GA-Serie: "Bonn schreibt ein Kinderbuch" Kapitel fünf: Begegnung mit dem Bröckemännche

Im fünften Kapitel berichtet Flüchtlingsmädchen Sima von einem Besuch in der Bonner Innenstadt. Schulklassen, Familien und Jugendgruppen erzählen die Geschichte weiter.

Kapitel fünf: Entdeckungstour durch die Stadt. Hauptfigur Sima, die mit der Familie ihres Onkels aus Syrien nach Bonn geflüchtet ist, erzählt die Geschichte aus ihrer Sicht.

Endlich war es warm und die vielen Bäume blühten in Weiß und Rosa. So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen! Im Park blühten auch viele verschiedene Blumen – am liebsten hätte ich sofort all ihre Namen gewusst. Meine Cousine und ich hielten es vor lauter Neugier nicht mehr im Haus aus und wollten die Stadt erkunden. Meine Tante wollte uns zuerst nicht allein gehen lassen, aber wir konnten sie doch noch überreden, immerhin war meine Cousine schon vierzehn. Meinen kleinen Cousin Almir nahmen wir auch gleich mit. Zuerst kamen wir zu einer langen Brücke, auf der auch die Straßenbahn fuhr, und beobachteten von der Mitte der Brücke drei große Schiffe unten im Fluss.

Vieles war neu, und manches verstanden wir auch nicht. Warum hingen an dem Brückengeländer so viele Schlösser? Wir gingen auch unter der Brücke entlang und mussten laut über das komische Steinmännchen kichern, das dort hing und uns seinen Hintern zeigte. Was das wohl zu bedeuten hatte?

Wir hatten gehört, dass es in der Innenstadt einen schönen Markt gab, auf dem man Obst, Gemüse, Blumen und sogar Feigen und Nüsse wie bei uns in Syrien kaufen konnte. Da wollten wir unbedingt hin! Meine Cousine hatte in der Schule auch von der Touristeninformation erfahren, bei der wir uns einen Stadtplan von Bonn abholten. Und was für eine Überraschung: Dort gab es sogar kostenlose Stadtpläne in arabischer Schrift. Gleich nahmen wir auch einige Pläne für meinen Onkel und meine Tante mit.

Auf unserem Weg zum Marktplatz kamen wir an einem Friseurladen vorbei. Er sah wunderschön aus. Große Spiegel hingen von der Decke bis zum Boden – und daneben viele Plakate mit schönen Frisuren. Männer und Frauen saßen nebeneinander in einem Raum zusammen und eine Frau schnitt einem Mann gerade die Haare. Das hatte ich in meiner Heimat noch nie gesehen. Neugierig standen wir an der Fensterscheibe, als uns eine junge Frau hereinwinkte. Sie fragte, woher wir kamen, und wir durften uns umsehen.

Der Friseurladen war wirklich anders als zu Hause. In Syrien wurden bei den Frauen auch immer gleich die Augenbrauen mit einem Faden gezupft und ihre Gesichter schön geschminkt. Hier benutzte niemand einen Faden. Bei einem Mann wurde der kurze Bart mit so einer kleinen Maschine geschnitten, wie sie unser Nachbar am Wochenende benutzte, wenn er im Garten das Gras ganz kurz schnitt. Natürlich war die Gartenmaschine viel größer, aber das Geräusch war ähnlich. Zum Abschied bekamen wir alle einen Ballon mit dem Namen des Ladens darauf. Almir freute sich besonders, als wir alle drei für ihn aufpusteten.

Wir spazierten über den Marktplatz und hörten den Händlern zu, wie sie viele fremde Wörter riefen. „Möhren – nur einen Euro“ und „frisches Oooooobst“ und immer wieder „Spargel und Erdbeeren, Schale nur zwei Euro!“. Was war denn Spargel? Diese seltsamen weißen Stangen kannte ich nicht. Obwohl wir fast nichts verstanden, klang es ein wenig wie zu Hause auf dem Basar.

Plötzlich rief jemand laut meinen Namen und vor uns stand ein junger Mann – es war Mohamed, mein anderer Onkel aus Syrien, der schon vor längerer Zeit aus Damaskus weggegangen war. Weil er sich so freute, uns zu sehen, lud er uns zu einem Eis in die Eisdiele am Marktplatz ein. Jeder durfte sich eine Kugel aussuchen. Er erzählte, dass er weit weg von Bonn wohne, aber heute versuche, hier eine Wohnung zu finden. Ihn bald vielleicht öfter zu sehen, fanden wir alle schön.

Leider war es bald Zeit, nach Hause zu gehen. Müde, aber glücklich gingen wir drei über die Brücke zurück. Almir war so erschöpft vom vielen Laufen, dass ich ihn auf den Arm nahm. Mohamed hatte uns erklärt, dass das komische Brückenmännchen überhaupt nicht gefährlich war oder mich ärgern wollte, sondern etwas mit einer Tradition und einem nachbarschaftlichen Gruß von der einen auf die andere Seite des Flusses zu tun hatte, der Rhein hieß. Jetzt konnte ich sogar über das Männchen lachen.

Am nächsten Tag fielen mir in der Schule wieder all die neuen Wörter vom Markt ein. Ich fragte Paula, was Spargel ist. „Ein Gemüse!“ Aber sie verzog das Gesicht – anscheinend mochte sie es nicht besonders gern. Ich nahm mir trotzdem vor, es so bald wie möglich zu probieren.

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