Transplantationen "Schwer vermittelbare Organe"

BONN/KÖLN · Weil die Spender immer älter werden, bekommt jeder vierte Patient sein Herz über ein besonderes Verfahren. Immer mehr Organe werden in Deutschland über das sogenannte beschleunigte Verfahren vermittelt.

 Ärzte und Schwestern führen eine Nierentransplantation durch.

Ärzte und Schwestern führen eine Nierentransplantation durch.

Foto: dpa

Dies erlaubt es den regionalen Transplantationszentren, über die Vergabe selbstständig zu entscheiden, wenn etwa ein Organverlust droht. Die gesetzlichen Bestimmungen und Richtlinien, die von der Bundesärztekammer konkretisiert werden, reichten nicht aus, weil das Verfahren zu intransparent sei, sagt etwa der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Terpe, der eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses fordert.

Es müsse geklärt werden, inwieweit das deutsche Transplantationssystem "durch Intransparenz und Kontrolldefizite Manipulationen Tür und Tor öffnet", so Terpe, der dazu eine Anfrage bei der Bundesregierung gestellt und die Zahlen für die Vermittlung von Spenderorganen erhalten hat.

Danach wurde 2011 bundesweit jedes fünfte Herz, in diesem Jahr jedes vierte Herz über dieses Verfahren vermittelt. Bei der Lunge waren es vor zehn Jahren nur zehn Prozent, die nicht über die Warteliste der Eurotransplant im holländischen Leiden und deren Koordinierungsstelle, die Deutsche Stiftung für Organtransplantation (DSO), vermittelt wurde. Heute sind es dreimal so viele. Besonders hoch ist der Anteil bei Bauchspeicheldrüsen: 2011 wurde fast jedes zweite Organ über die Krankenhäuser an Patienten vermittelt.

Normalerweise läuft es so: Meldet eine Klinik ein Spenderorgan an Eurotransplant, so versucht die Vermittlungszentrale das Organ eiligst an den Patienten mit der höchsten Dringlichkeit zu vergeben. Lehnen mehrere Kliniken das Organ aus medizinischen Gründen ab, wird es - um das Organ nicht zu verlieren - jenen Transplantations-Zentren der Region angeboten, aus dem es stammt. Diejenige Klinik, die den Patienten mit der kürzesten Lebenserwartung vorweist, erhält den Zuschlag.

Es handele sich lediglich um "schwer vermittelbare Organe", so Alexander Dückers, Pressesprecher der Bundesärztekammer in Berlin - also um Organe von Spendern, die etwa zum Zeitpunkt des Todes an einer infektiösen Krankheit litten, wenn eine Kreislaufinstabilität des Spenders eintritt oder wenn aus logistischen Gründen ein Organverlust droht.

Die Zahlen seien "nicht gut, aber begründbar", sagte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums auf Anfrage. Der Anstieg der beschleunigten Verfahren hänge insbesondere mit dem zunehmenden Alter der Organspender zusammen, so die Sprecherin, die auf den Bericht der Bundesregierung zur Situation der Transplantationsmedizin verweist.

Schon vor drei Jahren klagte der Berichterstatter, dass seit Verabschiedung des Transplantationsgesetzes (TPG) 1997 nur bei älteren Organspendern ein deutlicher Zuwachs verzeichnet werden konnte: Die Zahl der Organspender, die älter als 64 Jahre sind, hat sich von 135 im Jahr 1998 auf 352 im Jahr 2007 mehr als verdoppelt. Das erhöhte Spenderalter führe unter anderem dazu, dass die Qualität der Spenderorgane abnimmt. Im vergangenen Jahr gab es 1200 Organspender. "Über dieses Verfahren schenken wir den Betroffenen wenigstens ein paar Monate", so die Sprecherin.

Dass der Anteil am beschleunigten Verfahren bei der Bauchspeicheldrüse so stark angestiegen sei, hänge mit der veränderten Richtlinie im vergangenen Jahr zusammen: Seitdem können Bauchspeicheldrüsen von Über-50-Jährigen und Übergewichtigen nämlich auch direkt vermittelt werden.

Das Transplantations-Zentrum Köln mit den Standorten Uniklinik und Klinikum Merheim habe von der beschleunigten Vermittlung bislang "relativ wenig" profitiert, sagt Dirk Stippel, Leiter der Transplantationschirurgie der Uniklinik. Das Transplantations-Zentrum Köln melde in NRW zwar die meisten Spenderorgane, "wir kriegen deshalb aber nicht mehr zugewiesen", ergänzt der Transplantationsbeauftragte der Klinik, Thomas Benzing. "Bei der Vergabe", so auch Kollege Wolfgang Arns aus Merheim, behalte Eurotransplant "das Heft in der Hand".

Von den in Köln seit 2010 transplantierten Herzen sei lediglich eines von 13 Transplantaten ein Zentrumsangebot gewesen, zählt Stippel auf, bei den Nieren waren es im selben Zeitraum 13 Organe von rund 450 Transplantationen, Zentrumsangebote bei den 26 Leber-Verpflanzungen habe es fünf gegeben. Bei den fünf Bauchspeicheldrüsen-Transplantationen stamme ebenfalls kein Organ aus der beschleunigten Vermittlung. Die Bonner Uniklinik konnte am Dienstag keine Zahlen vorlegen.

Oft eine Sache des Staates

Wie andere Länder Organspenden regeln: Während die Transplantation in Italien gratis ist, müssen kranke US-Bürger erheblich zuzahlen. Ein Überblick über nationale Regeln für Organspende:

  • FRANKREICH: Organspenden und Wartelisten werden von einer staatlichen Behörde zentral verwaltet. Damit soll sichergestellt werden, dass die Organvergabe nach rechtlich und medizinisch einwandfreien Kriterien verläuft. Zu letzteren gehören das Alter des Organempfängers, die bisherige Wartezeit sowie die Erfolgsaussichten und die Dringlichkeit der Transplantation.
  • GROSSBRITANNIEN: Auch hier wird die Organvergabe staatlich gelenkt. Beim Gesundheitssystem NHS melden sich sowohl Organspender als auch Menschen, die ein Organ brauchen. In einem mehrstufigen Prozess entscheidet ein Team von Medizinern, ob ein Patient auf die Warteliste für ein Organ kommt. Neben zahlreichen Untersuchungen gehört dazu auch der Nachweis, dass schädliches Verhalten unterlassen wird - etwa Alkoholkonsum bei Leberschäden.
  • ITALIEN: Die Organvergabe erfolgt auf der Grundlage "objektiver und transparenter Kriterien", hält der nationale italienische Verband für Organspenden in Rom (Aido) fest. Bei der Auswahl der Empfänger seien klinische und immunologische Verträglichkeit wichtig, die eine möglichst erfolgreiche Transplantation von Organen begünstigten. Verboten sei es, menschliche Organe zu kaufen oder zu verkaufen. Dabei sei die Transplantation in einer der darauf spezialisierten Kliniken gratis.
  • USA: Täglich werden rund 80 Verpflanzungen vorgenommen. In der gleichen Zeit sterben 19 Menschen auf der Warteliste. Wer ein Organ erhält, wird von der landesweiten Vergabeorganisation OPTN entschieden. Sie richtet sich nach dem Wohnort von Spender und Empfänger sowie Erfolgsaussichten, Dringlichkeit und Wartezeit.

Das meisttransplantierte Organ ist die Niere, für die derzeit eine Wartezeit von mehr als drei Jahren (1219 Tagen) gilt. Die Verpflanzung eines Herzens kostete 2008 schon 1,2 Millionen Dollar, die einer Niere 259 000. Die Krankenkassen übernehmen höchstens einen Teil der Kosten. (dpa)

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