Hermann Simon: "Der OB muss stärker führen"

Wie geht Führung? Wie führt man Verwaltungen und eine Bürgerschaft durch schwierige Zeiten? Professor Hermann Simon beschäftigt sich nicht nur beruflich mit derartigen Fragestellungen, sondern auch als leidenschaftlicher Bonner. Der erfolgreiche Buchautor, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing sowie Managementdenker äußert sich dazu im GA-Gespräch.

 Ohne Führung entsteht ein Vakuum: Hermann Simon, Wissenschaftler, Buchautor und Unternehmensgründer im Gespräch mit GA-Redakteur Andreas Mühl.

Ohne Führung entsteht ein Vakuum: Hermann Simon, Wissenschaftler, Buchautor und Unternehmensgründer im Gespräch mit GA-Redakteur Andreas Mühl.

Foto: Volker Lannert

Bonn. Wie geht Führung? Wie führt man Verwaltungen und eine Bürgerschaft durch schwierige Zeiten? Professor Hermann Simon beschäftigt sich nicht nur beruflich mit derartigen Fragestellungen, sondern auch als leidenschaftlicher Bonner. Der erfolgreiche Buchautor, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing sowie Managementdenker äußert sich dazu im Gespräch mit Andreas Mühl.

General-Anzeiger: Herr Professor Simon, was bewegt Sie dazu, sich gerade jetzt zum Thema "Führung" in Bezug auf die Stadt Bonn zu äußern?

Hermann Simon: Ich lebe hier und beobachte die Stadt seit 41 Jahren. Und gerade jetzt ist Bonn in einer Situation, die eine starke und zielgerichtete Führung erfordert. Wir haben es dabei mit zwei Problemkreisen zu tun: Da ist die prekäre Finanzsituation, verstärkt durch die Belastungen rund um das WCCB-Desaster.

Auch die finanziellen Probleme der Sparkasse Köln-Bonn gehören zu diesem Komplex. Zum anderen hat die Stadt große Chancen. Es geht generell um die Weiterentwicklung und Positionierung Bonns. Am auffälligsten ist das Zukunftsthema beim geplanten Festspielhaus.

GA: Können Sie eine zielgerichtete Führung in Bonn erkennen?

Simon: Nein. Meine Forderung ist ganz klar: OB Nimptsch muss stärker führen.

GA: Herr Nimptsch ist noch nicht lange im Amt. Er hat doch noch alle Möglichkeiten, oder?

Simon: Die wichtigste Zeit sind aber nun mal die ersten 100 Tage, das ist auch in Unternehmen so. Da hat er keine Pflöcke eingeschlagen. Frau Dieckmann hat ihm eine gigantische Leiche im Keller überlassen - das WCCB.

Das waren erschwerte Startbedingungen. Trotzdem muss er tatkräftiger sein. Stattdessen lässt er prüfen, Vorstudien erstellen und kündigt Bürgerbefragungen an. Er zeigt damit der Bevölkerung, dass er möglicherweise nicht weiß, wohin er will. Außerdem fragen sich die Menschen: Hat er die Courage, die Dinge umzusetzen?

GA: Herr Nimptsch sieht sich selber eher als Moderator von Prozessen. Ist das falsch?

Simon: Ein OB muss Leitwolf der Stadt sein und nicht ihr Moderator. Nichtführung schafft ein Vakuum, das dann von allen möglichen Leuten und Interessensgruppen gefüllt wird - ein vielstimmiger Chor.

GA: Das hört sich alles etwas autoritär an. Sollte nicht ein OB seine Bürger "mitnehmen"?

Simon: Ja, aber ich sehe in beiden Forderungen keinen Widerspruch. Der OB und die Stadt müssen natürlich die Bürger informieren. Darauf haben diese einen Anspruch. Die Bürger erwarten aber auch Durchsetzungsvermögen und klare Perspektiven. Ich bin sicher: Überzeugende Argumente des OB werden auf positive Resonanz stoßen.

GA: Sie vermissen Führung vor allem beim Festspielhaus. Was sollte der OB tun?

Simon: Herr Nimptsch sollte öffentlich auf den Tisch hauen. Wenn er, wie er ja gelegentlich andeutet, der Meinung ist, dass die Beethovenhalle einem neuen Festspielhaus weichen muss, dann sollte er das klipp und klar sagen.

Die Gegenposition werden andere übernehmen. Aber er darf nicht zulassen, dass das Thema zerredet wird. Wenn alternative Standorte für das Festspielhaus wie an der B 9 nicht tauglich sind, muss er sich auf den Marktplatz stellen und das deutlich sagen.

GA: Sie vergessen einen schwierig zu steuernden Stadtrat?

Simon: In der Tat, das ist eine Herausforderung in Bonn. Aber ich bringe die Stadt nicht voran, indem ich dem Rat zu bestimmten Themen ständig mehrere Modelle vorlege und dann sage: Entscheidet mal bitte. Ein führungsstarker OB sucht sich Mehrheiten für seine Überzeugungen.

GA: Genau so hat das Frau Dieckmann in ihrer OB-Amtszeit doch gemacht. Aber Herr Nimptsch steht auch für einen Stilwechsel, den die Bürger durch ihre Wahl unterstützt haben. Handelt er nicht konsequent?

Simon: Frau Dieckmann war in der Tat eine starke Führungspersönlichkeit. Sie hat die Stadt vorangebracht. Ihr Meisterstück in Sachen Politik war allerdings, dass Sie die WCCB-Katastrophe so lange unter der Decke halten konnte, bis sie ausgeschieden ist und Herrn Nimptsch den ganzen Schlamassel vererbt hat.

Das wirft einen großen Schatten auf ihre ansonsten erfolgreiche Zeit. Stilwechsel darf nicht heißen, dass jetzt die Bürger ständig die Fragen des Oberbürgermeisters beantworten sollen. Es ist doch absurd, die Bürger zu fragen, wo gespart werden muss. Da antwortet jeder nach seinen egoistischen Motiven: "Bloß nicht bei mir sparen!"

GA: Herr Nimptsch gilt als durchaus erfolgreicher Schulleiter. Er muss also Führungsqualitäten haben.

Simon: Offensichtlich hat er als Schulleiter einen guten Job gemacht hat. Das ist aber mit seiner heutigen Tätigkeit nicht vergleichbar. Jemand, der bislang einen kleinen Handwerksbetrieb geleitet hat, würde auch Schwierigkeiten bekommen, plötzlich Vorstandschef von Siemens zu sein.

Herr Nimptsch muss jetzt eine Großstadt führen und ist Chef einer mehr als 5000köpfigen Verwaltung. Da muss man Macht ausüben, ob man will oder nicht. Das erwarte ich als Wähler auch, denn das bedeutet ja nicht, rücksichtslos eigene Interessen durchzusetzen.

GA: Sehen Sie überhaupt Möglichkeiten für Herrn Nimptsch, sein Profil zu stärken?

Simon: Ja, aber er müsste das Ruder schnell herumreißen. Beim Festspielhaus drängt die Zeit. Es wäre dramatisch, wenn Bonn sich diese Chance entgehen lassen würde. Keiner weiß auch, wie lange das Angebot der Investoren noch steht. Bonn braucht ein sichtbares Symbol für die Marke Beethoven. Ich hoffe, dass mit dem Festspielhaus ein zeitloses Gebäude entsteht, das auch noch in 50 Jahren fasziniert.

GA: Die Zukunft Bonns hängt aber nicht nur am Festpielhaus?

Simon: Natürlich nicht. Bonn ist nicht schlecht aufgestellt, muss aber in Zukunft mehr auf wirtschaftliche Entwicklung setzen als auf den öffentlichen Sektor. Es gibt neben den DAX-Unternehmen einige Topunternehmen im Dienstleistungssektor. Wir haben die Universität, was heute ein immenser Standortvorteil ist.

Und die Lage zwischen den Ballungsräumen Rhein-Main und Ruhrgebiet wie auch in Europa ist geradezu ideal. Während Bonn also für hochwertige Dienstleistungen und Geistesleistungen steht, sehe ich den Rhein-Sieg-Kreis eher für industrielle Ansiedlungen, allein aus Platzgründen. Auch hier ist ein OB gefordert. Er kommt viel herum und muss die Marke Bonn präsentieren.

GA: Spielen dabei Etiketten wie die Kleidung ein wichtige Rolle?

Simon: Für einen Oberbürgermeister gibt es so etwas wie einen implizierten Dresscode. In solchen Positionen gilt: Durch Kleidung kann man nicht positiv auffallen, nur negativ.

Zur PersonProf. Dr. Hermann Simon (63) gilt als einer der führenden Managementdenker im deutschsprachigen Raum. Er studierte Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Köln und Bonn, war Professor an den Unis Bielefeld und Mainz. 1985 gründete er ein Beratungsunternehmen. Heute beschäftigt Simon-Kucher & Partners weltweit 475 Mitarbeiter in 18 Büros bei 88 Millionen Euro Umsatz.

Das Unternehmen ist Weltmarktführer in der Preisberatung. Simon startete 1989 in Bonn, heute gibt es in der ehemaligen Heftpflasterfabrik in der Haydnstraße 138 Mitarbeiter. Simon veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter den Bestseller "Hidden Champions".

Meistgelesen
Neueste Artikel
August Macke, Waldrand, Öl auf Leinwand,
Der Macke vom Müll
Neue Folge des Crime-Podcasts „Akte Rheinland“Der Macke vom Müll
Zum Thema
Er spielt sich selbst: Jürgen Nimptsch
Bonns berühmteste Baustelle
Theater in der BeethovenhalleBonns berühmteste Baustelle
Aus dem Ressort