20 Jahre nach dem Brandanschlag Solingen-Gedenkveranstaltung im Bonner Wasserwerk

Bonn · "Das Leben tut nur noch weh", sagt Mevlüde Genç im Film "93/13". Die Mutter der türkischen Familie, die am 29. Mai 1993 dem Brandanschlag von Solingen zum Opfer fiel, setzt sich seitdem für Toleranz und Miteinander von Türken und Deutschen ein.

Dieses Engagement gegen Hass und Gewalt lobten alle Redner gestern auf der Gedenkveranstaltung im Bonner Wasserwerk, an der auch Mitglieder der betroffenen Familie teilnahmen.

Bei den Reden und einer Podiumsdiskussion stand die Frage im Mittelpunkt, was sich in der deutschen Gesellschaft 20 Jahre nach diesem Ereignis verändert hat. Das von Neonazis begangene Verbrechen, dem fünf Mitglieder der Familie Genç zwischen vier und 27 Jahren zum Opfer fielen, bezeichnete Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch als "Synonym für eine menschenverachtende rassistische Tat, die so überall hätte stattfinden können".

Man dürfe nicht nachlassen, sich für Miteinander und Vielfalt einzusetzen. Ja, es habe sich einiges getan beim Umgang mit dem Rechtsextremismus, meinte der türkische Generalkonsul Mustafa Kemal Basa, aber vieles liege noch im Argen. "Man soll nicht die Mücken, sondern den Sumpf bekämpfen", sagte er und meinte damit, dass in vielen Bereichen der Bundesrepublik rechtsradikales Gedankengut immer noch offen oder unterschwellig einen Platz habe.

Der Erfolg des Buches von Thilo Sarrazin zeige das, sagte Tayfun Keltek, Vorsitzender des Landesintegrationsrates von Nordrhein-Westfalen. Für die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth ein Zeichen dafür, dass man sich noch in einem Lernprozess befinde, der immer wieder kippen kann.

"Es ist wichtig, den Ausländern zu vermitteln, dass Rechtsradikalismus ernst genommen und Rassismus bekämpft wird", betonte Basa. Man bemühe sich, versicherte Wolfram Kuschke, Vorsitzender der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung. "Jeder von uns ist verpflichtet, sich gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt zu engagieren."

Einen guten Schritt habe Deutschland mit friedlichen Gegendemonstrationen bei Neonazi-Aufmärschen schon getan, sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger. Und auch in Sachen Integration sei man weiter, zum Beispiel mit einem Anteil von zwölf Prozent an Polizisten mit Migrationshintergrund.

"Wir wissen: Rechtes Gedankengut ist keine Frage von Schichten und Milieus", so Jäger. Man dürfe den Rechtsextremismus, der in der Mitte der Gesellschaft wie ein schleichendes Gift angesiedelt sei, niemals unterschätzen. Seiner Meinung nach würden Vereinsverbote helfen, Strukturen und Netzwerke zu zerschlagen und den Mitgliedern einen Ausweg aus der Szene zu bieten.

"Die Zahl der Menschen, die raus wollen aus dieser Szene, hat zugenommen." Basa rief dazu auf, die Themen Türkei, Migration und Islam ins Schul-Curriculum aufzunehmen. Auch der Innenminister sprach sich für Prävention aus: "Gerade Jugendliche sind gefährdet, in diese Szene abzugleiten."

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