Doktor der Aufklärung Ulrich Heide verlässt Bonner Aids-Stiftung nach 31 Jahren

Bonn · Ulrich Heide geht nach 31 Jahren bei der Bonner Aids-Stiftung in Ruhestand. Er sagt, die Krankheit sei heute so aktuell wie damals.

 Ulrich Heide von der Aids-Stiftung in seiner Wohnung in Poppelsdorf.

Ulrich Heide von der Aids-Stiftung in seiner Wohnung in Poppelsdorf.

Foto: Nicolas Ottersbach

Fürs Foto soll es doch lieber ein Hemd sein. „Das sieht einfach ordentlicher aus“, sagt Ulrich Heide. Schließlich werde das Bild in der Zeitung erscheinen, in der man ihn sonst meist mit Schlips sieht, umringt von Politikern, Künstlern oder Unternehmern. Bequemer findet er aber das T-Shirt, vor allem zum Fahrradfahren.

Erst vor wenigen Minuten hat er das Rad im Gründerzeithaus an der Kirschallee abgestellt. Der 65-Jährige teilt sich das Haus seit Jahren nicht nur mit seiner Frau, sondern auch mit Freunden. Wie eine Studenten-WG, nur „eben etwas besser“. Die hohen Decken kommen ihm gelegen. Im Arbeitszimmer ist eine Wand vom Bücherregal bedeckt.

Wenn Heide von seiner Arbeit als geschäftsführender Vorstand der Aids-Stiftung nach Hause kommt, liest er gerne. Oder beschäftigt sich mit seiner Münzsammlung. Am liebsten spielt er aber Mühle mit seinem Enkel. Dieser Tage hat er mehr Zeit denn je dafür. Nach 31 Jahren verlässt er die Stiftung und geht in Ruhestand. „31 Jahre, in denen sich viel in der Gesellschaft verändert hat. HIV ist aber so aktuell wie damals“, sagt er. Den Weg zur Aids-Stiftung fand er zufällig.

Doktor der Erziehungswissenschaften

Heide wuchs ländlich geprägt auf, mitten im Weser Bergland. Die Devise seines Vaters: „Urlaub kannst du auch zu Hause machen.“ Doch schon während der Schulzeit zog es ihn in andere Länder, zweimal reiste er nach Israel. Damals wollte er Auslandskorrespondent werden. An der Uni belegte er deshalb den Studiengang Islamwissenschaften, der in Bonn einen guten Ruf genoss.

„Die Sprachbegabung reichte allerdings nicht aus“, sagt Heide. So sattelte er nach zwei Semestern auf Lehramt um. Mit den Fächern Geschichte und evangelische Religionslehre schloss er 1979 mit Staatsexamen ab, 1983 promovierte er zum Doktor der Erziehungswissenschaften.

Für die Kirche arbeitete er als Medienpädagoge, ehe er 1982 die Stelle als Referatsleiter für audiovisuelle Medien in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) angeboten bekam. „Das war schon ein ordentlicher Sprung, da konnte ich nicht ablehnen“, sagt er.

Aids-Stiftung gegründet

Nach einem „frustrierenden Abstecher“ in die Politik – von 1986 bis 1987 war Heide Geschäftsführer des Grünen-Landesverbandes – wurde die Aids-Stiftung „Positiv leben“ vom damals in Köln lebenden Hamburger Pastor Rainer Jarchow gegründet. Über Kontakte bei der BZGA wurde hauptamtlicher Geschäftsführer. „Das war eine neue Herausforderung, bei der ich auch mehr inhaltliche Freiheiten hatte“, erzählt er.

Denn politisch war das Thema HIV hochbrisant und spaltete das Land, sogar die Welt. Während CSU-Mann Peter Gauweiler Massenscreenings und die Internierung von Aids-Kranken forderte, stand dem Bayern CDU-Gesundheitsministerin Rita Süssmuth als Kontrahentin gegenüber, die liberal mit der Krankheit umging.

„Das Wissen war zunächst sehr dünn, es gab eine ausgemachte Panik“, sagt Heide. „In dieser Debatte war es nicht einfach, eine rationale Politik zu entwickeln.“ Trotzdem wollte er dazu beitragen.

Soziale Isolation

Seit 1985 gab es einen HIV-Test. Fiel er positiv aus, bedeutete das oft soziale Isolation – bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes. Kam dann auch noch die Diagnose Aids hinzu, reduzierte das die Lebenserwartung auf durchschnittlich zwei Jahre. „Es galt als Todesurteil, das viel Unsicherheit mit sich brachte“, so Heide. Viele wussten schlichtweg nicht, dass man sich nicht ansteckte, wenn man einem Aids-Kranken die Hand schüttelte.

Der von Süssmuth formulierten Grundsatz „Wir bekämpfen die Krankheit, nicht die Kranken“ verfolgte die Stiftung weiter, als sie 1996 mit der nationalen Aids-Stiftung fusionierte. „Stets galt es, die Themen Aids und HIV in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Ein Werkzeug sind heute noch die jährlichen Operngalas in drei deutschen Städten.“

1996 kamen die ersten Medikamente auf den Markt, die Linderung und eine höhere Lebenserwartung versprachen. „Damit änderte sich auch unsere Tätigkeit“, sagt Heide. Einigen, denen der sichere Tod prognostiziert wurde, hatten meist ihr ganzes Hab und Gut verkauft oder gar verschenkt. Die Aids-Stiftung half nun nicht mehr nur bei der Bewältigung, sondern auch beim Neuanfang.

Heute ist die medizinische Versorgung so gut, dass Menschen mit Aids ein fast normales Leben führen können. „In anderen Regionen der Welt sieht es ganz anders aus“, meint Heide. Deshalb erweiterte die Deutsche Aids-Stiftung ihre Hilfe auch auf Südafrika und Mosambik: Durch die Unterstützung lokaler Organisationen werden Aufklärungs- und Präventionsprojekte gefördert. Darunter auch eines zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung.

„In Deutschland besteht die Gefahr, dass die Krankheit in Vergessenheit gerät“, sagt Heide. Sie sei behandelbar, aber immer noch nicht heilbar. Die Zahl der Neuinfektionen stagniere zwischen 3200 und 3400 pro Jahr. „Das kann sich aber schnell wieder ändern.“ Deshalb will er sich auch im Ruhestand für den Kampf gegen Aids und HIV einsetzen – wenn auch nicht mehr als Chef der Stiftung.

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