Nebentätigkeit als Anwalt für die Türkei Menschenrechts-Aktivisten kritisieren Bonner Völkerrechtler

Bonn · Stefan Talmon lehrt an der Uni Bonn Völkerrecht - und vertritt die Interessen der Türkei gegen inhaftierte Kurden-Politiker vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Dafür steht er in der Kritik.

Nebentätigkeit als Anwalt für die Türkei: Menschenrechts-Aktivisten kritisieren Bonner Völkerrechtler
Foto: privat

Dass der Bonner Völkerrechtler Stefan Talmon nach Informationen der Deutschen Welle erneut die Rechtsinteressen der Türkei gegen einen inhaftierten kurdischen Oppositionspolitiker vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vertritt, ruft nun Menschenrechts-Aktivisten auf den Plan. Die in Göttingen ansässige Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am Dienstag die Hochschulleitung der Universität Bonn schriftlich aufgefordert, Talmon die Genehmigung für diese Nebentätigkeit zu entziehen.

In einem Rechtsstreit vor der Großen Kammer des EGMR ficht die Türkei eine Entscheidung desselben Gerichts von Ende 2018 an. Das Gericht hatte geurteilt, der Vorsitzende der Kurdischen Arbeiter-Partei HDP, Selahattin Demirtas, sei sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Die Länge der Haft seit 2016 sei im Verhältnis zu den ihm zur Last gelegten Taten nicht gerechtfertigt. Demirtas sitzt weiterhin in Haft. Dazu soll es an diesem Mittwoch in Straßburg eine Anhörung beider Parteien geben.

Wer in führender Position Recht an der Universität Bonn lehre, könne nicht zugleich die Willkürjustiz eines autoritär geführten Staates vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verteidigen, erklärte der GfbV-Nahostexperte Kamal Sido, "So eine Nebentätigkeit schadet dem Ansehen der Bonner Universität und dem Respekt der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland".

"Wie kann Prof. Talmon dies moralisch und vor dem Hintergrund des europäischen Rechtsverständnisses und des allgemeinen Menschenrechts verantworten", fragt auch das Bonner Zentrum für kurdische Studien - Navend. Der Verein spricht in diesem Zusammenhang von einer "Ungeheuerlichkeit". Er äußert den Verdacht, der Professor habe womöglich Ergebnisse aus Hausarbeiten zu einer Vorlesung mit dem Titel "Durch das wilde Kurdistan" im Wintersemester 2018 für seine anwaltliche Tätigkeit genutzt.

Talmon, der 2011 aus Oxford an die Bonner Hochschule kam und beide Staatsbürgerschaften besitzt, hat hier seither den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht inne. Nebenberuflich berät und vertritt er als Anwalt einer Londoner Kanzlei "Staaten und Unternehmen in völkerrechtlichen Fragen", wie es auf der Instituts-Homepage der Uni heißt. So vertrat er die Türkei als Nebenkläger bereits im Fall des Politikers Dogu Perinçek vor dem EGMR. Perinçek war nach einer Kundgebung in Lausanne von einem Schweizer Gericht wegen Leugnung des Völkermordes an den Armeniern zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der EGMR hob das Urteil auf, da es gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verstoße.

Die Universität äußert sich auf konkrete GA-Anfrage zu den Vorwürfen ausweichend. Es sei "gängige Praxis, dass international besonders ausgewiesene Rechtswissenschaftler Mandate vor internationalen Gerichten" übernähmen, sagte Pressesprecher Andreas Archut am Dienstag. Diese Tätigkeiten fänden nicht im Rahmen der Professur statt, sondern seien Nebentätigkeiten außerhalb des Universitätsbetriebs. Die Genehmigung der lediglich anzeigepflichtigen Tätigkeit liege vor.

Diese hätte die Hochschulleitung vermutlich durchaus untersagen können. Nach einem Merkblatt der Uni Köln kann die Nebentätigkeit eines Staatsbeamten unter anderem verwehrt werden, wenn sie "die Unparteilichkeit oder die Unbefangenheit des Beamten beeinflussen" oder "dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung abträglich" sein kann. Von Talmon selbst war gestern keine Stellungnahme zu erhalten.

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