GA-Serie "KinderKinder" „Streit mit den Kindern muss man aushalten“

Bonn · Paula Bleckmann, Medienpädagogin an der Alanus Hochschule, warnt vor übermäßiger Handy- und PC-Nutzung. Nur zwei Prozent der Jugendlichen sind in der Lage, ihren Konsum selbst zu beschränken.

 Konfliktträchtig: Gerade in der Pubertät kommt es häufig zu Streitereien mit den Eltern.

Konfliktträchtig: Gerade in der Pubertät kommt es häufig zu Streitereien mit den Eltern.

Foto: dpa

„Eigentlich verstehe ich mich super mit meinem Sohn – wenn das Thema Computer nicht wäre.“ Mit dieser Aussage trifft der Vater eines 15-Jährigen ein Grundproblem in vielen Familien. Ständig gibt es mit dem Nachwuchs Auseinandersetzungen um die Nutzung von Computer, Smartphone, Tablet und Fernseher.

Trotz klarer Regeln und Abmachungen versuchen Jugendliche, längere Nutzungszeiten herauszuschlagen, häufig mit dem Argument, alle ihre Freunde und Klassenkameraden dürften viel länger ihre Geräte nutzen.

Was Eltern als ermüdend und frustrierend empfinden, wertet Paula Bleckmann, Medienpädagogin, Mediensuchtforscherin und Professorin der Alanus Hochschule sowie Mutter von drei Kindern, als normal und vor allem positiv. Sie rät, diesen Streit mit den Jugendlichen auszuhalten.

74 Prozent der Eltern sind besorgt

Bleckmann: „Laut einer Studie machen sich 74 Prozent der Eltern von Teenagern Sorgen um die Bildschirmnutzung ihrer Kinder. Wir Mediensuchtforscher machen uns aber mehr Sorgen um die 24 Prozent, deren Eltern sich nicht sorgen, weil sie kapituliert haben oder es ihnen einfach egal ist. Denn Kinder und Jugendliche benötigen die Kontrolle und Beschränkung ihres Medienkonsums durch die Eltern. Vielleicht zwei Prozent der Jugendlichen, also die absolute Ausnahme, sind in der Lage, ihren Konsum zu beschränken.“

Ursache dafür sei die noch fehlende psychosoziale Reife, die sich gar nicht im gleichen Tempo entwickeln könne, wie die Medienverfügbarkeit für Kinder und Jugendliche heute wachse, so Bleckmann. Kinder und Jugendliche hätten heute bereits in einem Alter Zugriff auf digitale Medien, in dem die Risiken für sie höher seien als die Chancen, davon zu profitieren.

Als Orientierung, welche Medien für welche Altersgruppe in Frage kommen, empfiehlt Bleckmann das Ampelmodell. Rot bedeutet keine Bildschirmmediennutzung und betrifft Kleinkinder unter drei Jahren. In der zweiten Phase (gelb) werden die Kinder bei ihren Bildschirmzeiten begleitet, diese sollten aber so begrenzt wie möglich sein. Erst wenn die jeweilige psychosoziale Reife vorhanden ist, können Jugendliche ohne Begleitung Medien nutzen (grün).

Da kommt zuerst das Buch, dann die Hörmedien und der Fotoapparat, dann Fernseher, PC offline und Handy und erst zum Schluss das internetfähige Smartphone. Denn selbst Erwachsene hätten Schwierigkeiten mit der Selbstregulation. Genaue Altersangaben dazu möchte die Medienpädagogin nicht geben. „Wir wollen Eltern kein schlechtes Gewissen machen, weil sie es anders machen, sondern ihnen Chancen bieten, es zu ändern.“

Den Zugang mit modernen Medien herauszögern

Grundsätzlich aber rät Bleckmann, Kindern den Zugang zu Fernseher, PC, Tablet und Smartphone nach hinten herauszuzögern: „Familien mit kleineren Kindern kann es auf diesem Weg gelingen, viele stressfreie Jahre zu gewinnen, in denen Streit um die Mediennutzung noch gar kein Thema sein muss.“ Eltern sollten dafür sorgen, dass ihre Kinder das reale Leben erleben.

„Es ist die größte Lüge zu behaupten, dass Kinder vom Bildschirm lernen. Der Bildschirm ist ein Zeiträuber, der kleinen Kindern die Stunden stiehlt, in denen sie sonst die Dinge real erleben könnten, die für ihre gesunde Entwicklung notwendig sind.“ Studien zeigten, dass, wenn der eigene Fernseher oder PC im Kinderzimmer steht, sich die Nutzungszeiten verdoppeln und die Nutzung nicht altersgerechter Inhalte sogar versechsfacht.

Eine große Rolle spiele auch der eigene Medienumgang der Eltern. „Sie müssen Vorbild sein und in der Lage sein, ihre Nutzung beschränken zu können“, sagt die Professorin. Das bedeute jedoch nicht, dass Kinder auf der gleichen Stufe wie ihre Eltern stehen. „Es gibt Dinge, die dürfen die Eltern, die Kinder aber nicht. Denn auf Kinder wirken Medien anders als auf Erwachsene.“

Bleckmann empfiehlt, klare Regeln in der Familie zu formulieren, beispielsweise für die Kleinkinder: kein Fernsehen, nur DVDs, allein schon wegen der vielen Fernsehwerbung. Bei älteren Kindern und Jugendlichen empfiehlt sie im Umgang mit eigenen Geräten vorher einen Vertrag abzuschließen. „Darin sollten Regeln klar formuliert sein, wann beispielsweise das Smartphone genutzt werden darf und welche Konsequenzen bei Missachtung der Regeln folgen.“

Ein konstruktiver Dialog zur Schadensvermeidung ist wichtig

Am wichtigsten sei es, in einem konstruktiven Dialog zu bleiben, aber auch das Wegnehmen der Geräte könne zu den Konsequenzen gehören. „Wenn alles andere versagt, ist es sogar die elterliche Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Kinder keinen Schaden nehmen.“ Diese ständigen Verhandlungen mit den Jugendlichen seien zwar anstrengend, aber das kleinere Übel gegenüber der Gefahr, die drohe, wenn Eltern kapitulieren. „Dann haben sie schlimmstenfalls irgendwann Jugendliche, die mediensüchtig sind.“

Diese Gefahr digitaler Reizüberflutung sieht die Medienpädagogin vor allem in den bildungsferneren Familien. „Je niedriger der Bildungsstand der Eltern, desto höher ist im Schnitt die Medienausstattung der Kinder, und dies ist wiederum eine Mitursache für die schlechteren Schulleistungen.“

Deshalb müsse es die eigentliche Aufgabe von Bildungseinrichtungen wie Kita und Grundschule sein, diesen Kindern beim Verarbeiten ihrer Medienerlebnisse zu helfen und ihre Verankerung im realen Leben zu fördern. Bleckmann: „Heute wird bei der Medienerziehung von der Medienkompetenz gesprochen. Gemeint ist meist die Fertigkeit, mit den Geräten umgehen zu können. Hohe technische Fertigkeiten sind aber bei Kindern und Jugendlichen mit höherem Suchtrisiko verbunden.“

Ziel der Medienerziehung müsse deshalb die Medienmündigkeit sein. Dies bedeutet, Medienchancen und Medienrisiken langfristig beurteilen und so entscheiden zu können, wie viel Lebenszeit man überhaupt vor dem Bildschirm verbringen möchte.

Ihr gehe es nicht darum, diese Medien zu verteufeln. „Ich selbst bin großer Fan von den Möglichkeiten, die uns das Internet heute bietet. Je besser die mündige Nutzung gelingt, desto positiver fällt die Balance von Vor- und Nachteilen der Digitalisierung aus.“

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