Heiliger Fastenmonat der Muslime Viele der 30.000 Muslime in Bonn fasten im Ramadan

Bonn · GA-Reporter Nicolas Ottersbach hat drei Tage lang gefastet und Muslime im Ramadan begleitet. Dabei hat er herausgefunden, was dieser Monat für 30.000 Bonner bedeutet.

Bei jedem Wort pappen die Lippen aneinander. Das Anfeuchten mit der Zunge hilft nur kurz. Wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Vier Stunden noch. Dann gibt es endlich wieder einen Schluck Wasser. Ob der junge Muslim gegenüber wohl den gleichen Gedanken hat? Er gibt in der Ditib-Zentralmoschee in der Bonner Altstadt gerade eine Art Islam-Crashkurs. Geduldig versucht er, einem Katholiken zu erklären, was es mit dem Ramadan auf sich hat. Und stellt ziemlich deutlich klar: „Wenn du nicht Allah anbetest, kommst du in die Hölle.“

Es ist ein Selbsttest. Drei Tage Ramadanfasten. Von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang nichts trinken, nichts essen. Sechsmal am Tag und in der Nacht beten, zum Fastenbrechen in die Moschee gehen. Herausfinden, was man seinem Körper abverlangen kann. Verstehen, was der Ramadan für Millionen Muslime in der Welt und rund 30.000 in Bonn bedeutet.

Der Weg dahin ist nicht weit, zumindest in Metern gemessen. 13 muslimische Gemeinden gibt es in Bonn, eine davon ist die in der Bonner Altstadt, direkt an der Viktoriabrücke. Links das Kulturzentrum Kult 41, rechts die Kunstgalerie Fabrik 45. Vor der Tür gibt es kaum Parkplätze – die meisten Gläubigen kommen zu Fuß. Stattdessen steht dort ein weißes Minarett, oder eher eine Attrappe. Massiv aus Beton gegossen ertönt von hier kein Gebetsruf, so wie in muslimischen Ländern üblich.

Ramadan in der Bonner Ditib-Moschee
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Ramadan in der Bonner Ditib-Moschee

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„Das ist verboten“, erklärt Mustafa Ocak. Er ist der Vorsitzende der türkisch-islamischen Gemeinde, die sich auf einen Verein gründet. Die Führung durch das Gebäude, das in den vergangenen Jahren immer wieder erweitert wurde und aus einem Alt- und einem Neubau besteht, dauert eine halbe Stunde. Herzstück ist die Moschee mit ihrem blauen Teppich, dem türkischen Marmor und der mit Kalligrafie verzierten Kuppel. An der Decke stehen nur 32 der insgesamt 99 Namen Allahs – für mehr war kein Platz.

Laut Ocak wird das alles aus Spenden und Vereinsbeiträgen finanziert. Nur die beiden Imame, die in der Moschee predigen, bezahlt das türkische Religionspräsidium Diyanet – so wie für die rund 960 anderen Ditib-Moscheegemeinden auch. Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz Ditib, steht wegen dieser Nähe zur türkischen Regierung unter Druck und wird von Kritikern als verlängerter Arm von Präsident Recep Tayyip Erdogan angesehen. Der größte Moscheeverband Deutschlands dementiert diese Verbindung allerdings und betont stets, politisch neutral zu sein.

Gemeindeleben mit Gitarrenkursen und Nachhilfe

Die Bonner Ditib-Gemeinde wurde 1986 gegründet und bietet ihren Gläubigen auch Weltliches: Hausaufgabenbetreuung, Gitarrenkurse, Aufenthaltsräume wie ein türkisches Café und einen großen Veranstaltungssaal. „Hier haben wir letztens Muttertag gefeiert“, sagt Ocak. Die Rosenblätter liegen noch auf dem Boden vor den roten Samtstühlen. Im Keller hat man sich eine Großküche eingerichtet. Warum die benötigt wird, wird sich noch beim ersten gemeinsamen Fastenbrechen, dem abendlichen Iftar, zeigen. Bis dahin ist aber noch Zeit.

Erst muss der junge Muslim erklären, welche Gepflogenheiten es im Islam gibt. Seine Stimme ist sanft, bedacht und langsam. Die dunklen Haare und der Bart sind kurz rasiert. Der 21-Jährige hat vor der Moschee die Schuhe ausgezogen und sich ein beigefarbenes Gewand über Jeans und T-Shirt gestreift. Er kommt gerade von der Arbeit. „Warte kurz, ich muss das Mittagsgebet nachholen.“ In seinem Job sei es nicht gern gesehen, dass er betet. Dabei dauert die Prozedur, bei der Männer und Frauen streng getrennt sind, nur rund fünf Minuten. Es geht aber auch ausführlicher.

Da wäre beispielsweise die Waschung vor dem Gebet. „Eine nervige Angelegenheit“, findet er. Nach einem bestimmten Ritus werden Arme, Gesicht und Füße mit klarem Wasser abgespült. Im Waschraum direkt unter der Moschee ist alles darauf ausgerichtet. Die hölzernen Hocker, die Edelstahlstange, auf der man über dem Becken die Füße absetzen kann. „Die Waschung sorgt dafür, dass man eine Art Schutzschild für das Gebet um sich hat“, erklärt er. Der Toilettengang, Schlaf oder Erbrechen zerstören es. Genauso festgelegt ist das Beten. Stehen, Verbeugen, Knien und den Boden berühren wechseln sich ab.

„So ist man auf einer Ebene mit den Bergen, mit den Tieren und den kleinsten Staubkörnern.“ Wer glaubt, das Beten sei keine körperliche Anstrengung, liegt falsch. Die Bewegungen schmerzen mitunter, weil Füße und Beine stark angewinkelt werden müssen. Dafür ist der Teppich wohl einer der weichsten, die es gibt. Dementsprechend gut federt er den Kniefall ab. Die halbe Stunde in der ruhigen Moschee sorgt wie beim Yoga für eine tiefe Entspannung, wenn man sich denn darauf einlässt. Dafür muss man noch nicht einmal die Gebete können. Das, was der Imam predigt, versteht ohnehin nur ein Bruchteil der Gemeindemitglieder. Sie sprechen türkisch, aber kein Hocharabisch, in dem der Koran verfasst ist.

Der Glaube gibt neuen Halt

So fromm wie heute war der 21-Jährige nicht immer. Er hat viel „Mist gebaut“. Als er von seiner Freundin betrogen wurde, setzte ein Umdenken ein. „Mir ging's richtig schlecht. Ich war am Ende.“ Im Glauben fand er neuen Halt. Er war erst nur sporadisch in der Moschee, beschäftigte sich dann immer mehr mit dem Islam. Zwei Jahre ist das her, und es hatte starke Auswirkungen auf sein Leben. „Manchmal ist es schwer, alles mit der Religion zu vereinbaren, auch wenn Bonn sehr offen gegenüber Muslimen ist.“ In die Innenstadt gehe er nicht gerne. „Da gibt es zu viele Versuchungen. Ich finde, dass die Gesellschaft verroht.“

Dann, wenn sich Frauen zu freizügig zeigten, Gewalt und Respektlosigkeit statt Frieden unter den Menschen herrschten. Oder sich Jugendliche betränken. Konservative Ansichten für einen jungen Mann. „Aber das sind die Lehren Mohammeds, und daran halte ich mich.“ Wer danach lebe, komme ins Paradies, wer nicht, in die Hölle. Der 21-Jährige zählt klare Regeln auf, die besagen, dass etwas „haram“ ist, also verboten, oder „halal“, erlaubt. Eine Checkliste bietet der Koran nicht, es gibt viele Grauzonen. „Letztendlich muss sich jeder selbst damit auseinandersetzen, was Allah erwartet.“ Aber gewiss merke sich Allah gute und schlechte Taten, für die es im Tod die Abrechnung gebe. Wie auf einem imaginären Bonuspunktekonto.

Worin sich alle Muslime einig sind: Das Fasten sollte gemeinsam gebrochen werden. In der Bonner Ditib-Moschee kommen jeden Abend, sobald die Sonne untergeht, an die 500 Menschen zusammen. „Unsere Tore stehen jedem offen, auch Nicht-Muslimen und nicht nur im Ramadan“, sagt Ocak.

Während zum Gebet gerufen wird, räumen kräftige Männer schon das Essen in den Innenhof. Den Reis in einem 30-Kilogramm-Topf, den Salat in einer Wäschebütt. Die Frauen der Familien haben die täglich variierenden Speisen in den vergangenen Stunden vorbereitet. Gut situierte Spender finanzieren das Festmahl, die Gäste müssen nichts zahlen. Die größte Herausforderung: Hunderte Styroporteller müssen gefüllt und unter den Gästen an den Biertischgarnituren verteilt werden. Dafür gibt es Ordner mit Warnwesten, die durch den Hof brüllen. Wer zu langsam ist, wird auch mal am Arm gepackt.

Ein bisschen ist es wie eine Raubtierfütterung, nur höflicher. Und mit dem Unterschied, dass der Bauch trotz fast unerträglichen Hungers und Durstes schon nach wenigen Bissen voll zu sein scheint. Der Magen und vor allem der Körper gewöhnt sich schnell an den Verzicht, stellt auf Sparflamme. Morgens, nachdem bis zum ersten Lichtstrahl gespeist werden durfte, ist alles wie immer. Doch im Laufe des Tages schwinden Kraft und Konzentration. Und die Toilettengänge. Was soll auch raus?

Fasten sorgten für Schwindel und Kopfschmerzen

Im Job und in der Schule sorgt das Fasten und der Schlafentzug – dank einer Handy-App ruft der Muezzin auch nachts – für Beeinträchtigungen. Manche Fastenden klagen über Kopfschmerzen oder gar Schwindel. Die Stadt Bonn versucht deshalb, in den Schulen durch Infoveranstaltungen mit den Eltern im Gespräch zu bleiben.

„In einem Elternbrief wurde Verständnis für den Wunsch der Kinder geäußert, fasten zu wollen“, sagt Markus Schmitz vom Presseamt. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass es in vielen muslimischen Traditionen üblich sei, Menschen mit erhöhter Arbeitsbelastung vom Fastengebot zu entpflichten. Gegenüber Kindern, die unbedingt fasten wollen, werde die Haltung vertreten, es „in einem gesundheitlich vertretbaren Rahmen“ zu tun.

„Sie sollen etwas trinken und auch essen, aber sie sollen zum Beispiel Süßigkeiten versagen oder etwas weniger essen als gewohnt.“ Falls bisher ein Kind nicht bereit war, zu trinken und wenigstens ein bisschen zu essen, habe die Leitung es nach dem Unterricht von den Eltern abholen lassen. Das sei dieses Jahr laut Schmitz aber noch nicht passiert. Meist habe sich sogar herausgestellt, dass die Eltern gar nicht wollten, dass ihr Kind fastet. „Es waren oft die Kinder, die fasten wollten, weil sie als erwachsen gelten möchten.“ Der Ramadan ist eben etwas Besonderes.

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