Missbrauchsopfer des Aloisiuskollegs fordert Entschädigung

60 Jahre hat Gernot Lucas gebraucht, um öffentlich zu bekennen: "Ja ich bin eines der Ako-Opfer. Ja, ich bin drei Jahre lang von einem dortigen Jesuitenpater missbraucht worden."

Missbrauchsopfer des Aloisiuskollegs fordert Entschädigung
Foto: Ronald Friese

Bad Godesberg. 60 Jahre hat Gernot Lucas gebraucht, um öffentlich zu bekennen: "Ja ich bin eines der Ako-Opfer. Ja, ich bin drei Jahre lang von einem dortigen Jesuitenpater missbraucht worden."

46 Jahre lang verschwieg er die schrecklichen Erinnerungen sogar seiner Frau. "Und jetzt fühle ich mich wie befreit", sagt er aus vollem Herzen. Seitdem die Diskussion über den Missbrauchsskandal an deutschen Jesuitenschulen losbrach, seit er sich im März im WDR erstmals namentlich als Opfer bekannte und jetzt intensiv in den Internetforen zum Ako mitmischt, atme er endlich auf.

"Jetzt will ich aktiv sein im Kampf gegen Verharmlosung, Vertuschung und Leugnung", betont der Mann, der sich über Jahrzehnte als Architekt und ArchitekturProfessor einen Namen gemacht hat und heute in Frankreich lebt. Den aktuellen Forderungen der bundesweiten Opfergruppe "Eckiger Tisch" an die Jesuitenzentrale hat Lucas sich dieser Tage angeschlossen.

Denn der Horror der Jahre 1950 bis 1952 verfolgt den heute 72-Jährigen wie ein Albtraum. "Ich habe das noch total präsent. Ich kann Ihnen jeden Millimeter dieses verdammten Zimmers aufzeichnen", berichtet der Professor über einen bestimmten Raum im Ako-Internat, in den er damals immer wieder von einem Pater gezwungen wurde.

"Der legte sich dann auf sein Bett, und ich musste mich vor ihn setzen. Und dann hat der angefangen, mich zu betatschen", ekelt es den 72-Jährigen heute noch. Er sei noch nicht mal Internats-, sondern externer Schüler gewesen. Deshalb habe ihn der Pater, den das Ako aktuell auch auf seiner Täterliste führt, heimlich ins Zimmer geschleust. Und Lucas Eltern habe der Pater damit abgespeist, er bestelle ihren Sohn aus seelsorgerischen Gründen. Nachts verfolgten ihn diese Erinnerungen sein Leben lang, meint Lucas. "Dann gehe ich diesen Weg immer wieder und werde von dem Pater reingeholt."

Der sexuelle Missbrauch sei ganz sicher von den anderen Patres gedeckt worden, so der Professor. "Die wussten doch untereinander Bescheid. Da war System drin." Er jedoch habe die Last dieser schrecklichen Erniedrigung sein Leben lang mit sich getragen, sie aus Scham zu verdrängen versucht - und dabei seiner eigenen Familie Unrecht getan, gibt Lucas zu. Seine Frau berichte ihm nun, dass sie seine oft plötzliche Eiseskälte nie verstanden habe.

"Ich hatte eine Technik, die Menschen von mir zu schieben", nennt er diesen Reflex. Dabei sei er dann selbst vom Opfer zum Täter geworden. Deshalb empfänden er und seine Frau sein jetziges Bekenntnis als eine Art Erlösung. "Es ist sicher auch für andere Missbrauchsopfer eine Befreiung, dass endlich alles ins Rollen gekommen ist, dass man nicht mehr alleine da steht." Dem Ako, den Jesuiten oder der Kirche könne er sich aber keineswegs anvertrauen.

"Das lehne ich strikt ab. Mit denen will ich nichts mehr zu tun haben." Er habe der Missbrauchsbeauftragten des Ordens nur seine Daten übermittelt - und seinen Fall einer neutralen Anwältin übergeben. Denn wie die anderen Unterzeichner des offenen Briefes an die Jesuiten wolle er vom Orden eine Entschädigung. "Ich will zwar keine Rache, aber die sollen bluten. Und anders verstehen die das nicht", erregt sich Professor Lucas.

Den in den USA und Irland schon gezahlten Summen entsprechend, müssten ihm 100 000 Euro zustehen. Und wofür wolle er das Geld einsetzen? Das weiß Lucas schon ganz genau. "Das will ich meinen Söhnen schenken, als Entschuldigung."

Forderungen der Opfergruppe "Eckiger Tisch" Auf die Forderung einer Gruppe von Geschädigten an Jesuitenschulen nach Aufklärung und Aufarbeitung signalisiert die Münchner Ordenszentrale Gesprächsbereitschaft. "Zu Rahmen, Gesprächspartnern und Inhalten können wir noch keine Stellung nehmen. Wir gehen davon aus, dass alles mit der Ordensleitung zu klären ist, weniger mit den Verantwortlichen, die jetzt an den Schulen sind", so Thomas Weiner von der Initiative "Eckiger Tisch". Nach Informationen des General-Anzeigers steht als Termin der 15. Mai fest. Zudem sollen Einladungen an Pater Theo Schneider, den wegen möglicher Mitwisserschaft zurückgetretenen Ako-Rektor, und an Ako-Schulleiter Bernhard Wißmann gegangen sein.
Die Gruppe fordert mit einem auf www.eckiger-tisch.de veröffentlichten Schreiben, das sieben Personen unterschrieben haben und dem sich auch Gernot Lucas anschloss, den Jesuitenorden auf, er müsse anerkennen, dass nicht nur Einzelne als unmittelbare Täter schuldig geworden seien, sondern dass die Institution versagt und Schuld auf sich geladen habe.
Auch die Oberen, die über Jahrzehnte Täter von einer Einrichtung zur nächsten weiterreichten, hätten als Teil eines Systems gehandelt, das nur an den Interessen der Täter und nie der Opfer ausgerichtet gewesen sei. "Sehen Sie den größeren Rahmen, in dem Taten und Vertuschungsmaßnahmen standen, der mit dem Begriff “kirchliche Sexualmoral„ umschrieben werden kann?", fragen die Unterzeichner. Und fordern, die Jesuiten mögen ihre Archive für unabhängige Personen öffnen, um Taten, Täter und Unterstützer benennen und Strukturen offenlegen zu können. "Übernehmen Sie dazu heute konkrete Unterstützung für Behandlungen und Therapien und machen Sie uns ein Angebot für eine angemessene finanzielle Genugtuung."

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