Wechsel an der Spitze des Museums Koenig Wenn Giraffen und Nashörner verschwinden

Immer mehr Tier- und Pflanzenarten sind ein Fall fürs Museum. Sie sterben aus. Mit ihren Projekten leisten die Experten im Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig (ZFMK) Grundlagenforschung, um diesen Prozess besser zu verstehen. Institutsdirektor J. Wolfgang Wägele, der an diesem Freitag in den Ruhestand verabschiedet wird, hat dazu zwei neue Forschungszentren initiiert. Martin Wein sprach mit ihm über Erfolge und Potenziale.

Die meisten Menschen machen mit Asseln eher ungern näher Begegnung. Sie haben darüber promoviert. Was fasziniert sie daran?

Wolfgang Wägele: Ich habe mich mit Meeresasseln beschäftigt. Zunächst mit einer fast unbekannten Art, die unter anderem im Brackwasser im Nord-Ostsee-Kanal lebt und dort in Wurmröhren krabbelt, um die Würmer zu fressen. Bei ihrer Geburt sind diese Tiere allesamt Weibchen. Viele gehen im ersten Winter zugrunde, weil sie eigentlich wärmeres Wasser brauchen. Wer überlebt, wird zum Männchen. Das war vorher nicht bekannt. Später fiel mir auf: Es gibt ähnliche Tiere im Grundwasser. Ich konnte aber nachweisen, dass die Arten nicht verwandt sind.

Asseln gibt es im Wasser und an Land...

Wägele: ...und inzwischen kann man gut nachweisen, wie die an Land gegangen sind. Es gibt Zwischenformen wie Klippenasseln, die bei Ebbe an Land kommen.

Sie sind im kolumbischen Bogota aufgewachsen. Hatte die dort etwas üppigere tropische Natur Einfluss auf Ihre Studienwahl?

Wägele: Ich habe tatsächlich schon als Sechsjähriger die ganze biologische Vielfalt kennengelernt: sowohl in den Hochanden mit riesigen hochalpinen Flächen ohne Zäune und Wege wie auch in den unglaublich artenreichen Bergwäldern und bis runter in die tropischen Tieflandwälder. Ich habe damals angefangen, Schmetterlinge zu sammeln. Ich las die Reiseberichte Alexanders von Humboldt und wollte auch so leben.

Hat nicht ganz geklappt...

Wägele: Was ich nicht bedacht habe: Humboldt verbrauchte sein Erbe. Normalerweise muss man Geld auftreiben, um sich Forschungsreisen leisten zu können.

Seit 2004 sind Sie Professor für spezielle Zoologie und Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig (ZFMK). In dieser Zeit hat sich das Haus stark verändert, nach außen und nach innen. Warum?

Wägele: Aus Altersgründen trat in dieser Zeit eine ganze Generation ab. So konnte ich die Mannschaft erneuern. Der neuen Generation ist viel bewusster, dass wir gesellschaftlich relevant arbeiten und international konkurrieren müssen. So ist ein wunderbares Team entstanden, das aktuelle Forschungsfragen aufgegriffen hat – vor allem die Entwicklung von Methoden für die Evolutions- und Umweltforschung. Damit sind wir weltweit führend geworden. Und weil die nachfolgenden Evaluierungen so gut ausfielen, konnten wir das Team mit neuen Ressourcen in dieser Zeit verdoppeln.

Die Taxonomie nutzt inzwischen längst Methoden der Genetik und der Mikrobiologie. Sie wünschen sich eine Erweiterung des Forschungsinstituts Alexander Koenig in dieser Richtung. Wie weit fortgeschritten sind diese Ideen?

Wägele: Derzeit entsteht in Poppelsdorf ein Neubau für das neue Zentrum für Molekulare Biodiversitätsforschung. Den wollen wir 2022 einweihen. Es hat 15 Jahre gedauert, bis das Realität wird. Dort werden wir neue Methoden entwerfen. Für die Anwendung benötigen wir ganz andere Teams, die analysieren, wie Veränderungen in der Umwelt sich auf die Artentwicklung auswirken. Dafür wünschen wir uns ein weiteres Zentrum für Biodiversitätsmonitoring. Der Gründungslehrstuhl ist ausgeschrieben und wird hoffentlich im Frühjahr besetzt. Es gibt zusammen mit der Uni Bonn ein Konzept für weitere komplementäre Lehrstühle. Außerdem möchte das Naturkundemuseum in Hamburg als Außenstandort unseres Instituts dazustoßen. Ende des Jahres rechnen wir mit einer Entscheidung.

Vor 20 Jahren wurde die Gaia-Hypothese belächelt. Heute ist die Systemtheorie allgegenwärtig – auch in der Dauerausstellung im Museum Koenig. Wie hat sich das auf Fachwissenschaftler ausgewirkt?

Wägele: Den Planeten als System zu betrachten, fällt manchen Spezialisten immer noch schwer. Grundsätzlich müssen wir in dieser Richtung mehr tun. Aktuell erforschen wir mit Botanikern, Zoologen, Landschaftsplanern und Umwelttoxikologen die Wechselwirkung zwischen Landwirtschaft und der Artzusammensetzung in Naturschutzgebieten. Wir fragen uns, ob von Äckern und Feldern Chemikalien in Naturschutzgebiete eindringen. Außerdem prüfen wir, ob die Monotonie der Landschaft ohne Wegränder, Hecken oder Feuchtgebiete Einfluss auf die Arten in Naturschutzgebieten hat.

Das Artensterben ist am Wochenende auch Thema einer großen Fachkonferenz des ZFMK im Maritim-Hotel. Ist eigentlich bekannt, wie viele Tier- und Pflanzenarten es derzeit gibt?

Wägele: Bei Mikroorganismen weiß niemand, was los ist. Größere Organismen gibt es vermutlich zehn Millionen. Möglicherweise werden es mehr, wenn die Korallenriffe und die Insekten in den Regenwäldern besser erforscht werden.

Wie genau kann man den Artenschwund beziffern?

Wägele: Die Aussterberate beruht auf Schätzungen. Grundlage sind Daten zum Beispiel über die Präsenz von Arten in den Wäldern. Bei Vögeln, Säugetieren, Amphibien und in seltenen Fällen Insekten kann man globale Schätzungen machen und entsprechend extrapolieren. Wir brauchen Experten, die Arten erkennen und bestimmen können. In Deutschland findet man die in Museen, aber es gibt auch sehr viele Bürgerwissenschaftler, deren Arbeit wir stärker einbinden müssen.

Was müsste passieren, um den Artenschwund zu stoppen?

Wägele: Vor allem geht es um unser Verhalten. In Brasilien werden für mehr Rindfleisch riesige Flächen abgeholzt. Bei uns ist die Massentierhaltung ein großes Problem. Die produziert viel Gülle und Stickstoffe. Deshalb hat unser Grundwasser viel zu viel Nitrat. Wir müssen den Energieverbrauch reduzieren und mit verfügbaren Flächen anders umgehen. Parkanlagen, Wegränder kann man so gestalten, dass sie bedrohten Arten Raum geben. Die Erkenntnis sickert langsam durch. Aber auch im Kottenforst werden die Wegränder immer blitzblank gesäubert. Mit jedem Busch werden da Schmetterlingsraupen entfernt.

Die Klimaforscher erheben nach langer Zurückhaltung inzwischen klare politische Forderungen. Müssen auch die Biologen in der Öffentlichkeit deutlicher Position beziehen?

Wägele: Auf jeden Fall. In Stuttgart ist ein Neun-Punkte-Plan zum Insektenschutz verabschiedet worden. Eine Arbeitsgruppe mit Biologen, Ökonomen, Ethikern und Praktikern aus der Landwirtschaft an der Deutschen Wissenschaftsakademie arbeitet an einem Weißbuch zum Schutz der Arten für die Politik.

Andererseits könnte man sagen: Ohne Klimaschutz ist aller Artenschutz doch hinfällig, weil die Ökosysteme völlig durcheinander geraten.

Wägele: Die Klimaveränderung hat einen Einfluss. Aber der Verlust von Pflanzen, Vögeln und Insekten in Europa lässt sich rein statistisch mit Veränderungen in der Landwirtschaft erklären. In anderen Regionen ist es genauso. Wenn in Indonesien oder wie jetzt in Brasilien die Wälder brennen, hat das akut viel größeren Einfluss als der Klimawandel.

Nach Schätzungen verschwinden jeden Tag zwischen drei und 120 Arten unwiderruflich. Das ist 100-mal mehr als natürlicherweise zu erwarten wäre. Wird das Museum mit seiner riesigen Sammlung zum Nachlassverwalter der Evolution?

Wägele: Wir haben jetzt schon einige Arten in unserer Sammlung, die ausgestorben sind. Es ist wahrscheinlich, dass Elefanten- oder Giraffenrassen endgültig verschwinden. Bei Nashörnern ist dieses Risiko sehr hoch. Ich hoffe, dass wir zumindest unsere Besucher anregen, dagegen etwas zu tun.

Die Genforschung macht rasante Fortschritte. Wird es möglich sein, verschwundene Arten wieder zu beleben?

Wägele: Wir haben heute die Möglichkeit, die Moleküle in einer Eizelle künstlich herzustellen. Dazu brauchen wir aber die komplette Information eines Genoms, also nicht nur die DNA im Zellkern, sondern auch die sogenannten Mitochondrien. Man bräuchte dann nur noch eine künstliche Gebärmutter.

Welches Tier aus der Vergangenheit würden Sie gerne einmal live erleben?

Wägele: Der Dodo aus Mauritius ist ein Symbol des Artensterbens. Oder die Moas, die Riesenstrauße aus Neuseeland, wären reizvoll. Von denen fehlt allerdings die DNA.

Wenn Sie demnächst in den aktiven Unruhestand treten, welches Fazit ziehen Sie aus Ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit?

Wägele: Wir haben einen dramatischen Niedergang der Artenkenntnis an den Hochschulen erlebt. Jetzt sind wir auf einem Tiefststand. Aber neue Technologien machen das Thema wieder für Studierende interessant. Und die Bevölkerung steht dahinter.

Und Sie selbst forschen weiter?

Wägele: Ich behalte ein Büro am Institut und habe neue Forschungsprojekte. Im September fliege ich mit Studierenden und meiner Frau nach Indonesien. In Korallenriffen werden wir dort unbekannte Krebsarten bestimmen. Auch Wasserasseln gibt es dort in riesigen Mengen. Das Gute daran: Diese Forschung kostet wenig. Man braucht nur Mikroskop, Papier, Bleistift, Literatur und Geduld.

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