Digitalisierung Mit einem Blauwal im Büro

Bonn · Telekom-Innovationschef Christian von Reventlow ist auf der Suche nach den Trends der Zukunft. Er befragt dafür Kinderund Jugendliche und experimentiert mit Datenbrillen, die ihren Nutzer in die Tiefe des Meeres eintauchen lassen.

„Die Kinder wünschen sich Brillen“, sagt von Reventlow, denn die Zukunft gehört den virtuellen Welten. Sein Demonstrationsobjekt ist noch sehr klobig und der dazugehörige Rechner sieht so aus, als ob er nicht auf der Höhe der Zeit sei. Aber das Bild, das er liefert, zeigt die Faszination, die in der Verschmelzung der echten und der digitalen Welt liegt. Wer seine Datenbrille aufsetzt, steht mitten in einem Büro und gleichzeitig einige Meter unter der Meeresoberfläche auf dem Vordeck eines gesunkenen Schiffs. Die Sonne fällt fahl von oben ein, ein Schwarm Mantas schwebt durchs Wasser und dann kommt ein gewaltiger Blauwal angeschwommen, blinzelt den Betrachter an. Seine Flossen scheinen so nah, dass man sie greifen könnte. Verwunderlich, dass keine Strömung spürbar wird, als der Wal mit einem Schlag seiner Schwanzflosse abzieht. Ein Phantasiebild, am Rechner entworfen und so wahr, wie ein Mensch sich das Leben unter Wasser vorstellen kann.

Eine Spielerei, aber eine mit einem sehr realen Hintergrund. Denn aus der virtuellen Welt werden Produkte: Schulungsfilme vielleicht für Telekom-Techniker, die nicht mehr in den Keller müssen, um nach Leitungen zu suchen. Oder Videokonferenzen, bei denen weit entfernte Menschen plötzlich mit am Tisch sitzen. Die Datenmengen müssen bewegt und organisiert, Geräte entwickelt und handhabbar gemacht werden. Jeder Gegenstand, jeder Mensch, jedes Objekt bekommt ein virtuelles Double, denn ohne diese Verdoppelung funktioniert die virtuelle Welt nicht. Die Konsequenzen dieser absehbaren Entwicklung sind noch nicht durchdacht. Was wird zum Beispiel mit gesetzlichen Regelungen, wenn das Delikt sich in der virtuellen Welt abspielte, aber Auswirkungen im richtigen Leben hat?

Reventlow hat noch ein paar mehr Thesen aus der Arbeit mit den Kindern mitgenommen: Alles wird miteinander vernetzt sein. Die Maschinen erkennen die Bedürfnisse der Menschen, digitale und analoge Realität vermischen sich, Gesten und Stimmen steuern diese verdoppelte Welt und die Menschen haben gelernt, sich in dieser Umgebung zu bewegen, weil Roboter Alltagshelfer für jedermann sind. Schöne neue Welt: Aber welche Konsequenzen haben diese Visionen?

Weitreichende, ist sich Reventlow sicher. Beispielsweise halten die Kinder die ständige und umfassende Verfügbarkeit von Datenverbindungen für ein Menschenrecht. Eine interessante Perspektive für einen Telekommunikationsanbieter: Denn kann man für ein verbrieftes Menschenrecht Geld nehmen und wenn ja wie viel und von wem? Was ist mit jenen, denen das Geld fehlt? Muss der Staat hier eingreifen? Reventlow hat keine Forderung an die Wirtschaft, die Politik und auch keine konkrete Antwort. Ihm geht es darum, das Gespräch über diese Herausforderungen anzustoßen. Ohne diesen gesellschaftlichen Dialog wird es nicht gehen, ist er überzeugt. Dieser wird viel zu wenig geführt.

Das Projekt der Telekom dreht sich um digitale Verantwortung. Was ist digitale Verantwortung für Sie?

Christian von Reventlow: Es geht insgesamt um Recht und Gerechtigkeit. Auch im Netz ist es wichtig, dass sich niemand einen unberechtigten Vorteil verschafft und die Menschen ausnutzt. Es geht zum Beispiel darum, dass eine Arbeitsleistung in der digitalen Welt auch in Zukunft fair entlohnt wird, denn das ist die Basis unseres Wirtschaftssystems. Das muss sichergestellt werden.

Haben Sie schon einmal mit einer technischen Neuerung zu tun gehabt, die Sie sofort für fragwürdig gehalten haben?

Von Reventlow: Es ist nicht in Ordnung, Daten zu verwenden, ohne dass die Menschen zustimmen. Es ist schon verblüffend zu sehen, dass Menschen 60 Seiten Allgemeine Geschäftsbedingungen akzeptieren, weil sie im Grunde das Gefühl haben, es bleibt ihnen keine andere Wahl.

Die technische Entwicklung läuft meistens schneller als die Entwicklung von Spielregeln. Ist dieser Prozess überhaupt zu steuern?

Von Reventlow: Das ist ein Grundproblem unserer Zeit. Wir haben ein exponentielles Wachstum der verfügbaren Rechnerleistung. Dieser Wert verdoppelt sich etwa alle anderthalb Jahre. Das galt übrigens auch schon vor der Erfindung des Transistors. Und wenn man das fortdenkt, dann kann man in 30 bis 40 Jahren die Rechnerleistung aller Menschen auf diesem Planeten für 1000 Euro kaufen. Die Entwicklung von Regeln und Recht kann da gar nicht Schritt halten.

Braucht es an dieser Stelle mehr Kontrolle, mehr politischen Einfluss?

Von Reventlow: Ich glaube, wir brauchen keine Gesetze, sondern Regelungen, Absprachen, einen gesellschaftlichen Konsens. Wenn der Staat die Aufgabe hat, eine Feuerwehr oder eine Polizei aufzustellen, damit Regeln eingehalten werden und Sicherheit herrscht, dann hat er diese Aufgabe auch im Internet und bei den virtuellen Welten, die jetzt entstehen. Es wäre besser für die Politik und unsere Gesellschaft, sich das klar zu machen und die Themen auch anzupacken. Sonst setzt sich die normative Kraft des Faktischen durch und nicht, was gerecht oder fair wäre.

Ist die Politik da immer auf der Höhe?

Von Reventlow: Europa ist an manchen Stellen in der Eisenzeit stehen geblieben. Dabei gibt es immer noch gute Möglichkeiten, die Initiative zu ergreifen. Bei jedem neuen Entwicklungsschritt im Netz sind die alten Player verschwunden und neue entstanden. IBM ist so ein Beispiel, Nokia oder die Chiphersteller, die das Smartphone nicht als Chance erkannt haben. Apple ist mit dem i-Phone groß geworden. Wie es dort jetzt weitergeht, wenn die virtuelle Realität das Thema wird, kann niemand sagen. In der Konsequenz ergibt sich aber hier eine Chance, sich an die Spitze zu setzen. Alle Webseiten müssen jetzt neu gebaut werden, in der Software gibt es Möglichkeiten. Es ist die Aufgabe der Politik und auch der Unternehmen in Europa, diese Chance zu verstehen und auch zu nutzen. Es gibt eine Industrie 4.0-Diskussion. Die passt dazu. Hier ist eine Chance und die Frage ist jetzt, was machen wir damit?

Viele Menschen fühlen sich dieser Entwicklung ausgeliefert und können dem technischen Fortschritt nicht mehr folgen. Wie lässt sich das lösen?

Von Reventlow: Das ist häufig ein Missverständnis. Wenn Sie vor zehn Jahren ein Startup gründen wollten, brauchten Sie fünf Millionen Euro, weil sie Rechner benötigten und Programmierer. Heute reichen schon 5000 Euro. Mein zehnjähriger Sohn kann nach einem Volkshochschulkurs selbst Webseiten programmieren. Das Gefühl des Ausgeliefertseins ist eine Frage der Angst. Man muss die Angst überwinden und mit den Möglichkeiten spielen. Das kann man sich bei Kindern abschauen: Die spielen, weil man dabei so gut lernt. In der Summe sind die technischen Barrieren immer niedriger geworden. Wir versuchen den Menschen zu helfen, besser mit der Entwicklung zurecht zu kommen. Es ist uns wichtig, Kundenprobleme zu verstehen und zu lösen und den Menschen auch die Angst vor neuen Dingen zu nehmen.

Industrie 4.0 macht vielen Menschen Sorgen, weil ihr Arbeitsplatz in Gefahr gerät.

Von Reventlow: Wir haben nicht die Verantwortung für die Entwicklung, aber wir müssen die gesellschaftlichen Auswirkungen verstehen. 50 bis 60 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung hängen an der Autoindustrie. Wir brauchen aber in Zukunft nur noch etwa zehn Prozent des heutigen Fahrzeugbestandes, wenn das Auto sich selbst steuert und intelligent genutzt wird, weil dann nicht mehr so viele Wagen herumstehen müssen. Was wird aus den Mitarbeitern, die künftig nicht mehr benötigt werden? Das sind lauter schwierige Fragen, die sich mit der Digitalisierung verbinden und auch ich hätte hierauf gerne eine Antwort.

Hat die Telekom für diese Veränderungen Leitplanken?

Von Reventlow: Ja, denn wir versuchen etwas Gutes zu machen. Wir stecken uns selbst Grenzen. Dafür haben wir uns in meinem Bereich ein Motto gegeben: Innovation you can trust – Neuerungen, denen man vertrauen kann. Das beruht auf Werten. Aus Kundensicht heißt das, ich kann darauf vertrauen, dass die Dinge, die von der Telekom kommen, für mich gut sind. Das gilt auch firmenintern: Die anderen Abteilungen müssen sich darauf verlassen können, was aus unserer Abteilung kommt, macht Sinn. Für die Mitarbeiter muss gelten, dass sie nach der Arbeit das Gefühl haben, ihre Lebenszeit sinnvoll gefüllt zu haben.

Und für alle jene, die nicht so nah dran sind am technischen Fortschritt?

Von Reventlow: Wir versuchen bei Neuerungen immer, den Nutzen für die Kunden zu analysieren und schauen uns das ganze Spektrum an: Was brauchen die Menschen? Und wie passt unser Angebot zur Marke und zum Vertrauen, dass wir bei den Menschen genießen. Wenn Menschen die Produkte nicht verstehen, dann müssen wir ihnen helfen und sie unterstützen.

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