Interview mit Bonns Generalmusikdirektor So soll das Beethovenjahr 2020 ein Erfolg werden

Bonn · Generalmusikdirektor Dirk Kaftan will das Jubiläumsjahr 2020 trotz der Probleme mit der Beethovenhalle zum Erfolg machen. Über die Folgen für das Beethovenjubiläum sprach Andreas Baumann mit ihm.

Sie haben kürzlich in der Aula des Uni-Hauptgebäudes eine Schumann-Sinfonie dirigiert. Wie war die Akustik?

Dirk Kaftan: Auf der Bühne haben wir in der Aula immer das gute Gefühl, dass das, was wir senden, auch ankommt. Für uns ist sie eine wichtige und schöne Ausweichspielstätte – auch wenn wir auf bestimmte Besetzungen und Komponisten beschränkt sind, weil große Orchesterbesetzungen auf der Bühne nicht genug Platz haben.

Damit sind wir beim Thema. Dass die Beethovenhalle erst im Mai 2020 bespielbar sein soll, was bedeutet das für das Beethoven Orchester?

Kaftan: Das eine ist die wichtige Probenarbeit, die im Moment im Brückenforum stattfindet. Das Forum mieten wir für jede einzelne Probe an, stellen den gesamten Orchesteraufbau hin und müssen ihn dann wieder abbauen. Im Vergleich ist das so, als würde eine Fußball-Profimannschaft auf dem Bolzplatz trainieren, und auch immer noch den Rasen ausrollen – wenn der Platz denn nicht schon belegt ist. Deshalb ist das geplante Studio in der Beethovenhalle als gleichzeitig nutzbarer Veranstaltungsraum für uns eine wichtige Perspektive. Zum anderen hatten wir damit gerechnet, mit der Halle als zentralem Spielort des Beethovenjahres planen zu können. Wir haben in Bonn keinen anderen Konzertsaal, der vom Volumen und Ambiente her dem Anspruch gerecht wird. Da ist jetzt Umdenken gefragt.

Wie viele Konzerte des Orchesters waren in der Halle vorgesehen?

Kaftan: Erst einmal unsere normalen Abo-Reihen, also 15 bis 20 Veranstaltungen. Es waren zusätzlich Formate für das Studio geplant, die auf Kinder und Jugendliche zielen. Auch eine Beethovenlounge, die im Gespräch mit Journalisten das Beethovenjahr begleiten sollte. Und dann gab es viele Projekte, die noch in der Schwebe waren. Wir müssen ja wie alle anderen Veranstalter jedes einzelne Projekt über die Jubiläums Gesellschaft genehmigen lassen. Und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.

Wie haben Ihre Musiker auf die schlechten Nachrichten reagiert?

Kaftan: Es war eine große Enttäuschung, anders kann ich das nicht sagen. Es war ein Stoßseufzer, der durch das Orchester ging.

Sollte man hoffen, die Beethovenhalle wenigstens in der zweiten Jahreshälfte nutzen zu können – oder lieber gleich einen Plan B für das ganze Jahr erarbeiten?

Kaftan: Wenn Sie mich jetzt fragen, würde ich zum Letzteren raten. Wir sollten versuchen, das ganze Beethovenjahr ohne die Halle zu planen. Denn was wir jetzt an Schrauben stellen, kann später noch justiert werden. Wenn wir aber erst in einem Jahr erfahren, dass die Beethovenhalle überhaupt nicht zur Verfügung steht, wird es schwierig. Dann haben wir längst Künstler und Gäste unter Vertrag. Wir haben außerdem viele Anfragen für internationale Gastspiele im Jahr 2020; da ist das Interesse am Beethoven Orchester groß. Das ist alles verzahnt mit dem Angebot, das wir vor Ort leisten. Deshalb würde ich im Moment das Beethovenjahr ohne die Halle planen, auch wenn eine abschließende Abstimmung mit den anderen Intendanten noch aussteht.

Welche Säle in Bonn sind für Ihr Orchester bespielbar?

Kaftan: Da gibt es vielleicht mehr, als man denkt. Allerdings: Nur wenn man sich verabschiedet vom idealen akustischen Unplugged-Erlebnis. Wenn wir, wie es sowieso unser Konzept war, die Idee verfolgen, die Stadt 2020 zu einer Sinfonie zu machen. Wir brauchen eine nachvollziehbare Geschichte, die sich durch dieses Beethovenjahr erzählt. Wir gehen ohnehin schon an ungewöhnliche Orte wie den Telekom Dome, das Kameha Grand oder das Zelt auf Pützchens Markt. Vielleicht können wir noch mehr Orte ausfindig machen, wo Musik die Menschen auf eine andere Weise anspricht als durch ein reines High-End-Klangerlebnis. Das hat mit Partizipation zu tun, mit einer gescheiten Programmierung. Wenn wir versuchen, die Stadt musikalisch zu umarmen, finden wir vielleicht Partner, die uns verrückte Spielorte zur Verfügung stellen. Wir haben ja sogar die Idee, einen Rheinkahn zu bespielen, und mit dem auf der Achse Wien-Bonn auf Tour zu gehen. Alle Akteure sollten unkonventionelle Ideen miteinander denken, so wie es auch Beethoven getan hat: der Zukunft zugewandt, modern, die Welt umkrempelnd.

Können Sie sich auch einen mobilen Interims-Konzertsaal vorstellen, wie ihn Nike Wagner einmal ins Gespräch gebracht hat?

Kaftan: Über so etwas haben wir auch schon nachgedacht. Das müssen wir jetzt miteinander besprechen: Macht es Sinn? Was kostet es? Wie kann das aussehen? Im Moment sind alle Ideen willkommen. Beispiele für solche Lösungen gab es auch in anderen Städten, wo Opern oder Theater saniert worden sind.

Kann das Jubiläumsjahr auch ohne Beethovenhalle ein Erfolg für Bonn werden?

Kaftan: Das glaube ich auf jeden Fall. Die Voraussetzung dafür ist ein Zusammenrücken und enges Zusammenarbeiten der Akteure, denn ich sehe eine Gefahr darin – unabhängig von der Halle –, dass das Beethovenjahr in viele schöne, kleine Einzelprojekte zersplittert, wenn wir nicht gemeinsam groß denken.

Und es gibt viele Akteure, vom Beethovenfest bis zur Jubiläums Gesellschaft und zur Verwaltung...

Kaftan: Ja, aber auch die freie Szene, die Schulen, den Rhein-Sieg-Kreis, das Land NRW, den Bund. Und alle haben unterschiedliche Erwartungen und Potenziale. Dennoch ist mir wichtig, dass wir uns inhaltlich und visionär nicht aus den Augen verlieren.

Nehmen Sie bei den Bürgern draußen schon so etwas wie Begeisterung wahr?

Kaftan: Noch nicht. Das liegt auch daran, dass die Bevölkerung noch nichts präsentiert bekommen hat, was sie da erwartet.

Worauf freuen Sie sich 2020 am meisten?

Kaftan: Ich messe den Erfolg dieses Beethovenjahres daran, was die Bonnerinnen und Bonner am Ende mitnehmen, an Erlebnissen, Identifikation, Lebensfreude, Bereicherung. Das ist mein Ziel. Das ist auch überregional entscheidend: Wenn hier in Bonn etwas brennt, kann es nach außen strahlen. Und da müssen wir bei der Jugend ansetzen, in die Breite gehen, die kulturelle Vielfalt dieser Stadt einbeziehen. Und wir müssen auch andere Bereiche wie Sport, Geisteswissenschaften, Schulen mobilisieren und Musik zu einer Art Volksbewegung machen. Ich glaube, dass wir das Potenzial haben, gerade in Bonn so einen Geist zu entfalten.

Und das trotz der Hallenkrise?

Kaftan: Ohne naiv klingen zu wollen, denke ich, dass die aktuelle Lage auch eine Chance ist, das Jubiläumsjahr von Bauten wie der Beet-hovenhalle zu lösen. Beethoven ist nicht Mozart, wir sind nicht Salzburg. Sondern wir müssen diesen Beethoven über Inhalte knacken, über die vielen guten Dinge, für die er steht. Er war widerspenstig, und die Situation, vor der wir stehen, ist es auch. Das passt zu Beethoven. Der hat sich durch nichts aufhalten lassen. Ich freue mich auf die Herausforderung.

Ist das WCCB für Sie eine vollwertige oder doch eher annehmbare Ersatzspielstätte?

Kaftan: Ich selbst hatte dort nur zwei Konzerte. Wir sind auf meine Initiative hin in die Oper als Spielort ausgewichen. Sie bietet uns viel bessere Möglichkeiten. Im WCCB kann man zwar etwas mehr Menschen ins Konzert bringen, aber die Oper ist vom Ambiente, von der Akustik und von der Logistik her für uns eine wirklich gute Ausweichspielstätte, zumal sich herausgestellt hat, dass das WCCB nicht für alle notwendigen Termine zur Verfügung stand.

Im WCCB gab es Klagen über eine zu laute Klimaanlage...

Kaftan: Auf der Bühne hat man das weniger gemerkt. Der Raum ist eben nicht als Konzertsaal konzipiert. Er hat eine sehr neutrale Atmosphäre, die sich auch akustisch ausdrückt in einer gewissen Distanziertheit. Man kriegt auf der Bühne sehr wenig vom Publikum mit. Und im Publikum hat man das Gefühl, das Bühnengeschehen wie durch einen Schleier wahrzunehmen. Wie weit man das noch verbessern könnte, weiß ich nicht.

Die Oper nutzen, heißt, sich eng mit dem Generalintendanten abzustimmen. Sie scheinen sich mit Bernhard Helmich zu verstehen?

Kaftan: Ja, wir arbeiten sehr konstruktiv zusammen. Das ist Voraussetzung dafür, dass das alles klappt, denn schließlich ist das Orchester zu mehr als 50 Prozent seiner Arbeitszeit in der Oper tätig. Und ich bin auch der Generalmusikdirektor der Oper. Die Oper steht unter einem großen Einnahmedruck, muss also sehr viele Vorstellungen spielen. Da muss man mal sehen, was es bedeutet, wenn jetzt Veranstaltungen des Jubiläumsjahres in die Oper wandern. Alles Fragen, die wir gemeinsam besprechen müssen.

Ihr Debüt in Bonn haben Sie auf Pützchens Markt mit den Bläck Fööss gegeben – war das ein bewusstes Signal der Öffnung für breitere Schichten?

Kaftan: Das war ein Signal, ja, man muss es aber im Gesamtpaket sehen. In den ersten zwei Wochen meiner Amtszeit haben wir ein Konzert mit Musik des 20. Jahrhunderts beim Beethovenfest gespielt, eine Beethoven-Sinfonie gespielt, eine Opernpremiere herausgebracht. Wir bieten Vielfalt an. Der Weg, sich zu öffnen, darf nie populistisch oder anbiedernd sein.

Nerven Sie die Debatten um die Kosten der sogenannten Hochkultur wie zuletzt wieder bei der Akustikanlage für die Oper?

Kaftan: Ich verstehe das. Ich finde auch in Ordnung, dass man diese Debatten führt. Ich finde aber, da wird auf die Kultur manchmal mit Scheuklappen geschaut und nicht gesehen, dass sich davon kein Stadthaushalt saniert. Klar, die Stadt kann alles entscheiden, sie kann auch entscheiden, die Oper oder das Orchester abzuschaffen. Das hat aber Folgen für das Leben der Menschen. Eine Oper dient nicht zur Selbstbeweihräucherung einer kleinen Schicht, sondern wie ein Museum oder eine Bibliothek gehört sie zur Zivilisation, zum geistigen Austausch, und zum Menschsein überhaupt. Diese Debatten zu führen, nervt mich nicht, sie darf nur von keiner Seite ideologisch geführt werden.

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