Beratungsstelle „Hayat“ Initiative hilft Islamisten in Bonn beim Ausstieg

Bonn · Seit der Gründung der bundesweiten Anlaufstelle im Jahre 2012 bearbeitet die Initiative 52 Fälle allein im Bonner Raum. Die lokale Schaltzentrale ist ein rund zwölf Quadratmeter großes Büro in der Bonner Innenstadt.

In einem kleinen Büro in der Innenstadt arbeitet ein Mitarbeiter der Beratungsstelle "Hayat" im Namen der Stadt und des Bundes.

In einem kleinen Büro in der Innenstadt arbeitet ein Mitarbeiter der Beratungsstelle "Hayat" im Namen der Stadt und des Bundes.

Foto: Dennis Sennekamp

Die Zahl potenzieller islamistischer Terroristen in Nordrhein-Westfalen stieg im vergangenen Jahr rasant an – auch in Bonn. Laut einer aktuellen Erhebung des Landeskriminalamtes lebt hier rund ein Fünftel aller in NRW gelisteten Gefährder. Um der Bedrohung durch radikalen Salafismus entgegenzuwirken, unterstützen Bund, Land und Stadt Bonn daher eine Reihe von Projekten, die vor allem Jugendliche aus dem Einfluss der religiös motivierten Rattenfänger befreien sollen. Eine dieser Initiativen ist die Beratungsstelle „Hayat“. Für die seit 2015 in Bonn befindliche Zweigstelle des Projekts der Zentrum für Demokratische Kultur GmbH stellte das Bundesinnenministerium jüngst neue Fördermittel bereit.

„Wir erhalten für unsere Bonner Beratungsstelle pro Jahr 60.000 Euro vom Bund“, erklärt Hayat-Mitarbeiterin Claudia Dantschke. „Damit finanzieren wir eine Personalstelle, decken die Büromiete ab und bezahlen anfallende Reisekosten, da wir einen Radius von 100 Kilometern um das Stadtgebiet bedienen.“ „Hayat“ richtet sich an Personen und Angehörige von Personen, die sich radikalisieren oder sich dem militanten Dschihadismus anschließen wollen. Ebenso hilft die Beratungsstelle Aussteigern und ist Partner einer vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ins Leben gerufenen Hotline mit Themenschwerpunkt Radikalisierung, die anonyme Erstgespräche führt und die Ratsuchenden im Anschluss an regionale Partner weiterleitet.

80 Anrufe pro Monat

„Uns erreichen im Monat im Schnitt etwa 80 Anrufe“, sagt Alexey Manevich vom Bundesamt. „In den letzten fünf Jahren haben sich daraus insgesamt 1800 Fälle entwickelt.“ Viele davon leitete die Hotline an „Hayat“ weiter. Seit der Gründung der bundesweiten Anlaufstelle im Jahre 2012 bearbeitet die Initiative 380 Fälle, zählt 218 Abschlüsse und 162 laufende Beratungen. Davon fanden und finden wiederum 52 Fälle allein im Bonner Raum statt. „Bisher konnten wir drei Fälle mit positivem Ergebnis abschließen“, so Dantschke. „Zwölf Beratungen endeten mit dem Abbruch des Kontakts zu den Ratsuchenden. Zurzeit bearbeiten wir 36 laufende Verfahren.“

Schaltzentrale ist hierbei ein rund zwölf Quadratmeter großes Büro in der Bonner Innenstadt. Ausgerüstet mit einem Regal voll Fachliteratur, einem Laptop und einem Telefon kümmert sich der Islamwissenschaftler Kaan Orhon um die eingehenden Fälle. „Dabei versuche ich, so viel wie möglich über die Familie und das Umfeld der Betroffenen zu erfahren und Gründe für die Radikalisierung zu finden“, so Orhon. „Das können beispielsweise zerrüttete Familienverhältnisse, Stress in der Schule oder ein Mangel an Freunden sein.“

Suche nach Gruppenzugehörigkeit

Besonders betroffen sei hierbei die Altersgruppe der 15- bis 35-jährigen männlichen und weiblichen Personen. „Im Gegensatz zu früher suchen diese Personen heutzutage im Internet nach alternativen Lebenskonstruktionen und finden bei radikalen Gruppierungen schnell Menschen, die sie vermeintlich zu verstehen scheinen“, versucht Dantschke die Erhebung des LKA zu erklären, die bei der salafistischen Szene in Bonn reichlich Zuwachs sieht. „Aufgrund dessen speist sich die Motivation des islamistischen Nachwuchses auch nicht primär durch die Ideologie, sondern vielmehr durch das Gefühl zu einer Gruppe dazuzugehören. Religion ist hier nur das Mittel.“

In seiner Beratung versucht Orhon deshalb im Gespräch mit Moscheen und Vereinen Alternativen für die Betroffenen zu finden. Bei Szene-Aussteigern und heimkehrenden ehemaligen Dschihadisten greift der Islamwissenschaftler zudem bei der Reintegration unter die Arme und hilft beispielsweise beim Schreiben von Bewerbungen. „Diese Prozesse können aber Jahre dauern“, sagt Orhon.

Die Adresse der Beratungstelle Hayat Bonn wird aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich genannt. Telefonisch ist das Büro unter 02 28/97 66 70 00 zu erreichen.

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