm profitieren will

BONN · Die Stadtwerke wollen in Zukunft Phosphor aus dem Abfallprodukt gewinnen. Daher plädieren sie für einen neuen Ofen neben der bestehenden Müllverbrennungsanlage im Bonner Westen. In der Kläranlage Salierweg wird der Schlamm gesammelt.

 In der Kläranlage am Salierweg wird der Klärschlamm gesammelt und gereinigt.

In der Kläranlage am Salierweg wird der Klärschlamm gesammelt und gereinigt.

Foto: Nicolas Ottersbach

Was in dem trüben Wasser unter dem Gitter auf dem Boden schwimmt, bleibt zunächst verborgen. So lange, bis die Motoren des Förderbands anspringen. Dann taucht ein Rechen mit Getöse in die Tiefe ab und holt eine faulig stinkende Masse nach oben. Was der Bonner Kläranlagen-Chef Achim Höcherl liebevoll „Klabusterbeeren“ nennt, ist eine Mischung aus Fäkalien, Toilettenpapier und Hinterlassenschaften, die in der Kloake landen. Aus all dem, was nach der Abwasserreinigung als Klärschlamm übrig bleibt, wollen die Stadtwerke Bonn etwas Brauchbares machen. Doch um den Rohstoff Phosphor gewinnen zu können, braucht das kommunale Unternehmen eine moderne Verbrennungsanlage.

Es gibt nur wenig, für das die Europäische Union keine Regelungen hat. Das war auch schon vor Jahrzehnten so. Mit der Richtlinie 86/278/EWG beschloss der europäische Gemeinschaftsrat am 12. Juni 1986, die Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft so zu regeln, dass Schäden an der Umwelt verhindert werden. Gleichzeitig wollten die Politiker fördern, dass Klärschlamm ordnungsgemäß genutzt werden kann. Schließlich brachten Landwirte ihn gerne in Massen auf ihre Felder aus, um diese zu düngen.

Weltweite Reserven von Phosphor sind endlich

Doch im Klärschlamm sind giftige Schwermetalle, Krankheitserreger und Rückstände von Arzneimitteln enthalten. 30 Jahre später scheint die Wissenschaft das Pro-blem in den Griff zu bekommen: Durch aufwendige Reinigung, die aber nur wenige Kläranlagen haben, werden die Schadstoffe beseitigt. Mittlerweile gibt es sogar Verfahren, die Rohstoffe aus dem Abfallprodukt gewinnen können. Darunter Phosphor – einer der wichtigsten Rohstoffe überhaupt.

Ohne Phosphor funktioniert kein biologischer Organismus. Er ist aber auch Hauptbestandteil von Düngemitteln. Ohne sie lässt sich der Hunger der Menschheit nicht stillen. Doch so wichtig Phosphor ist, so knapp ist er auch. In der Natur kommt er meist nur in der Erdkruste vor. Vier Länder besitzen rund 80 Prozent der weltweiten Phosphatgestein-Reserven, die wirtschaftlich abbaubar sind: Marokko, China, Jordanien und Südafrika. Wie lange diese Vorräte reichen, dazu gibt es unterschiedliche Szenarien. Sie schwanken zwischen 40 und 120 Jahren. Fest steht: Phosphor ist, wie Erdöl, endlich.

Das alles hat die Bundesregierung dazu bewogen, in der Novellierung der deutschen Klärschlammverordnung, der Enkelin der EWG-Richtlinie, die Rückgewinnung von Phosphor zur Pflicht zu machen. Das trifft auch die Stadt Bonn mit ihren vier Kläranlagen, die bisher am Salierweg ihren Schlamm verbrennen.

Stadtwerke sehen ein Leuchtturmprojekt

„Die Anlage ist in die Jahre gekommen“, sagt Höcherl. Deswegen steht nun die Entscheidung an, was mit ihr passiert. Die Sanierung gilt als nicht wirtschaftlich. Damit sich die Klärschlammverbrennungsanlage in Zukunft rechnet, muss laut Tiefbauamtsleiter Peter Esch deutlich mehr Klärschlamm verbrannt werden als bisher. Um, wie vom Gesetzgeber gefordert, entsprechend viel Phosphor zu gewinnen, sind pro Jahr 35.000 Tonnen nötig. Derzeit sind es rund 8000 Tonnen. Damit bleiben zwei Optionen: Entweder den Klärschlamm außerhalb Bonns verbrennen, oder ihn in neuen Spezialöfen auf dem Gelände der Müllverbrennungsanlage (MVA) der Stadtwerke Bonn verwerten.

Für die Stadtwerke ist die MVA der ideale Standort für die Klärschlammverbrennung. „Es kann ein Leuchtturmprojekt werden, das sich am Profil Bonns als UN-Klimahauptstadt orientiert und weit über die Grenzen der Stadt wirkt“, sagt SWB-Sprecher Werner Schui. Denn die MVA genieße schon jetzt internationales Renommée. „Während der COP 23 waren Besuchergruppen aus Asien und Afrika von dem Konzept der Energiegewinnung aus Müll und der Anbindung an das Heizkraftwerk begeistert“, erzählt er. In der MVA entsteht die Grundlast der Bonner Fernwärme. Wasserdampf, der bei der Müllverbrennung erzeugt wird, gelangt in das Heizkraftwerk Nord und wird dort zur Strom- und Fernwärmeversorgung genutzt. Von dort aus geht die Wärme über ein Rohrnetz in die Haushalte. Je länger das Rohrnetz, desto mehr Energie geht verloren.

Doch genau da liegt das Problem der Fernwärme. Je länger das Rohrnetz wird, desto mehr Energie geht auf dem Weg zum Verbraucher verloren. „Am effizientesten ist es also, ein möglichst zentrales Heizkraftwerk zu haben.“ Ein Grund, warum der Superofen vor knapp 30 Jahren mitten in die Bonner Weststadt gebaut wurde. Die Lage der damals modernsten Verbrennungsanlage Europas sollte auch die Fahrten der Müllwagen verkürzen. „Viel wichtiger war aber, die MVA an das Heizkraftwerk an der Karlstraße zu koppeln.“ Nach demselben Prinzip soll nun die Klärschlammverbrennung funktionieren. Energie, die gewonnen wird, landet im Fernwärmenetz.

Veränderungen in der Abwasserwirtschaft

Wie das aussehen kann, untersuchen Forscher der RWTH Aachen seit einigen Jahren. „Die Abwasserwirtschaft ist dabei, sich entscheidend zu verändern“, sagt David Montag vom Institut für Siedlungswasserwirtschaft. Doch momentan gibt es noch keine ausgereiften Verfahren. Bei dem, was die Stadtwerke Bonn anstreben, wird der Klärschlamm speziell verbrannt und Phosphor aus der Asche gewonnen. „Dadurch erreicht man die besten Rückgewinnungsquoten von etwa 80 Prozent“, erklärt Montag. Welche Variante die beste ist, hänge von der Sichtweise ab. „Für Kommunen ist es die kostengünstigste, für Ressourcenschützer die mit der besten Rückgewinnung.“ Auch wenn noch geforscht werde, müssten sich Städte und Gemeinden schon jetzt mit dem Thema beschäftigen, um die gesetzlich Fristen in den Jahren 2029 und 2032 einzuhalten.

Montags ehemaliger Studienkollege Thomas Siekmann berät Kommunen und Unternehmen in der Frage, wie Klärschlamm verwertet werden kann. Dabei bleiben zwei Möglichkeiten: auf Feldern verteilen oder verbrennen. „Die nutzbaren Flächen werden durch die Nährstoffgrenzwerte immer kleiner“, sagt Siekmann. Gleichzeitig gebe es mit der Gülle und Biogärresten mehr Konkurrenten auf dem Markt. Die Phosphorgewinnung gilt in der Branche bisher als die beste Lösung. „Beim Thema Klärschlamm wird die interkommunale Zusammenarbeit immer wichtiger. Es geht darum, Synergien zu schaffen“, sagt Siekmann.

Um den Klärschlamm zu lagern, braucht es Halden. Gleiches gilt für die Phosphor-Asche. Platz gibt es im Abfallzweckverband Rheinische-Entsorgungs-Koopera-tion (REK) genug. Zu ihm gehören neben der Stadt Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis auch die Kreise Neuwied, Ahrweiler und Rhein-Lahn. Im Gegenzug könnten sie ihren Klärschlamm zum Verbrennen nach Bonn liefern. „Je größer die Durchsatzmengen sind, desto wirtschaftlicher können die Anlagen betrieben werden“, sagt Siekmann.

Geht es also doch nur ums Geld? Schui verneint nicht, dass die Stadtwerke und damit die Stadt von der neuen Klärschlammverbrennung finanziell profitieren würden. Einnahmen, die im Falle einer Verwertung außerhalb Bonns abfließen. Den künftigen Wert von Phosphor kann Schui nicht bemessen. Angesichts der schwindenden Ressourcen scheint es logisch, dass er steigt. „Aber allein durch die Verbrennung des Schlamms aus anderen Kommunen werden die Abwassergebühren bei uns sinken.

Klärschlammverbrennung ist ein lukratives Geschäft

Wenn da nicht das Problem mit dem Verkehr wäre, das Kritiker anmahnen. Denn der Müll muss erst einmal in die Weststadt geliefert werden. In einer Modellrechnung, die der Bonner Umweltausschuss gefordert hat, kommt auch die Stadt zu dem Schluss: Die MVA-Lösung sorgt für mehr Verkehr. Statt 7000 Tonnen Klärschlamm aus der Stadt etwa 40 Kilometer weit zu transportieren, müssten 24 000 Tonnen – etwa aus Neuwied – 71 Kilometer in die Stadt gefahren werden. Für letzteres sind nach Schätzungen der Stadtwerke täglich etwa 36 Lastwagen mehr notwendig. Dabei hatte die Stadt schon damals beim Bau der MVA die Zusage gegeben, sie nicht zu erweitern und nur Bonner Müll zu verbrennen. Beide Versprechen gegenüber den Endenichern wurden nicht eingehalten.

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