Interview mit Bonns Kripo-Chef Warum die Zahl der Sexualdelikte in Bonn gestiegen ist

Bonn · Die Bonner Polizei verzeichnete 2018 so wenige Straftaten wie seit 1996 nicht mehr, unter anderem weil es immer weniger Einbrüche gibt. Die Zahl der Sexualdelikte ist jedoch gestiegen. Auch Telefonbetrüger, die es auf Senioren abgesehen haben, bereiten Sorge.

Mit Unterstützung von Rauschgifthund Jola hat die Polizei neuralgische Punkte im Stadtgebiet – wie hier 2016 am Museumsplatz – im Blick. Die Kontrollen binden viel Personal.

Mit Unterstützung von Rauschgifthund Jola hat die Polizei neuralgische Punkte im Stadtgebiet – wie hier 2016 am Museumsplatz – im Blick. Die Kontrollen binden viel Personal.

Foto: Axel Vogel

Die aktuelle Kriminalstatistik der Bonner Polizei kann sich sehen lassen. Weniger Einbrüche, weniger Kriminalität auf den Straßen, so wenige Straftaten wie seit 1996 nicht mehr. Doch es gibt auch Negatives: Die Zahl der Sexualdelikte ist gestiegen, Betrüger haben es verstärkt auf Senioren abgesehen. Über Licht und Schatten der Kriminalitätsentwicklung in Bonn und der Region sprach Ayla Jacob mit Kripo-Chef Norbert Wagner.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Kriminalität in Bonn und Teilen der Region?

Norbert Wagner: Aus fachlicher Sicht ist sie sehr bemerkenswert und erfreulich. Allerdings haben wir Bereiche, die sich negativ entwickelt haben, beispielsweise die Sexualdelikte mit einem Anstieg der Fallzahlen um vier Prozent. Aber: Wir haben weniger Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen.

Wie erklären Sie sich den Anstieg?

Wagner: Ein Grund liegt in den schlimmen Ereignissen in der Kölner Silvesternacht 2016. Damals wurde das Strafgesetzbuch geändert, auch Beleidigungen auf sexueller Grundlage gelten nun als sexuelle Belästigungen. Außerdem werden mehr Anzeigen erstattet. Dann gibt es mehr Ermittlungsverfahren gegen Täter, die Kindern und Jugendlichen Dateien mit pornografischem Inhalt mailen. Das ist ein Phänomen, das sich statistisch gesehen 2018 entwickelt hat. Aber es wird weitergehen und verdient unser besonderes Augenmerk.

Wie entsteht der Kontakt?

Wagner: Kinder und Jugendliche verfügen häufiger und früher über Smartphones. Sie nutzen intensiv die sozialen Medien im Internet. Das birgt auch erhebliche Risiken.

Wie will man dagegen vorgehen?

Wagner: Prävention ist der Weg, auf dem ich den größten Erfolg sehe. Die Erziehungsberechtigten müssen auf die Kinder und ihren Medienkonsum achten. Das betrifft auch den Bereich Cyber-Mobbing.

Die Einbruchzahlen haben sich positiv entwickelt.

Wagner: 2013 hatten wir einen fürchterlich hohen Stand. Seither gehen die Zahlen kontinuierlich zurück, wir verzeichnen fast eine Halbierung. Trotzdem hören wir nicht mit unseren erfolgreichen Anstrengungen auf.

Wie wollen Sie das erreichen?

Wagner: Akribische Tatortarbeit ist wichtig. An mehr als jedem zehnten Tatort finden wir Spuren wie Fingerabdrücke und DNA-Spuren. Außerdem konzentrieren wir uns auf Serien, viele Täter begehen mehrere Einbrüche. Wir setzen Teams ein, arbeiten eng mit anderen Behörden zusammen, führen regelmäßig Kontrollen durch. Bei jeder Spur gehen wir operativ vor, zum Beispiel mit Observationen oder Telefonüberwachung. Das führt uns zum Ziel. 2018 konnten wir 122 Tatverdächtige überführen. Zusätzlich bekommen wir Informationen vom Land. Das LKA hat eine sehr gute Software entwickelt. Mit deren Daten wird festgestellt, wo in den nächsten 14 Tagen die größte Gefahr eines Einbruchs besteht. So erkennen wir Brennpunkte, in denen wir unsere Maßnahmen konzentrieren.

Welche sind das in Bonn?

Wagner: Derzeit Dottendorf, Poppelsdorf, Duisdorf, Meßdorf, Auerberg, Buschdorf, Hochkreuz, Plittersdorf, Holzlar, Pützchen und die Bonner Nordstadt.

Im Moment scheint es so, als würden vermehrt Einbrüche begangen.

Wagner: Das ist nicht ganz richtig. Gemessen am Vergleichszeitraum 2018 bis 13. Februar, liegen wir derzeit darunter.

Die Aufklärungsquote ist deutlich gestiegen, auf 27,1 Prozent. Das bedeutet aber, dass dennoch nur circa jeder vierte Einbruch aufgeklärt wird. Woran liegt das?

Wagner: Einbrecher zu ermitteln ist schwierig, weil mehr als 97 Prozent der Täter nicht gesehen werden. Die Chance, die wir haben, sind Spuren. Hilfreich sind auch Hinweise aus der Bevölkerung, von denen wir mehr brauchen könnten. Wichtig ist außerdem die Präventionsarbeit. Wir beraten, damit Bürger ihre Häuser so sichern, dass die Einbrecher gar nicht erst hineingelangen. Das gelingt ganz gut. 50,3 Prozent der Einbrüche sind 2018 im Versuch stecken geblieben. Allerdings stellen wir einen Unterschied zwischen Eigentümern und Mietern fest, Mieter sind noch eine Schwachstelle. Daher haben wir Kooperationen mit Wohnungsbaugesellschaften.

Gibt Ihnen das neue Polizeigesetz eine bessere Handhabe im Kampf gegen Einbruchskriminalität?

Wagner: Ja, es gibt die so genannte strategische Fahndung, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert worden ist. Wenn wir Anhaltspunkte haben, dürfen wir bis zu 28 Tage in einem räumlich eng begrenzten Bereich Personen kontrollieren, ohne dass ein konkreter Verdacht besteht.

Das klingt nach Mehraufwand. Kann der mit dem vorhandenen Personal gestemmt werden?

Wagner: Wir führen ähnliche Kontrollen schon seit zwei Jahren durch, allerdings nicht ohne konkreten Anlass. Dafür bekommen wir Stundenkontingente vom Land zugewiesen, zum Beispiel von der Einsatzhundertschaft. Wir können auch vorhandene Ressourcen nutzen, Synergieeffekte sind das Stichwort. Aber wir könnten mehr Personal gut gebrauchen.

Thema Betrug. Was spielt eine große Rolle?

Wagner: Die Masche falscher Polizeibeamter spielt derzeit die entscheidende Rolle. Wir haben 2018 mehr als 730 Fälle gehabt, was fast einer Verdreifachung der Zahlen entspricht. In den ersten beiden Monaten 2019 haben wir schon mehr als 500 Fälle. Zum Glück scheitern über 98 Prozent der Versuche. Aber im vergangenen Jahr hat es in 13 Fällen geklappt – mit einem Schaden von 423 600 Euro.

Wie erklären Sie sich den Anstieg ?

Wagner: Man kann schnell zu Geld kommen und das Risiko ist gering. Die Täter nutzen aus, dass viele ältere Leute sozial vereinsamt sind. Außerdem sind Senioren häufig nicht in der Lage, als Zeugen zur Verfügung zu stehen; sie scheuen sich, Verwandte und Polizei zu informieren, weil sie sich schämen.

Wer sind die Täter?

Wagner: Es sind oft Menschen, die hier lebten, fließend deutsch sprechen und dann für ein Callcenter in der Türkei angeworben werden. Dort filtern sie Telefonlisten: Sie identifizieren ältere Menschen anhand der Vornamen. Dann rufen sie aus der Türkei an. So ist es schwierig, Ermittlungsansätze zu finden, Wir haben nur eine Chance, wenn uns die Opfer anrufen, bevor es zu einer Übergabe kommt. Und wenn sie dann dem Täter das Gefühl geben, dass noch etwas zu holen ist. Dann können wir die Täter ködern und dingfest machen.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden?

Wagner: Die Kommunikation war zunächst schwierig, entwickelt sich aber ganz gut. Auch die türkischen Polizeibehörden haben kein Interesse daran, dass sich die Täter dort frei bewegen können. Es gibt eine Chance, an die Täter heranzukommen.

Die Straßenkriminalität ist zurückgegangen, die Zahlen sind so niedrig wie seit 40 Jahren nicht mehr. Wieso fühlen sich viele Bonner dennoch nicht sicher auf den Straßen?

Wagner: Das subjektive Sicherheitsempfinden hat viel mit Ängsten zu tun, was häufig nicht rational begründet ist. Wird ein Fall sehr stark dargestellt, verängstigt dies nachhaltig. Wir haben dafür Verständnis. Deshalb sind wir zum Beispiel auch weiterhin in Bad Godesberg, Tannenbusch und im Hofgarten unterwegs. Die Zahlen dort sind sehr gut: Aber deshalb packen wir nicht ein. Unsere Einsätze wirken. Und wir stellen bisher keine Verdrängungseffekte fest.

Kann man das subjektive Sicherheitsgefühl verbessern?

Wagner: Es wird in diesem Jahr genau dazu umfassende Studien geben – in NRW und auch bundesweit. So soll wissenschaftlich analysiert werden, was Politik, Polizei und Behörden tun können. Tatsache ist, dass es diesen auseinanderklaffenden Spalt gibt. Den werden wir nicht ignorieren. Aber wir bitten auch darum, die Zahlen anzuschauen. Wir haben eine Statistik, die wir nicht manipulieren.

Spielt das Thema Salafismus noch eine große Rolle in Bonn?

Wagner: Bonn spielt da nach wie vor eine Sonderrolle. Das liegt an historischen Strukturen, aus Zeiten der Hauptstadt und auch der König-Fahd-Akademie. Damals wurden Beziehungen geknüpft, die bis heute nachhalten. Der Staatsschutz, der personell gut ausgestattet ist, hat darauf ein Auge. Er kümmert sich verstärkt um die Menschen aus dem islamistisch-terroristischen Bereich. Sie werden teilweise offen angesprochen, teilweise verdeckt überwacht.

Gibt es viele Rückkehrer aus Syrien oder dem Irak?

Wagner: Nein, es hat nachgelassen. Aber wir haben nach wie vor Menschen aus dem Bonner Raum, die sich dort aufhalten. Kehren sie zurück, kümmern wir uns um sie.

Wie viele Gefährder gibt es in Bonn und gibt es örtliche Schwerpunkte?

Wagner: Ich möchte keine konkrete Zahl nennen. Örtliche Schwerpunkte in Bonn gibt es nicht.

Beschäftigt Sie das Thema Reichsbürger?

Wagner: Das Thema spielt für uns auch eine Rolle. Wir haben in unserem Bereich, zu dem in diesem Fall auch Euskirchen und Siegburg gehören, ungefähr 170 Personen, die als Reichsbürger gelten. Wir haben aber keine Anhaltspunkte dafür, dass sie in einer Gruppe organisiert sind. Das ist erleichternd.

Und wie sieht es mit Clans aus?

Wagner: Wir haben keine konkreten Anhaltspunkte für einen Clan, der in Bonn und Umgebung agiert. Wir hatten 2018 im Bereich Euskirchen eine Verdachtslage, konnten den Verdacht aber nicht erhärten.

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