Tupperdosen-Tetris und Käsetheke-Fiaskos Das sind die Herausforderungen beim Verzicht auf Plastik

Bonn · Ein Leben ohne Plastik: GA-Redakteur Joshua Bung verzichtet seit mehr als fünf Monaten weitgehend auf Kunststoffverpackungen. Das stellt ihn vor einige Herausforderungen - unfreiwillige Trekking-Erlebnisse und Rucksack-Geklimper eingeschlossen.

Ich liebe Tierdokus. Vor allem solche, die im Meer spielen. Es entspannt mich einfach, die vielen Fische und Wale zu sehen - blöderweise bleibt von dieser Idylle am Ende kaum etwas übrig. Immer häufiger werden die letzten fünf bis zehn Minuten der Sendezeit zwecks Warnung dafür genutzt, sämtliche im Ozean umhertreibenden Flaschen, Tüten und andere Utensilien aus Plastik kunstvoll in Szene zu setzen.

Da hört für mich der Spaß auf. Nicht nur, weil ich Besseres zu tun habe, als mir den Inhalt meines heimischen Abfalleimers aus diversen Kameraperspektiven im Fernsehen anzusehen, sondern vor allem, weil ich nicht verstehe, weshalb der ganze Müll im Meer landen muss.

Weil ich selbst kaum Möglichkeiten habe, das zu kontrollieren, hatte ich vor fünf Monaten die fixe Idee, beim Einkaufen möglichst auf Plastik zu verzichten. Das ziehe ich bis heute durch - mit Erfolg, aber nicht ohne Entbehrungen und Rückschläge. Meine hier aufgeführten Erlebnisse sollen sowohl Chancen als auch Schwierigkeiten aufzeigen, die mit einem Plastikverzicht einhergehen - kuriose Situationen nicht ausgeschlossen.

Bewährtes greift beim Einkaufen nicht mehr

Am Anfang steht die Recherche. Wo gibt es noch Nahrung ohne Plastikverpackung? Für gewöhnlich haben meine Lebensgefährtin und ich beim Discounter eingekauft. Leider gibt es da aber so gut wie gar nichts, was nicht in Plastik verpackt ist. Ein paar Sachen in Gläsern sehen wir immerhin: zum Beispiel Pesto. An der Innenseite des Deckels ist da zwar eine dünne Plastikabdichtung, doch die befindet sich an fast jedem Glasflaschendeckel. Und so müssen wir schneller, als uns lieb ist, den ersten Kompromiss eingehen - mit dem Pesto steht aber wenigstens fast ein halbes Gericht.

Jetzt brauchen wir nur noch ein paar Nudeln, die nicht in Plastik verpackt sind. Im Discounter ist das ein hoffnungsloses Unterfangen. Hier nehmen wir lediglich zwei vegetarische Streichaufschnitte und ein paar Oliven aus dem Glas mit. Dazu noch ein wenig loses Obst und Gemüse - leider alles konventionell angebaut, weil sämtliche Bioprodukte in Plastik eingepackt sind. Und so verlassen wir ernüchtert und ohne ein einziges vollwertiges Gericht den Discounter.

Erfolge bei der Nahrungssuche stellen sich ein

Per Zufall waren wir einige Monate zuvor im Bioladen "Basic", der am Bonner Bahnhof liegt. Da gibt es unterschiedliche Behälter mit Nudeln, Reis, Linsen, Nüssen und Couscous zum Selbstauffüllen - für uns also die perfekte Ergänzung zu unserem Pesto. Hinzu kommt, dass der Laden eine Käsetheke besitzt und Saft, Milch sowie Joghurt in Gläsern verkauft. Wasser brauchen wir nicht, da wir einen Sprudler haben und Leitungswasser trinken. Ganz so einfach ist das plastikfreie Einkaufen dann aber nicht. Es erfordert Planung.

Mehr Praktikabilität durch Tupperdosen-Tetris

Lebensmittel ohne Verpackung sind eine tolle Sache – haben aber leider die unangenehme Eigenart, bedingt transportabel zu sein. Wir setzen auf Tupperdosen und Einmachgläser, um das Einkaufen praktischer zu gestalten. Das heißt aber auch, dass wir uns einen Vorrat anlegen mussten. Heute haben wir diverse Dosen aus Kunststoff und Glas, um Lebensmittel einzukaufen und sie zu verstauen. Wir haben alle Farben und Größen. Das klingt zwar kompliziert und nach Tupperdosen-Tetris - ist aber extrem praktikabel.

Lose Lebensmittel und das Käsetheke-Fiasko

Läuft bei uns - beziehungsweise die Nudeln, der Reis und der Couscous laufen reibungslos in unsere Einmachgläser. Das funktioniert - aber nicht immer. Unsere anfängliche Euphorie wurde während unseres ersten Besuchs an der Käsetheke ausgebremst. Rückblick: Wir sind präpariert, haben unsere Tupperdose dabei und legen sie auf das dafür vorgesehene Tablett. Die Frau hinter der Theke fragt uns nach unseren Wünschen. Wir sagen ihr den Käse an. Sie holt ihn aus der Kühlvitrine und schneidet uns ein Stück ab - bis dahin ist alles gut. Vor unserem inneren Auge sehen wir bereits zahlreiche plastikfreie Käsetheke-Besuche im Bioladen. Die Zukunft ist goldgelb.

Und dann passiert es! Die Frau hinter der Theke zerknüllt die Plastikfolie, die vorher noch am Käselaib klebte, und schmeißt sie in den Mülleimer - um gleich danach eine neue Plastikschicht um den Käse zu wickeln. Meine Partnerin und ich schauen uns verdutzt an. "Warum machen Sie das?", frage ich die Frau. "Weil der Käse sonst schlecht wird", entgegnet sie. "Die alte Folie ist luftdurchlässig, deshalb kann ich die nicht nochmal verwenden", sagt sie mit Nachdruck. Ich sehe es ein – wenngleich ein wenig widerwillig. Wir trösten uns damit, dass wir immerhin weniger Plastik verbrauchen als beim Käsekauf im Discounter.

Verzicht auf Plastik geht ans Portemonnaie

Geld ist selbstverständlich auch ein wichtiges Thema. Im Bioladen war es nicht wesentlich teurer als im Supermarkt - einige Produkte aber schon. Und deshalb lohnt es sich, auch noch einen Abstecher zu Edeka, Rewe und Co zu machen. Hier kaufen wir zum Beispiel unser loses Obst und Gemüse, das im Bioladen für gewöhnlich deutlich teurer und im Discounter in Plastik eingepackt ist. Außerdem gibt es dort zum Beispiel Antipasti, Fisch und Soßen aus dem Glas.

Ein großes Problem sind Süßigkeiten. Hier müssen wir zur Quelle gehen. Bei Haribo ist es möglich, sich das lose Fruchtgummi in einen mitgebrachten Beutel zu füllen und bei Hussel können wir uns Bruchschokolade oder Pralinen in unserer Tupperdose mitnehmen – allerdings hat das Ganze seinen Preis. Das Gewicht einer Tafel Schokolade entspricht dort in etwa vier Euro. Generell gilt: Wer plastikfrei einkauft, zahlt mehr.

Einkaufen in der City erinnert an eine Odyssee

Wie einst der antike Held Odysseus tingeln wir bei jedem Einkauf zwischen diversen Anlegestellen hin und her. Zwar haben wir immerhin einen Plan, wo wir hinmüssen. Trotzdem vergeht nicht selten eine Menge Zeit, bis wir dann endlich wieder zu Hause angekommen sind. Das ist natürlich ein wenig nervig. Schön wäre es, wenn es einen Laden geben würde, der alles hat, was man zum plastikfreien Einkaufen benötigt – und bitte zu vertretbaren Preisen.

Was soll der Rucksack? Und was klimpert da so?

Der große Vorteil von Plastikverpackungen ist, dass sie wenig wiegen. Gläser hingegen bringen in größerer Stückzahl ordentlich Gewicht auf die Waage. Und das merke ich bei jedem Einkauf. Jutebeutel allein sind in der Regel keine gute Variante, um die Einkäufe mit sich herumzutragen – das wäre zu schwer. Plastikfreies Einkaufen zu Fuß ist somit vor allem etwas für Menschen, die auch Freude an einem ausgiebigen Trekking-Urlaub hätten. Beim Einkaufen trage ich neuerdings einen riesigen 60-Liter-Wanderrucksack mit mir herum, um die zahlreichen Tupperdosen und Einmachgläser zu transportieren.

Verwirrte Blicke habe ich bislang nicht nur von meinen Arbeitskollegen geerntet, die sofort investigativ nachfragen, was ich denn in meinem Wanderrucksack schmuggle. Auch die Menschen in der Stadt drehen sich immer wieder um. Und ich kann es ihnen nicht verübeln. Wenn ich durch die Straßen der Innenstadt gehe, hört sich das in etwa so an, als hätte ich einen Haushaltswarenladen im Gepäck. Am schlimmsten sind die Tage, an denen ich die Pfandgläser zurückbringe. Dann spielen sich ganze Konzerte in meinem Rucksack ab. In der Beethoven-Stadt Bonn ist das aber vielleicht gar nicht mal so unpassend.

Wer ohne Plastik schön sein will, hat Pech gehabt

Im Drogeriemarkt gibt es eigentlich fast gar nichts ohne Plastik – meine Shampoo-Flasche kann ich hier nicht auffüllen, meine Zahnpasta auch nicht. Ich könnte mich natürlich mit Kernseife waschen, aber das wäre mir dann doch zu aufwendig. An dieser Stelle kapitulieren wir schweren Herzens. Es gäbe bestimmt auch Möglichkeiten, im Kosmetikbereich mit Nachfüllsystemen zu arbeiten, die Plastik vermeiden. Es geschieht aber eben nicht. Wer schön sein will muss leiden – in unserem Fall wegen des schlechten Gewissens. Immerhin: Wir haben uns mittlerweile eine nachhaltige Zahnbürste aus Holz besorgt. Das ist doch ein Anfang. Und der ist bekanntlich schwer.

Eine Ausnahme kommt selten allein

Es gibt Situationen, in denen der Plastikverzicht nicht leichtfällt. Auf der Arbeit lacht mich häufig der Snackautomat an – nur ist das kein gutmütiges Lächeln, sondern vielmehr ein höhnisches Gelächter. Der weiß nämlich ganz genau, dass ich dazu neige, bei akutem Zuckermangel einzuknicken. Seit einem Monat habe ich aber auch das überwunden. Es gibt allerdings Situationen, in denen ich in alte Gewohnheiten zurückfalle – und zwar im Urlaub.

Die zu Hause so sorgfältig aufgebaute Infrastruktur zum Kauf plastikfreier Nahrungsquellen gibt es in der ungewohnten Umgebung meist nicht. Und besonders, wenn wir viel unterwegs sind, muss ich nehmen, was vorhanden ist. In den meisten Fällen komme ich nicht um Plastikverpackungen herum. Das ist zum Teil meine Schuld, spiegelt aber auch das Problem wider, dass der größte Teil der Lebensmittel weltweit in Plastik eingepackt ist.

Ernährungsumstellung dank Plastikverzicht

Ein eindeutiges Plus des Plastikverzichts ist aus meiner Sicht die damit verbundene Ernährungsumstellung. Früher habe ich mir während der Arbeitszeit häufig Schokoriegel oder Chips vom Discounter geholt. Heute greife ich zunehmend auf Joghurt und Obst zurück – also einfache Snacks für zwischendurch. Immer häufiger mache ich mir Butterbrote, die ich in der Tupperdose mitnehme. Insofern kann man hier tatsächlich von einer Win-win-Situation sprechen – wobei das zugegebenermaßen aufs Auge des Betrachters ankommt.

Toleranz im Namen der Freundschaft

An Geburtstagen und an Weihnachten gibt es Geschenke. Und wo Geschenke sind, ist Plastik nicht weit. Ob Parfüm, Elektronisches oder Süßes: Fast alles ist in irgendwelchen Folien eingepackt. Einiges davon ist unsinnig, manches Plastik erfüllt sogar einen Zweck. So oder so habe ich es bislang vermieden, Verwandte oder Freunde im Nachhinein darauf hinzuweisen, dass ich keine Geschenke haben möchte, die in Plastik verpackt sind. Das wäre irgendwie taktlos.

Erst große Augen, dann ein breites Grinsen

Spannend waren die Reaktionen der Verkäufer, als wir ihnen gesagt haben, dass wir die Lebensmittel gerne in Tupperdosen mitnehmen würden. Keiner hat bislang geantwortet: "So etwas machen wir hier nicht." In der Regel waren die Leute überrascht und haben uns erst einmal erstaunt angesehen. Häufig sind die großen Augen dann aber einem breiten Grinsen gewichen. Der Mann vom Fischwagen, die Frau aus dem Schokoladenladen oder der Haribo-Verkäufer: Sie alle standen unserem Plan positiv und offen gegenüber. Einige äußerten sogar die Hoffnung, dass künftig noch mehr Menschen mit Tupperdosen ankommen.

Der gelbe Sack bleibt, ist aber seltener voll

Weitgehend auf Plastik zu verzichten, ist herausfordernd. Das verlangt Organisation, die Bereitschaft, mehr Zeit einzuplanen, und auch kleinere Rückschläge sind keinesfalls ausgeschlossen. Aber es zahlt sich aus. Die Reaktionen sind häufig positiv. Das eigene Engagement wirkt sogar ansteckend. Wir sind bewusst nicht dogmatisch an unser Vorhaben herangegangen. Es ging uns nicht darum, Plastik zu verteufeln und ganz aus unserem Leben zu verbannen. Wir wollten dort darauf verzichten, wo es nicht unbedingt notwendig ist. Am Ende haben wir es zwar nicht geschafft, dieses Ziel in Gänze zu erreichen. Der gelbe Sack ist aber immer seltener voll Müll. Und das Meer hoffentlich bald auch.

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