Armut In Bonn fast jedes fünfte Kind betroffen

BONN · Die Zahlen schockten am Donnerstagabend im Bonner DGB-Haus: Im Großraum Köln/Bonn/Aachen leben mehr als 100.000 Kinder in Armut, das sind 20,2 Prozent aller Heranwachsenden unter 15 Jahren.

 Ein Kind durchsucht einen Mülleimer: Kinderarmut ist auch in Bonn ein Problem.

Ein Kind durchsucht einen Mülleimer: Kinderarmut ist auch in Bonn ein Problem.

Foto: dpa

"Jedes fünfte Kind hat bei uns schon schlechte Startchancen. Das ist dramatisch", erklärte Dorothee Spannagel vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Hans-Böckler-Stiftung bei einer Veranstaltung des Bonner Politik-Forums. Dabei käme das Bonner Stadtgebiet mit 18,4 Prozent - rund 16 000 Kinder - und der Rhein-Sieg-Kreis mit 11,7 Prozent Kinderarmut noch relativ gut weg. "In Köln wachsen dagegen 22,8 Prozent Kinder in Armut auf", sagte die Referatsleiterin. In Berlin seien es gar 34,9 Prozent.

Nach Vergleichsstudien für 2005 bis 2013 gelten Familien mit zwei Kindern als arm, wenn ihnen weniger als 1800 Euro netto pro Monat zum Leben zur Verfügung stünden, erläuterte Spannagel. Man forsche auch nach Mängeln im Leben. Kriterien seien hier etwa die Versorgung mit Heizung, Waschmaschine und zumindest jeden zweiten Tag einer Mahlzeit mit Fleisch oder Fisch.

"In den westlichen Bundesländern haben 9,7 Prozent aller Kinder keine ausreichende Winterkleidung, 9,1 Prozent leben in Wohnungen mit feuchten Wänden. 0,6 Prozent erhalten sogar keine warme Mahlzeit", berichtete die Wissenschaftlerin. Ursachen seien prekäre Arbeitsverhältnisse der Eltern und damit einhergehend unzureichende Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder.

"Alles das ist ein Teufelskreis. Denn es fehlt dann die frühkindliche Förderung. Kinder aus armen Familien werden von Beginn an stigmatisiert und ausgeschlossen", so Spannagel. Sie litten unter einer schlechten Gesundheitsversorgung, machten meist einen schlechten Schulabschluss und eine mangelhafte Berufsausbildung, um dann wieder selbst nur ein niedriges Einkommen zu erzielen. Meist heirateten diese arm Aufgewachsenen dann frühzeitig unter sich und hätten als junge Eltern viele Kinder aufzuziehen. "So kann es dann schnell heißen: Einmal arm, immer arm. Die Armut wird im reichen Deutschland also schon an die Kinder vererbt."

Dieser Teufelskreis müsse unbedingt durchbrochen werden, forderte Spannagel. "Frühförderung außerhalb des Hauses ist hier wichtig. In Kindergärten und Schulen muss zielgerichtet mit diesen Kindern gearbeitet werden." Kindergärten und Schulen sollten zudem bewusst sozial durchmischt werden, damit von Kinderarmut Gefährdete auch andere Lebensmodelle kennenlernten.

Außerdem müssten in Armut lebende Eltern sozialpsychologisch gefördert werden. Materiell solle jedoch nur gezielt mit Sachmitteln unterstützt werden. "Kinderarmut muss also nicht ein unausweichliches Schicksal sein. Man kann sie wirksam bekämpfen", appellierte Spannagel an Politik und Verwaltung. Notwendig sei ein Zusammenspiel politischer Rahmenbedingungen, kommunaler Unterstützungsstrukturen, von Stadtteilinitiativen und individuellen Fördermaßnahmen.

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