Prozess vor Bonner Landgericht Traumatisierter Flüchtling darf Psychiatrie verlassen

Bonn · Das Bonner Landgericht hält einen traumatisierten Flüchtling, der in der LVR-Klinik mit einem Massaker gedroht hatte, nicht mehr für gemeingefährlich und lehnt eine dauerhafte Unterbringung ab.

 Das Landgericht in Bonn.

Das Landgericht in Bonn.

Foto: dpa

Als traumatisierter Flüchtling aus dem Nordirak, wo er bei Kämpfen durch den IS verletzt worden war, kam der damals 19-Jährige 2015 hier an. Er machte sich drei Jahre jünger, um zur Schule gehen zu können, lernte schnell Deutsch, begann eine Ausbildung zum Altenpfleger, und alles sah gut aus, bis 2018 bei ihm eine Psychose ausbrach. Er landete in der LVR-Klinik Bonn, wo er mit einem Massaker drohte. Vor dem Landgericht beantragte die Staatsanwaltschaft schließlich, den als schuldunfähig, aber gefährlich eingestuften jungen Mann dauerhaft in einer psychiatrischen Klinik unterzubringen. Doch diesen Antrag lehnte die 1. Große Strafkammer am Montag ab.

Von Aggressivität ist bei dem 22-Jährigen nichts mehr zu spüren. Ruhig und friedlich hatte er bereits zu Prozessbeginn über sich und sein Leben gesprochen: Weil er in der Heimat nicht nur von einer Bombe verletzt und angeschossen, sondern auch politisch verfolgt worden sei, hätten die Eltern einen Schlepper bezahlt, um ihn nach Deutschland zu schaffen. Hier wurde der 22-Jährige als Asylbewerber anerkannt. Vor Gericht erklärte er, dass er im Mai 2018 nicht verstanden habe, was eigentlich mit ihm geschah. Nach einem Streit mit seiner Sozialarbeiterin, die ihn als bedrohlich empfunden und die Polizei gerufen hatte, war er vor allem gegen sich selbst aggressiv geworden und hatte seinen Kopf immer wieder gegen die Wand geschlagen.

Als die Beamten bei ihm unter einem Verband am Arm ein Messer fanden, wurde er per richterlichem Beschluss in die Bonner LVR-Klinik gebracht. Doch unter den Zwangsmaßnahmen dort brach sich seine Psychose trotz starker Medikamente immer mehr Bahn: Er warf mit Tassen um sich, bedrohte Pfleger, aber auch sich selbst mit Scherben, wurde schließlich überwältigt und auf richterliche Anordnung fixiert – ununterbrochen zehn Tage lang. Das aber führte dazu, dass er völlig ausrastete und drohte, die Klinik niederzubrennen und in Bonn ein Massaker anzurichten. Daraufhin wurde er in eine psychiatrische Klinik in Essen verlegt, wo er nach einem Suizidversuch Medikamente für seine Schizophrenie erhält, die ihm helfen.

22-Jähriger nur gegen sich selbst aggressiv

Dem Gericht erklärte er, er wisse nicht, was damals in seinem Kopf passiert sei. Er sei fast verrückt geworden, als er so lange festgebunden worden sei. Aber er habe niemals jemand anderen töten wollen als sich selbst. Aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens stand am Ende auch für die Staatsanwaltschaft fest: Dass der 22-Jährige in Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, da er in der Vergangenheit zu „99,9 Prozent“ nur gegen sich selbst aggressiv war, wie Kammervorsitzender Jens Rausch erklärte und hinzufügte: „Laut Gutachter ist er jetzt auf einem guten Weg.“ Deshalb sei ein dauerhafter Freiheitsentzug nicht zu rechtfertigen.

Das Gericht hob den Unterbringungsbefehl auf, und der Richter erklärte: Der 22-Jährige wird sofort aus der Klinik entlassen. Dass er nicht in der Obdachlosigkeit lande, verdanke er seiner Anwältin Sigried Aretz, die seine Unterbringung und Betreuung organisiert habe. „Deshalb konnten wir diese Entscheidung mit gutem Gewissen treffen“, so der Richter. Das Urteil wurde sofort rechtskräftig.

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