Artenvielfalt in der Region Darum werden Wölfe in Bonn wohl nicht heimisch

Bonn · Beate Jessel, Chefin des Bundesamtes für Naturschutz, ist überzeugt davon, dass der Wolf in Bonn nicht heimisch wird. Im Interview erklärt sie, warum, und spricht außerdem über Naturschutz und den Klimawandel in der Region.

Ein Rückblick: Welches Thema fällt Ihnen spontan als wichtigstes Ereignis seit der BfN-Gründung ein?

Beate Jessel: Die Verabschiedung der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt durch die Bundesregierung und daran anknüpfend die Einführung des Bundesprogramms Biologische Vielfalt im Jahr 2011. Zunächst sind jährlich 15 Millionen Euro Bundesmittel in dieses Aufgabengebiet geflossen. Für 2019 stehen sogar mehr als 30 Millionen Euro im Haushalt.

Welches Projekt in der Region Bonn/Rhein-Sieg ist mit diesem Geld gefördert worden?

Jessel: Zum Beispiel das Forschungsprojekt Wildkatzensprung des BUND. Ein Ergebnis ist, dass wir durch die umfangreichen Untersuchungen im Kottenforst wissen, dass dort derzeit zwölf Wildkatzen nachgewiesen sind. Mit Hilfe des Projekts liegt mittlerweile eine bundesweit gute Datenbasis zum Bestand der Wildkatze vor.

Welches Thema beschäftigt das BfN aktuell am meisten?

Jessel: Neben dem bundesweiten Rückgang der Insekten die Rückkehr des Wolfs. Die Emotionen schlagen bundesweit hoch, weshalb wir viel Aufklärung betreiben müssen. Die Auswertung des Monitoringjahres 2017/18 hat aktuell ergeben, dass derzeit 73 Wolfsrudel in Deutschland leben. Das sind 13 mehr als im Vorjahr. Die weiterhin positive Entwicklung der Wolfspopulation in Deutschland steht im starken Kontrast zum weltweit dramatischen Verlust der biologischen Vielfalt. Dieser Erfolg zeigt, dass Arten von einem strengen Schutz profitieren.

Werden die Menschen an Rhein und Sieg in absehbarer Zeit einen Wolf zu Gesicht bekommen?

Jessel: Es ist möglich, dass Wölfe irgendwann auch durch Kottenforst und Siebengebirge ziehen werden. Aber es wird sich wohl nur um eine Durchreise handeln. Wölfe werden unmittelbar um Bonn sicher nicht dauerhaft heimisch. Die Eifel und das Bergische Land eignen sich hingegen schon. Wölfe benötigen keine Wildnis als Lebensraum, aber sie brauchen Platz und Ruhe.

An welchem Projekt nehmen die Menschen in der Region die Arbeit des BfN derzeit wahr?

Jessel: Am Naturschutzgroßprojekt Chance 7, das die Kultur- und Naturlandschaften zwischen Rhein und Sieg fördert, in dem zahlreiche naturnahe Flächen wie alte Weinbergbrachen, Streuobstwiesen und Feuchtgebiete renaturiert werden. Sieben Kommunen aus der Region sind an den Start gegangen und haben Fördergelder abgerufen. Leider ist Eitorf ausgestiegen. Bonn, Bad Honnef, Königswinter, Sankt Augustin, Hennef und Windeck sind engagiert dabei, die Bundesmittel umzusetzen. Im Stadtgebiet Bonn liegen die Projektzonen im Ennertwald und auf Pützchens Wiesen.

Können sich Flora und Fauna an den Klimawandel anpassen?

Jessel: Tier- und Pflanzenarten reagieren auf veränderte Klimabedingungen, indem sie ihre Verbreitungsgebiete verändern. Wir müssen daher Lebensbedingungen für Flora und Fauna bereitstellen, damit betroffene Arten ihre Aufenthaltsorte verändern können. Das bedeutet, dass unsere Landschaften durchlässiger werden müssen. Und das erreichen wir nur durch länderübergreifende Biotopverbundsysteme.

Welche Tier- und Pflanzenarten haben sich in jüngster Vergangenheit wegen des Klimawandels bei uns am Rhein niedergelassen?

Jessel: Hirschzungenfarn und Nagelkraut sind wärmeliebend und haben sich immer weiter Richtung Norden ausgebreitet. Bei den Insekten fällt mir spontan die Rote Feuerlibelle ein, eine Art aus dem Mittelmeerraum, die sich seit den 1990er-Jahren bis in unsere Region ausgebreitet hat.

Ist nur der Klimawandel an alle diesen Veränderungen schuld?

Jessel: Wir müssen zwischen Klimawandel und Wetterereignissen unterscheiden. Klimawandel spielt sich langfristig ab, Wettergeschehen kurzfristig. Diese Veränderungen werden sich fortsetzen und darauf müssen wir uns vorbereiten. Zum Beispiel müssen wir den Flüssen mehr Raum geben, damit sie bei Starkregen ausreichend Wasser aufnehmen können.

Unternimmt Bonn genug für den Naturschutz?

Jessel: Als Bundesbehörde sind wir für Städte und Gemeinden nicht direkt zuständig. Aber grundsätzlich ist zu sagen, dass Kommunen viele Möglichkeiten haben, sich intensiv für Naturschutz einzusetzen. Wir unterstützen sie dabei und haben deshalb das „Bündnis Kommunen für Biologische Vielfalt“ initiiert. 160 Städte und Gemeinden sind mittlerweile Mitglied, darunter auch Bonn, Sankt Augustin und Hennef. Kommunen sind große Grundeigentümer, die über Pachtverträge auf das ökologische Wirken der Pächter einwirken können. 80 Prozent der Deutschen leben in Städten oder deren Umfeld. Deshalb ist es wichtig, dass Kommunen sich um nachhaltige Naturzugänge für Bürger und eine naturnahe Grünflächenpflege kümmern.

Wenn Sie privat unterwegs sind, wo zieht es Sie in unserer Region hin?

Jessel: Einer meiner Lieblingsplätze ist das Siegtal. Die dortigen Laubwälder und Siefen können es vom Naturerlebnis her mit einigen touristischen Hochburgen in Deutschland aufnehmen - zum Beispiel dem Schwarzwald. Den Siegsteig als Wanderroute kann ich bestens empfehlen.

Hat die Region die Chance, dass das Siebengebirge zum zweiten Nationalpark in NRW ernannt wird, vor Jahren leichtfertig verspielt?

Jessel: Nationalparke dienen vorrangig dem Schutz der Natur, deshalb gelten für ihre Errichtung strenge Kriterien wie eine Mindestgröße und Unzerschnittenheit. Um Nationalpark zu werden, hätte das Siebengebirge nachweisen müssen, dass es diese Kriterien erfüllt. Mit Maßnahmen wie der Ausweisung eines Wildnisgebietes und der Teilnahme am Naturschutzgroßprojekt „Chance 7“ lassen sich die großen Potenziale des Siebengebirges schützen und fördern. Eine konsequentere Besucherlenkung würde ich begrüßen, damit naturnahe Waldbereiche sich besser entwickeln können.

Wenn Sie über unsere Region am Rhein sprechen, reden Sie gerne von einem „Hotspot der biologischen Artenvielfalt“. Warum?

Jessel: Weil hier rechts und links des Rheins ein besonderer Reichtum an Tier- und Pflanzenarten zu finden ist – darunter viele seltene und meist gefährdete. Im Siebengebirge und an der Sieg leben Steinkrebs, Rotmilan, Gelbbauchunke, Schwarzstorch, Uhu, Wanderfalke und die hochgradig gefährdete Schmetterlingsart „Ameisenbläuling“. Deshalb kann man von einem Schatzkasten der Natur sprechen.

Was sind aus Ihrer fachlichen Sicht die großen Aufgaben der Zukunft?

Jessel: Es muss weiterhin mit aller Kraft versucht werden, die Erwärmung der Erdatmosphäre zu verlangsamen, denn sie wird massive Auswirkungen auf unsere Tier- und Pflanzenwelt wie auch auf unsere Lebensbedingungen haben. 2019 wird das Bundesumweltministerium ein Klimaschutzgesetz in den Bundestag einbringen, das ein Maßnahmenpaket unter anderem für Landwirtschaft und Verkehr beinhalten wird. Als BfN werden wir uns weiter intensiv um den Schutz der Meere und der Insekten sowie den Erhalt der biologischen Vielfalt vor allem in der Agrarlandschaft kümmern müssen.

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