Lampenfieberambulanz in Bonn 300 Patienten in den vergangenen drei Jahren

Bonn · Lampenfieber! Selbst Stars wie Robbie Williams und Adele werden es einfach nicht los. Frédéric Chopin gab überhaupt nur 30 Konzerte, weil ihn das Publikum gelähmt haben soll. Der berühmten Pianisten Vladimir Horowitz sei manchmal regelrecht auf die Bühne geschoben worden.

 Gründete die Lampenfieberambulanz: Déirdre Mahkorn von der Uniklinik.

Gründete die Lampenfieberambulanz: Déirdre Mahkorn von der Uniklinik.

Foto: Barbara Frommann

Lampenfieber macht vielen Musikern den Beruf zur Qual. Doch Heilung sei möglich, sagt Déirdre Mahkorn. 2010 rief die Oberärztin an der Bonner Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie die Lampenfieberambulanz ins Leben. Es ist die bundesweit erste Einrichtung dieser Art an einer psychiatrischen Uniklinik.

"Lampenfieber ist keine Luxus-Befindlichkeit, sondern für Betroffene, die in ihrem Alltag stark eingeschränkt werden, eine ernstzunehmende Erkrankung", sagt Mahkorn "Wir sind darauf geeicht, die Flucht zu ergreifen, wenn uns etwas Angst macht." Unsere Vernunft zwinge uns jedoch dazu, diesem Drang zu widerstehen.

Das kann dazu führen, dass Musiker, wenn sie unter akutem Lampenfieber leiden, Herzrasen, Schweißausbrüche, sogar Panikattacken oder massive Todesangst empfinden - Symptome, die durch eine Reaktion des vegetativen Nervensystems verursacht werden. "Trompeter klagen typischerweise eher über Mundtrockenheit, Sänger, dass ihnen die Luft weg bleibt, und Cellisten zittert der Bogen", so die Medizinerin.

"Das kann man sich vorstellen wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Der Betroffene konzentriert sich auf das entsprechende Symptom und verliert sich schließlich völlig in ihm." Um die Angst zu überwinden, griffen einige zu Alkohol, Beruhigungsmitteln oder Betablockern.

"Wir sind sehr ausgelastet", berichtet Mahkorn. Vor allem klassische Musiker zählen zu den Patienten in der Lampenfieberambulanz, aber auch Künstler aus dem Jazz, Rock- und Popbereich. Auch Prominente seien darunter, doch Namen dürfe sie natürlich nicht nennen. Eine Untersuchung, die die Psychiaterin an einer Gruppe Blechbläser durchgeführt hat, offenbart alarmierende Zahlen: Fast 90 Prozent gaben an, Erfahrung mit Bühnenangst gemacht zu haben.

Mehr als die Hälfte klagte über aktuelle Beschwerden. 300 Patienten wurden in den vergangenen drei Jahren in der Ambulanz behandelt. Besonders häufig betroffen seien Sänger und Streicher. "Ein Fagott hatten wir bisher noch nie, vielleicht, weil es nicht das typische Soloinstrument ist."

Musiker seien typischerweise sehr leistungsorientiert. Seit frühester Kindheit seien sie Drill und externen Druck gewöhnt und permanent Wettbewerben bei Aufnahmeprüfungen und Orchestervorspielen ausgesetzt. Hinzu käme die Angst, bei Misserfolgen die Eltern zu enttäuschen. "Sie sind es gewohnt, sich selbst zu disziplinieren und Stress auszuhalten. Eine Flucht aus dem Orchestergraben ist sehr selten." Die Therapeuten nehmen jeden ernst.

"Wenn eine Sängerin berichtet, dass sie Angst vor dem Königin-der-Nacht-F hat, dann weiß ich wovon sie spricht", sagt Mahkorn, die sich im klassischen Repertoire bestens auskennt und mit einem Berufsmusiker verheiratet ist. Dank der Verhaltenstherapie schafften es die meisten Patienten, wieder angstfrei zu werden. "Zunächst geht es darum, die schädlichen Gedankengänge zu identifizieren, die die Zuversicht zerstören." Dazu spricht Mahkorn mit den Betroffenen Situationen durch, in denen sich die Ängste aufbauen. Im Laufe der Behandlung folgen Übungen, in denen die Musiker etwa im Hörsaal vor Klinikmitarbeitern als Publikum vorspielten.

Seit 2012 führt Mahkorn mit Erfolg auch ein Pilotprojekt durch, in dem sich Betroffene zu Gruppentherapien zusammenfinden. Ihre Ergebnisse will die Medizinerin in Kürze veröffentlichen. Mahkorn, die mittlerweile selbst schon Aufritte in Fernsehen und Rundfunk hinter sich hat, hat selbst kein Problem mit Lampenfieber. Ihr Tipp: Die Aufmerksamkeit weg von den Symptomen nur auf den Inhalt lenken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
August Macke, Waldrand, Öl auf Leinwand,
Der Macke vom Müll
Neue Folge des Crime-Podcasts „Akte Rheinland“Der Macke vom Müll
Zum Thema
Aus dem Ressort