Experte kritisiert die Stadt Bonn Photovoltaik-Ausbau ist "eine einzige Peinlichkeit"

BONN · Der Bau von Solaranlagen auf den Dächern Bonns schreitet viel zu langsam voran, sagt ein Experte. Er hält die Entwicklungen der vergangenen Jahre für "eine einzige Peinlichkeit".

 Auf dem Tribünendach des Sportparks Nord steht seit 2008 eine Photovoltaik-Anlage mit einer Nennleistung von 122,4 Kilowatt peak.

Auf dem Tribünendach des Sportparks Nord steht seit 2008 eine Photovoltaik-Anlage mit einer Nennleistung von 122,4 Kilowatt peak.

Foto: Benjamin Westhoff

Ende 2016 gab es laut Stadt Photovoltaik auf 62 Gebäuden mit einer Leistung von 1007 Kilowatt. Ende 2018 lag die Zahl bei 63 Gebäuden mit 1100 Kilowatt Leistung. Unterm Strich trage die Stadt seit Inkrafttreten des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000 viel zu wenig zum Ausbau von Photovoltaik bei, sagt Herbert Hoting.

Das habe er selbst erlebt, als er Anfang des Jahres sein Interesse beim Städtischen Gebäudemanagement (SGB) bekundete, Solaranlagen auf den Dächern der Carl-Schurz-Schule in Tannenbusch und der August-Macke-Schule auf dem Brüser Berg zu installieren. Nachdem er die Standorte als geeignet befunden hatte und für beide Dächer zahlreiche Absprachen mit dem SGB sowie die Planungen weit fortgeschritten waren, sei ihm mitgeteilt worden, dass zunächst die Stadtwerke nach ihrem Interesse an den Dächern befragt würden. Eines der Dächer habe jetzt tatsächlich die SWB zugesprochen bekommen, über das andere Dach sei er bis heute nicht informiert worden.

Hoting ärgert sich, dass die Stadtverwaltung nicht dezidiert von ihrer Wirtschaftlichkeitsberechnung Abstand nimmt, über die auch der GA im vergangenen Jahr berichtet hatte. Danach sei der Betrieb von Solaranlagen auf kommunalen Liegenschaften „nicht wirtschaftlich möglich“. Solarfachmann Christian Förster aus dem Sauerland hält – ebenso wie Hoting – die Berechnung für falsch.

Politik hatte Zweifel an der Kalkulation

Die Stadt hatte die Grundlage für die Berechnung einer Jahre alten Ausgabe des Fachmagazins Photon entnommen. Sie räumte zwar später ein, die Zahlen seien wohl überholt, aber richtig gewesen. Dazu sagt Hoting: „Zu jedem Zeitpunkt waren und sind Photovoltaik-Anlagen wirtschaftlich zu betreiben. Das fatale Signal der Stadt Bonn an die Bürger, lieber die Finger von Solarstromanlagen zu lassen, muss öffentlich korrigiert werden.“ Eine 2018 veröffentlichte Studie des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) unterstreicht die Wirtschaftlichkeit. Sie kam zu dem Ergebnis: Obwohl der Gesetzgeber bei Einspeisevergütung und Eigenverbrauch Änderungen vorgenommen habe, „sind aufgrund der stark gesunkenen Preise für PV-Module gute Renditen möglich“.

Die Politik hatte ebenfalls Zweifel an der Kalkulation. Sie beauftragte das SGB im Frühjahr 2018, sämtliche der rund 1000 Dächer auf städtischen Liegenschaften auf ihre Tauglichkeit für die Installation von Photovoltaikanlagen hin zu prüfen. Zugleich beschloss der SGB-Betriebsausschuss, geeignete Dächer den Stadtwerken anzubieten.

Seit vergangenem Jahr Abschluss von mehreren Verträgen

Und siehe da: Seit vergangenem Jahr sind nach Auskunft von Stadt und Stadtwerken zehn Verträge geschlossen worden, weitere seien in Vorbereitung. „Über den Stand der Verhandlungen wird in Kürze die Politik informiert“, sagte Markus Schmitz vom Presseamt auf Anfrage. Die Anlagen sollen unter anderem auf Dächern von Kindertagesstätten, der Feuerwache Lengsdorf und am Hardtberg-Gymnasium entstehen.

Die SWB-Tochter Energie und Wasser (ENW) geht davon aus, dass sie in diesem Jahr sechs dieser Photovoltaikanlagen bauen lassen kann. Weitere städtische Dächer seien in der Prüfung. Auf ihren eigenen Gebäuden errichten die SWB gerade auf dem Neubau in der Karlstraße Photovoltaik mit einer Leistung von 100 Kilowatt, der Betrieb werde noch in diesem Jahr aufgenommen. Die Buswartungshalle in Friesdorf bekommt ebenso eine Anlage wie ein Verwaltungsgebäude in Adenau.

Christoph Caspary, Projektleiter bei der ENW, sagte dazu: „Wir rechnen bei den zehn Anlagen mit einer Investition von 500.000 bis 600.000 Euro, die sich in 16 bis 18 Jahren amortisiert haben wird.“ Das Tiefbauamt plant laut Stadt außerdem, auf der Kläranlage Bad Godesberg eine Anlage zu errichten. Im Februar stellte die Genossenschaft „Bürgerenergie Rhein-Sieg“ ihre neue Solaranlage auf der Gewerbehalle des Amts für Stadtgrün am Friedhof Platanenweg vor. Es ist genau jener Ort, an dessen Beispiel das SGB vorgerechnet hatte, dass ein wirtschaftlicher Betrieb nicht möglich sei.

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