Hochwasser im Winter 1783/84: Vilich-Rheindorf wurde einfach weggespült

Fluten lassen ganze Ortsteile versinken - Äbtissin gibt Schießbefehl gegen Plünderer

Beuel. Längere und höhere Dämme, die bis 9,50 Meter Schutz bieten, Retentionsbecken, die die braune Flut aufsaugen, Stege und mobile Wände: Es wird einiges getan, damit die Beueler bei Hochwasser keine nassen Füßen kriegen. Das war nicht immer so.

Ganz im Gegenteil. Es gab Zeiten, da waren die Anrheiner obdachlos, als der Strom sich wieder beruhigt hatte. Eine der schlimmsten Hochwasser-Episoden schildert die folgende Geschichte von Kurt Faßbender.

Zur Jahreswende 1783/84 wusste die kalte Jahreszeit im Rheinland zunächst nicht, dass sie längst an der Reihe war. Im Januar aber wechselten starker Frost und mildes Tauwetter einander ab. Die Folge davon war, dass riesige Eismassen von den Nebenflüssen herabkamen und sich oberhalb von Beuel im Strom stauten.

Denn am 9. Januar war der Fluss bei Köln schon zugefroren, vom 19. Januar an dann flussabwärts hinter Beuel und auch oberhalb der heutigen Bundesstadt. An vielen Stellen waren die Eisschollen, die sich am Rhein angesammelt hatten, haushoch. Hier und da hatten sie sich turmartig übereinander geschoben.

Bizarre Gebilde waren über Nacht entstanden und bildeten sich von Tag zu Tag neu, anders und häufig kunstvoll in glitzerndem Eis, die von den Anwohnern, aber auch von extra zu diesem Zweck angereisten Schaulustigen bestaunt wurden.

In diesen Tagen wagte sich mancher Bürger zu Fuß auf und über seinen im Sommer so ruhig dahinfließenden Rhein. Händler überquerten gar mit Pferd und Wagen den Strom. Kind und Kegel zog mit Schlitten bepackt oder unbepackt über das Eis von Ufer zu Ufer.

Schlitten wurden von Bonn nach Beuel gezogen oder befanden sich auf umgekehrtem Weg. Überliefert ist aus jenen Tagen, dass ein Küdinghovener den Weg von der einen zur anderen Seite zwanzig Mal zurücklegte. Sogar Feste wurden mitten auf dem Strom zwischen den mächtigen Eisgebilden gefeiert.

Das ging bis zum 23. Februar, wie Zeitgenossen festgehalten haben. An diesem Tag aber kündete ein Kanonenschuss den bangenden Bewohnern rechts und links des Rheins das Brechen der riesigen Eisdecke oberhalb von Beuel an. Da diese aber unterhalb der Stadt noch hielt, stieg das angestaute Wasser mit ungeheurer Geschwindigkeit an.

Tiefer gelegene Stadtteile waren in kürzester Zeit überschwemmt. Am Beueler Ufer wütete die Eisflut am schlimmsten in den niedrig gelegenen Stadtteilen. Die Fluten stürzten sich über Teile von Beuel bis nach Vilich-Rheindorf.

Von den dortigen Bewohnern berichtet ein Heimatbuch, dass "die meisten in aller Eile auf den Finkenberg und andere Höhen flohen". Der Ort wurde samt dem vor Schwarzrheindorf gelegenen Gensem "gleichsam wegrasiert und dem Erdboden gleich gemacht".

Heute ist nicht mehr exakt zu klären, ob 135 Häuser unter dem Eis in Schutt und Geröll zerstört lagen oder "nur" 111, wie an anderer Stelle überliefert ist. So oder so aber war mit dem Eis ein furchtbares Unglück über die Menschen der dortigen Stadtgebiete gekommen. Die Häuser wurden zum größten Teil mit dem Hausrat der darin lebenden Menschen fortgetrieben. Fünf Einwohner ertranken in jenen Tagen in den Beueler Stadtbezirken. In Bergheim und anderen Orten an der Sieg fischten die Leute Betten, Kisten, Treppen und anderes Angetriebene aus dem Wasser.

Wie überall gab es aber auch damals welche, die sich am Unglück ihrer Mitmenschen bereichern und die Situation für sich auszunutzen wollten. Sie brachten scheinbar herrenlos angetriebenen Hausrat widerrechtlich in ihren Besitz.

Nachts wurde in den verlassenen Gebieten geplündert, was noch zu Fuß oder mit Booten und notdürftig zusammengebundenen Flößen zu erreichen war, so dass die Äbtissin von Vilich sogar in ihrem klösterlichen Geltungsbereich den Befehl ausgab, ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit auf Einbrecher und Diebe zu schießen.

Auch in anderen Stadtgebieten richteten die Eismassen große Schäden an. So wird unter anderem berichtet, dass "eine gesamte Kapelle vom Strom weggerissen" wurde, die in Widdig nahe des Rheins gestanden hatte. Als am Morgen des 27. Februar die Eisdecke des Rheins unterhalb von Beuel mit einem gewaltigen Krachen auf- und in sich zusammenbrach, fiel der Wasserstand des Flusses in kurzer Zeit.

An seinen Ufern und den nahe gelegenen Gebieten aber sah man noch Wochen nach der großen Flut mächtige Eisschollen langsam vor sich hintauend herumliegen, die Tod und Verderben über die Anwohner gebracht hatten.

Aber es gab auch damals Erfreuliches: Wie beim Elbehochwasser vor sechs Jahren für die ostdeutschen Länder sammelten die Menschen auch in jenem Schreckensjahr für die Hochwassergeschädigten. Von dem Geld erhielten die am meisten betroffenen Rheinorte jeweils über 11 234 Reichstaler zum Aufbau der zerstörten Wohnungen.

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