Heimspiel für Thilo Sarrazin

Der Noch-Bundesbank-Vorstand gab am Dienstagabend in Bonn bei den Unternehmertagen im Wasserwerk Einblick in seine Gedankenwelt - und spottet über Sigmar Gabriel.

Heimspiel für Thilo Sarrazin
Foto: Volker Lannert

Bonn. Das war knapp. Als die Veranstalter der Bonner Unternehmertage Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin zum Festvortrag luden, konnten sie nicht wissen, dass er dann nur noch zwei Tage im Amt sein würde. Am Dienstagabend also Auftritt im ehemaligen Wasserwerk, dem Bundestagsprovisorium, dann Diskussion in München, Donnerstag letzter Arbeitstag in Frankfurt.

Klar: Sarrazin füllt auch nach Wochen noch die Säle, auch wenn er nicht mehr täglich Schlagzeilen produziert. Aber sein Werk "Deutschland schafft sich ab" steht weiter auf der Bestsellerliste ganz oben und jeder Vierte hält Sarrazin gerade wegen seiner Integrations- oder Nicht-Integrationsthesen für wählbar, wie gerade am Dienstag eine Umfrage der Uni Mannheim belegte.

Thilo Sarrazin Thilo Sarrazin, 65, hat mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine Debatte über die Integration angestoßen. Der Finanzexperte, der in Bonn studierte, eckte schon als Berliner Finanzsenator mit Thesen zur Sozialhilfe an. Gegen Sarrazin läuft in der SPD ein Ausschlussverfahren, aus dem Bundesbankvorstand scheidet er aus. (pfu)Nicht alle also. Eine kleine Gruppe von Sarrazin-Gegnern hat sich am Dienstagabend vor dem Veranstaltungsort eingefunden und bringt dem Bundesbanker ein "multikulturelles Goethe-Ständchen" - deutsch-türkischer Chorgesang, ganz friedlich. Auch im Saal. Wo auch Rahim Öztürker sitzt, Mitglied im Bonner Ausländerbeirat.

Beifall der gut 500 Anwesenden brandet auf, als der Festredner den ehemaligen Plenarsaal betritt. Sarrazin nimmt dort Platz, wo früher die Fraktionsredner standen - und legt los. "Aktuelles zur Finanz- und Wirtschaftslage" lautet sein Thema und er hält sich dran. Das diskussionswillige Publikum muss sich gedulden, aber das wusste man ja vorher. Sarrazin, der Finanzmann, war gefragt.

Der bittet um Geduld: "Zunächst müssen Sie durch ein paar Zahlen durch." Und dann macht der Bundesbanker, was er offensichtlich am besten kann: Er bürstet gegen den Strich.

Etwa so: Das Klischee will es, dass die deutsche Wirtschaft vor allem vom Euro-Raum profitiert. Sarrazin: Größere Steigerungen beim Im- und Export als im Euroraum gibt es in der Beziehung zur Rest-EU, noch größere zum Rest der Welt. Das Publikum beginnt zu staunen. Sarrazin berichtet vom "beispiellosen Absturz" - womit er die Konjunktur meint, von Reallöhnen und Inflation, von Konvergenzen und Divergenzen.

Unternehmertage Zum fünften Mal finden die Bonner Unternehmertage statt. Die Veranstaltungsreihe von IHK Bonn/Rhein-Sieg, Volksbank Bonn Rhein-Sieg und der Kanzlei Meyer-Köring dient als Forum für Unternehmer aus der Region, um sich über Themen zu Unternehmensführung, Steuern, Markt, Wettbewerb und Vermögensfragen zu informieren.Und erst dann, es ist mittlerweile weit nach 21 Uhr, wird das Thema aufgerufen, das ihn in den vergangenen Wochen in die Überschriften gebracht hat: Ausländer und Integration. Die Bonnerin Sigrid Nies drückt das aus, was wahrscheinlich die meisten im Saal denken: Sie dankt Sarrazin "von Herzen für das tolle Buch" und zollt ihm "Respekt, dass sie sich im Fernsehen so steinigen lassen."

Aber Sarrazin lässt sich nicht mitreißen von der aufmunternden Stimmung, die ihm entgegen schlägt. Er bleibt gelassen, professoral. Eine eigene Partei gründen? "Völlig absurd! Ich bin 65 Jahre alt." Was nicht heißt, dass er nicht auszuteilen wüsste. Besonders gegen Sigmar Gabriel, den SPD-Vorsitzenden, der das Parteiausschlussverfahren gegen ihn unterstützt.

Nein, die SPD werde ihn nicht ohne weiteres los, stellt Sarrazin Sarrazin. Und zu Gabriel: "Die Partei wird auch diesen Vorsitzenden überleben". Erst habe Gabriel ihn an den Pranger gestellt, nun auf dem Parteitag "seitenlang" aus seinem Buch zitiert. Der Noch-Bundesbanker: "Das ist doch auch lustig." Parteifreunde mögen die beiden bleiben. Mehr auch nicht.

Im übrigen sei sein Buch, das viele Zuhörer im Saal dabei haben, "gar nicht zugespitzt. Es ist abgeschliffen. Sie müssten mal das Original lesen." Gelächter. Irgendwann wird es Rahim Öztürker zu bunt. Der türkischstämmige Ingenieur, der in Bonn-Beuel mit dem Bildungswerk DAAG selbst Migranten weiter bildet, wirft Sarrazin seine ethnische Argumentation vor, verweist auf 600 000 ausländische Mittelständler in Deutschland und die Milliardenbeiträge, die die Gastarbeiter zum Bruttosozialprodukt beitragen.

Sarrazin lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, weist auf sein Datenmaterial hin: "Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen." Ein "Populist" sei der Bestsellerautor, "der gut mit Zahlen umgehen könne", grollt Öztürker am Ende. Der ein oder andere klopft ihm auf die Schulter.

Sigrid Nies dagegen steht voll zu Sarrazin: "Solche Männer braucht das Land."

Umstrittene ThesenIn seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" stellt Thilo Sarrazin eine Reihe von umstrittenen Thesen auf. Ein Überblick:

  • Sarrazin wirft Zuwanderern aus muslimischen Ländern vor, bildungsfern zu sein. So habe über die Hälfte der türkischstämmigen Zuwanderer keinen Berufsabschluss.
  • Zu wenige muslimische Migranten würden arbeiten: "Nur 33,9 Prozent von ihnen beziehen ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus Berufs- und Erwerbstätigkeit."
  • Muslimische Migranten bekämen zu viele Kinder: "Demografisch stellt die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten eine Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht im alternden Europa dar."
  • Einwanderung in den Sozialstaat: Bei vielen muslimischen Migranten stehe "die Absicherung und Alimentierung durch den deutschen Sozialstaat" im Vordergrund. Integration spiele keine Rolle.
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