Glücksfall für die Bundesrepublik Deutschland "Das Grundgesetz hat Zukunft"

Bonn · Staatsrechtler Josef Isensee eröffnete das Semesterprogramm der Friedrich-Spee-Akademie.

 Zum Semesterauftakt erläutert Staatsrechtler Josef Isensee Werdegang und aktuellen Zustand des deutschen Grundgesetzes.

Zum Semesterauftakt erläutert Staatsrechtler Josef Isensee Werdegang und aktuellen Zustand des deutschen Grundgesetzes.

Foto: Stefan Knopp

War das vor 70 Jahren entstandene Grundgesetz ein Glücksfall für die Bundesrepublik Deutschland? Auf jeden Fall, ist der Staatsrechtler Josef Isensee überzeugt: Gegen alle Kritik, die es unter anderem als Zeichen "beispielloser Schwäche" brandmarken wollte, habe sich diese von den westlichen Besatzungsmächten eigentlich als Provisorium gedachte Verfassung als stabil und effektiv erwiesen, erklärte er am Donnerstag im Maritim Hotel.

Dort ging er in seinem Vortrag zur Semestereröffnung der Friedrich-Spee-Akademie der Frage nach, ob sich das Grundgesetz den Status als Glücksfall bis heute bewahrt hat.

Es habe eine "menschenwürdige Daseinsform als Staat" ermöglicht, so Isensee. "Der Antitotalitarismus wird Staatsräson in der Bundesrepublik Deutschland." Es sei keine Trümmerverfassung gewesen, sondern beruhe auf dem freien Willen der Deutschen - die das bei der ersten Bundestagswahl bestätigten.

"Das Grundgesetz gewinnt in der praktischen Anwendung an normativer Kraft." Es sei eine "Verfassung mit Fortune", die vom wachsenden Wohlstand getragen worden sei. Zudem räume es, anders als in anderen Ländern, nicht einem Staatsoberhaupt oder einem Regierungsorgan, sondern dem Bundesverfassungsgericht das "Recht des letzen Wortes" ein.

Von den 146 Artikeln, die im Mai 1949 unterzeichnet wurden, hätten aber heute nur noch 70 den ursprünglichen Wortlaut. Ein Grund: Die Europäische Union relativiere und schränke immer weiter ein. "Ihr Kompetenzhunger ist unersättlich."

Und sie dehne sich immer weiter aus, der Europäische Gerichtshof sehe sich als Motor der Integration, dem gegenüber das Bundesverfassungsgericht die "Rolle des Hofhundes" eingenommen habe, der den Konflikt scheue.

Dabei gebe es viele Themen, die er angehen müsste: Die weltweite politische Lage und Rolle Deutschlands nach der Wiedervereinigung, die Krise des Föderalismus, Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland.

Aber es herrsche Stillstand, was den Ruf nach Plebiszit habe aufkommen lassen. Aber könnten Volksabstimmungen, die laut Grundgesetz nicht möglich sind, die Lösung sein? Isensee verwies auf Großbritannien: Mit Blick auf den Brexit sei alles gesagt. "Das Problem löst man nicht dadurch, dass man das Grundgesetz ändert." Vielmehr biete es die Bahnen für die Lösungen. "Ich glaube, das Grundgesetz hat Zukunft.

Mit diesem Vortrag, den das Querflötenduo "Zauberflöten" umrahmte, nimmt die Friedrich-Spee-Akademie ihr neues Semesterprogramm auf. Seit 2006 bietet sie Bildung "von Bürgern für Bürger", mit besonderem Blick auf Menschen in der zweiten Lebenshälfte.

Veranstaltungsort ist die Stiftung Pfennigsdorf, mit der die Akademie eng kooperiert. Benannt ist sie nach dem Dichter, Theologen und humanistischem Denker Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1631), der unter anderem gegen Hexenverfolgung, Folter und Gewalt ankämpfte.

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