Interview mit Vorsitzenden der Bonner Stadtschulpflegschaft "Den Lehrern mangelt es an Zeit"

Bonn · Familien mit Kindern brennen viele Themen auf den Nägeln – vom Schwimmunterricht über den Ausbau der Ganztagsschulen bis zur digitalen Ausstattung. Andreas Beutgen und Thomas Tschoepe von der Stadtschulpflegschaft arbeiten mit an den Lösungen.

Warum sind Sie im Vorstand der Stadtschulpflegschaft?

Andreas Beutgen: Weil man da tatsächlich was bewegen kann. Was viele nicht wissen: Wir sind ein richtiges Mitwirkungsorgan. Es versetzt uns als Eltern in die Lage, im Schulwesen mitzuarbeiten. Das sieht das Schulgesetz des Landes NRW so vor. Wir haben gute Möglichkeiten, etwa ein umfangreiches Auskunftsrecht für alle relevanten Informationen. Kurz, wir können uns in alles einmischen.Thomas Tschoepe: Ich bin auch Ausbilder und habe aufgrund der Probleme der Jugendlichen gemerkt, dass an Schulen vieles nicht so rund läuft, wie man es sich wünschen würde. Das war meine Motivation, in der Stadtschulpflegschaft mitzumachen.

Sie sind beide voll berufstätig.Ist die Arbeit im Stadtschulpflegschaftsvorstand nicht sehr zeitaufwendig?

Beutgen: Ja! Tschoepe: Ja! (beide lachen). Beutgen: Das sind in der Woche manchmal bis zu 15 Stunden, je nachdem was anliegt. Dazu gehört die Einarbeitung in die Themen, die Website pflegen, Sitzungen vorbereiten, Emails schreiben und mit anderen Eltern reden.

Welche Themen brennen Bonner Eltern auf den Nägeln?

Beutgen: Ganz viele. Aktuell ist es das Thema Schulschwimmen. Da sind wir aber, denke ich, auf besseren Wegen. Wir müssen jetzt mal das neue Schuljahr abwarten, ob es mit dem Schwimmunterricht an den Schulen besser läuft. Aber uns fehlen noch Zahlen, vor allem hinsichtlich der Sanierung der Bäder. Wir waren übrigens nicht gegen den Bau eines neuen Bads, wir haben lediglich kritisiert, dass wir keine verlässlichen Zahlen und Fakten hatten. So hat man uns nie genau sagen können, wie denn zum Beispiel all die Schüler zu dem Schwimmbad hinkommen können.

Es gab auch viel Kritik wegen mangelhafter Sauberkeit in den Schulen. Hat sich das gebessert?

Tschoepe: Da haben wir massiv Druck gemacht, damit sich was ändert. Ich denke, wir sind jetzt auf gutem Wege. Neu ist, dass in der Ausschreibung für die Reinigungsfirmen die 'über Tag Reinigung' der Toiletten-Anlagen jetzt fest verankert worden ist. Das verbuchen wir als einen Erfolg. Gerade bei den hygienischen Verhältnissen in den Schultoiletten lag bekanntlich vieles im Argen. Außerdem hat die Stadt einen Reinigungs-Meister eingestellt, der die Ausschreibung für die Putzfirmen kontrolliert, plus vier zusätzliche Kontrolleure, die auch neben anderen Gebäuden der Stadt die Schulen öfter überprüfen. Wenn nicht ordentlich gearbeitet wird, muss die Putzfirma nachbessern. Früher hat die Stadt in solchen Fällen einfach nur die Rechnung gekürzt. Der Dreck blieb einfach in den Schulen liegen. Heute gibt es deutlich weniger Klagen. Allerdings müsste die Stadt die Schulleitungen und Eltern über die Verbesserungen noch besser informieren.

Das alles kostet natürlich mehr Geld...

Tschoepe: Ja, es hätte eine Million Euro im Jahr mehr gekostet, die Toiletten zusätzlich zu reinigen. Deshalb wollte die Stadt Bonn diese Änderung ja zunächst auch nicht akzeptieren, obwohl sie uns zugestimmt hat, dass es große Probleme bei der Schulreinigung gibt. Das wollten wir wiederum nicht akzeptieren. Darum haben wir gemeinsam nach Lösungen gesucht und zum Beispiel den Kompromiss gefunden, dass die Flure der oberen Etagen in Schulen seltener gereinigt werden, die Toiletten dafür öfter.

Was beschäftigt Eltern noch?

Tschoepe: Der Mangel an OGS-Plätzen. Die Nachfrage ist immer noch deutlich höher als das Angebot. Darüber hat der General-Anzeiger ja schon oft berichtet.Beutgen: Ich denke, wir brauchen auf jeden Fall mehr Plätze, obwohl ich glaube nicht, dass wir eine 100-Prozent-Deckung brauchen.

Warum nicht? Die meisten Kinder in Bonn besuchen inzwischen den ganzen Tag über eine Kita. Die logische Folge wäre doch, dass sie auch eine Ganztagsbetreuung in der Grundschule brauchen, oder?

Beutgen: Ich glaube trotzdem, dass wir keinen OGS-Platz für alle Grundschulkinder benötigen. Weil zum Beispiel nicht in allen Familien beide Elternteile arbeiten. Tschoepe: Wir müssen auch daran denken, dass es wenig bringt, die Plätze immer weiter auszubauen, wenn wir gar kein Personal haben, das für die Kinder da ist. Das ist doch ein Riesenproblem zurzeit. Die OGS-Träger können noch so viele Stellen ausschreiben, sie kriegen sie im Moment nicht besetzt. Das ist in den Kitas übrigens nicht anders. Was wir auf keinen Fall wollen: Dass immer mehr Nicht-Fachkräfte zum Einsatz kommen. Verwahranstalten wollen wir nicht.Beutgen: Dazu kommt auch das Raumproblem an vielen Schulen. Es ist ein hochkomplexes Thema.

Was ist aus Ihrer Sicht bei der Rückkehr zu G 9, dem Abitur nach neun Jahren, wichtig?

Beutgen: Wir fordern, dass die Lernstoffmenge nochmal genau überprüft wird. Der falsche Weg wäre es, wenn man jetzt hinginge und wieder mehr Lernstoff in die Stundenpläne stopft. Man kann das alte G9-Konzept nicht einfach wieder beleben. Der Wissensstand hat sich seither deutlich verändert. Wichtig ist, dass die Schulen die Rückkehr zu G9 nutzen, um den Stress für Schüler und Lehrer wieder abzubauen, der war ja enorm. Kinder und Jugendliche brauchen Zeit, die Dinge zu begreifen. Tschoepe: Das A und O ist, die Schüler nicht mit Wissen zu überfrachten, sondern ihnen Zeit zu geben, dass es sich auch setzen kann. An dem Punkt hat unser Schulsystem kräftig gelitten in den letzten Jahren.

Wie bewerten Sie den Stand der Digitalisierung an Schulen?

Beutgen: Die Schwierigkeit ist, dass es nicht reicht, die Schulen mit der entsprechenden Infrastruktur auszustatten. Das ganze Schulsystem muss sich darauf umstellen. Das ist sicher sinnvoll, dafür brauchen wir pädagogische Konzepte, wir brauchen Leute, die die IT an den Schulen pflegen. Ich arbeite in einem Rechenzentrum. Ich weiß, dass Systeme nach ein paar Jahren ersetzt werden müssen. Es ist darum nicht damit getan, den Kindern Tablets in die Hand zu geben und zu sagen, ihr wisst ja, wie es geht.

Und was ist mit den Lehrern?

Tschoepe: Wir brauchen unbedingt Lehrkräfte, die wissen, wie man richtig damit umgeht. Das können viele Lehrkräfte aber nicht. Beutgen: Nicht, dass wir falsch verstanden werden. Wir sagen nicht, die Lehrer seien zu dumm. Nein, sie müssen nur mehr Zeit eingeräumt bekommen, sich auf dem Gebiet fortbilden zu können. Und an Zeit mangelt es. Und auch an Lehrern. Übrigens in allen Schulformen.

Was läuft da schief?

Beutgen: Ich glaube, das Interesse bei jungen Leuten ist immer noch da, Lehrer werden zu wollen. Aber viele schreckt der immense Stress ab, sie sind ja heute nicht nur Lehrer, sondern auch Verwalter. Ich glaube, die Anforderungen an Lehrer sind enorm gestiegen.Tschoepe: Ich denke, auch die Kommunikation zwischen Lehrern und Eltern ist heute deutlich schwieriger als früher. Dazu kommt, dass Lehrern oftmals wenig Respekt entgegengebracht wird. Das spricht sich natürlich herum. Da müssen wir uns als Eltern auch selbst an die Nase packen. Beutgen: Ja, früher hätten Eltern doch niemals Lehrer abends um 22, 23 Uhr angerufen. Das findet heute aber statt. Da fehlt es oftmals an einer gesunden Distanz und an Rücksicht. Das ist aber nicht nur ein Problem zwischen Lehrern und Eltern. Das ist aus meiner Sicht insgesamt ein gesellschaftliches Problem.

Sie haben einen Wunsch frei. Was wünschen Sie sich?

Beutgen: Ich wünsche mir, dass allen Ebenen bewusst wird, was Mitwirkung wirklich heißt. Eltern sind kein lästiges Übel, sondern sie wollen als ernstzunehmende Partner die Schule mitgestalten.Tschoepe: Das wäre auch mein Wunsch. Wir Eltern wollen konstruktiv an den Verbesserungen in unserem Schulsystem mitwirken.

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