Interview mit EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm: „Gewalt gegen Niklas P. entsetzt uns alle“

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, der am 5. Juni nach Bonn kommt, fordert angesichts der Gewalttat gegen Niklas P. Präventionsarbeit, die schon im Kindergarten beginnt.

200 Jahre evangelische Bonner Gemeinde: Ein stolzes Jubiläum?

Heinrich Bedford-Strohm: Auf jeden Fall ein sehr besonderes. Eine so kraftvolle evangelische Gemeinde wie die in Bonn ist ja gerade in katholisch geprägten Teilen des Rheinlands keine Selbstverständlichkeit. Dieses 200-Jährige ist für mich eine Einstimmung auf das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017, und das besonders im Hinblick auf den ökumenischen Geist. Ich verstehe Evangelischsein nicht als Abgrenzung, sondern als kraftvolle Tradition, die sich in Geschwisterschaft mit den Katholiken sieht.

Und was heißt Evangelischsein für den Einzelnen in der Gemeinde?

Bedford-Strohm: Da ist für mich die von Martin Luther geprägte „Freiheit eines Christenmenschen“ die aussagekräftigste Basis. Und ich sage das wieder ausdrücklich nicht in Abgrenzung zu den Katholiken. Zum Evangelischsein gehören die klare geistliche Grundlage, die Gottesdienste und das hohe Engagement der Menschen. Letzteres geht gerade in den Bonner Gemeinden vom Einsatz für den Frieden und für Flüchtlinge bis zur öffentlichen Präsenz im Stadtleben, wo es auch um den Dienst am Nächsten und am Gemeinwesen insgesamt geht.

Sie kommen am Sonntag, 5. Juni, zur 200-Jahr-Feier der evangelischen Gemeinde nach Bonn. Sie wissen, dass aktuell der Todesfall Niklas P. die Stadt entsetzt?

Bedford-Strohm: Diese Gewalttat hat uns alle bewegt. Wir alle können erahnen, was es heißt, einen Menschen so jung zu verlieren. Wenn, wie bei dieser Tat geschehen, das Gefühl verloren geht, dass es sich bei jedem, der mir gegenübersteht, um einen Menschen handelt, der zum Bilde Gottes geschaffen wurde, entsetzt uns das alle.

Was können wir tun? Der evangelische Superintendent von Bad Godesberg-Voreifel sitzt ja mit am Runden Tisch.

Bedford-Strohm: Gewaltpräventionsprogramme in den Schulen, in denen die soziale Kompetenz geschult und den Schülern beigebracht wird, wie man mit Situationen umgeht, die zu Gewalt führen können, sind ein wichtiger Baustein. Da ist schon viel an Projekten unterwegs, auch von der evangelischen Kirche. Das sollte man ausbauen. Das Entscheidende ist aber immer die Beziehungsebene. Wo Menschen allein gelassen werden, Abwertung und Demütigung erfahren, stauen sich Hass und Frustration an. Das kann in Gewalt münden. Deshalb ist ein liebevoller Umgang miteinander, besonders mit Kindern, aus meiner Sicht der Schlüssel. In den Kindertagesstätten müssen wir gerade auf diejenigen achten, die nicht gut genug in ihren Familien betreut werden oder keine Liebe erfahren.

Wem gehört der Schwarze Peter: nur der Stadt, dem Land, der Polizei? Stehen nicht auch die Kirchen in der Verantwortung?

Bedford-Strohm: In der Sorge um ein gewaltfreies Miteinander stehen wir als Gesellschaft alle gemeinsam in der Verantwortung. Das bezieht natürlich auch die Kirchen ein. Gottes Liebe und die Nächstenliebe stehen ja im Zentrum unserer Religion. Wir müssen dafür sorgen, dass die Nächstenliebe als Grundlage unserer Kultur gestärkt wird. Deshalb ermutigen wir schon seit Langem zu gewaltfreien und Gewalt überwindenden Konfliktlösungen. Gerade in den Schulen müssen wir solche Akzente noch viel intensiver setzen.

Zum Kreissynodenthema „Dialog mit den Muslimen“. Was ist da die Aufgabe der Gemeinden?

Bedford-Strohm: Der Dialog mit Muslimen ist von ganz zentraler Bedeutung. Menschen können nur Vorurteile und Hass überwinden, wenn sie sich kennenlernen und ihre Bilder voneinander der Realität anpassen. Wenn Menschen heute Fernsehbilder von fanatisierten islamistischen Massenaufläufen und die schrecklichen Gräueltaten des IS sehen und das alles dem Islam zuordnen, dann ist die Abwehrreaktion ja nachvollziehbar. Deswegen ist es so wichtig, den Islam nicht fälschlicherweise mit Islamismus gleichzusetzen. Unsere Aufgabe ist es, mit Muslimen vor Ort in konkreten Kontakt zu kommen. Ich bin sehr froh, dass die Bonner Synode gerade an dieser Stelle den Akzent gesetzt hat, eine echte Weggemeinschaft zu bilden. Das ist genau der richtige Grundton.

Gehören Muslime auch zu Bonn?

Bedford-Strohm: Natürlich. Und wir müssen uns gegen den Fundamentalismus verbünden, gegen die Intoleranz, gegen den Missbrauch des Namens Gottes zur Ausübung von Gewalt, gegen diese Form von Gotteslästerung. Das muss unser gemeinsames Anliegen sein. In Bonn genauso wie in anderen Städten gibt es ja viele Muslime, die genau dieses Anliegen mit uns teilen. Wenn wir vor Ort eine Weggemeinschaft bilden, werden wir letztlich auch Fortschritte im Kampf gegen fanatisierte Gewalttäter verzeichnen.

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