Prüfungsangst Das sind die Horrorstrecken für Fahrschüler aus Bonn

Bonn. · Beim Tüv Rheinland in Medinghoven fällt ein Viertel der Fahranfänger bei der praktischen Prüfung durch. Sie sind oft so aufgeregt, dass sie falsch abbiegen oder eine rote Ampel übersehen.

 Fahrlschulleiter Ibo Esmen und Fahrschülerin Anwar.

Fahrlschulleiter Ibo Esmen und Fahrschülerin Anwar.

Foto: Benjamin Westhoff

Mit sichtlich beklommenem Gefühl starten Führerscheinanwärter vom Tüv-Gelände in Medinghoven. Gratuliert der Prüfer am Ende, fällt ihnen ein Stein vom Herzen. Nicht jeder meistert in der Dreiviertelstunde unter den Argusaugen des Mitfahrers im Fond die Regeln und teils unberechenbaren Konfrontationen mit anderen Verkehrsteilnehmern.

„Wenn Menschen vor etwas Respekt haben, dann sind es Theorie- und Praxisprüfung für den Führerschein“, beobachtet Tüv-Rheinland-Vertriebsleiter Dirk Philippzik. Für die meisten sei es die erste Prüfung außerhalb der gewohnten Umgebung der Schule. „Jeder ist nervös. Es gibt Situationen, die kann man nicht trainieren.“, bestätigt Arne Böhne, Führerscheinexperte beim Überwachungsverein.

Selbst für gestandene Fahrlehrer wie Ibo Esmen ist der Prüfungstag jedes Mal wieder aufreibend. „Eigentlich sollten Fahrschüler für jede Situation im Straßenverkehr gewappnet sein, bevor man sie auf die Menschheit loslässt“, sagt er. Aber dann passiert das: Der Fahrschüler soll anhand der Verkehrsschilder erkennen, dass er nicht geradeaus weiterfahren darf, sondern links abbiegen muss. Er fährt aber geradeaus – und wäre durchgefallen. Der Prüfer will ihm eine zweite Chance geben, dirigiert ihn einmal ums Karree und dann wieder an diese Kreuzung. Nach kurzem Überlegen fährt der junge Mann erneut geradeaus. Aus. Vergeigt. „Hinterher ist er völlig niedergeschlagen, weil er es eigentlich besser wusste“, so Esmen.

Viele solcher Situationen, die oft mit Tränen enden, hat der Fahrschuleninhaber in 30 Jahren erlebt. Sein Spezialgebiet sind die anscheinend „hoffnungslosen Fälle und andere Schwierigkeiten, mit denen Kandidaten zu kämpfen haben“. Er habe eine Zusatzausbildung in Angstprävention gemacht, um etwa eine Fahrschülerin, deren Mann bei einem Autounfall umkam, zur Prüfung zu führen, weil sie auf den Führerschein dringend angewiesen ist.

Gründe für Prüfungsangst gebe es viele. Esmen erzählt von einem Flüchtling, der im syrischen Aleppo 20 Jahre lang Taxi gefahren sei, dem sich aber hierzulande die Straßenverkehrsordnung einfach nicht erschließe. Anders gelagert könne das Problem orientalischer Frauen sein. „Sie stehen unter Druck, weil ihre Männer nicht möchten, dass sie den Führerschein machen.“

Vor allem junge Leute investieren die gesamten Ersparnisse und auch Zuschüsse von Eltern und Großeltern in die Fahrerlaubnis. Die benötigte Stundenzahl bis zur Prüfung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich erhöht: In der Großstadt brauchen Fahrschüler laut der Zeitschrift Autobild länger. Der Durchschnitt bis zur ersten Anmeldung zur Prüfung liegt bei etwa 35 bis 40 Stunden. Auf dem Land ist der Verkehr weniger dicht. Die durchschnittliche Anzahl beträgt da rund 25 bis 30 Fahrstunden. Böhnes Statistik sagt, dass die Durchfallquote steigt. „Im vergangenen Jahr wurden 24 500 Theorieprüfungen an den fünf Standorten im Bonner Tüv-Einzugsgebiet abgenommen. Die Durchfallquote lag bei 41 Prozent.“ Die praktische Prüfung absolvierten 20 160 Personen. Nicht bestanden hat davon ein Viertel.

Kardinalfehler sind laut Böhne falsches Einparken, zu geringer Abstand auf der Autobahn oder zu parkenden Fahrzeugen sowie Spurwechsel ohne Spiegelblick. Und „nein, an den Prüfern liegt es nicht. Sie sind nicht gemein, allerdings auch nur Menschen.“ Aus seiner Erfahrung weiß der Tüv-Mann, dass „die Prüflinge oftmals an sich selbst scheitern. Sie übersehen wegen ihrer Nervosität das Offensichtliche – beispielsweise die rote Ampel“, erläutert Böhne und rät: „Sie sollten sich einfach an das halten, was der Fahrlehrer ihnen beigebracht hat.“

Mit seiner Fahrschule in der Ladenzeile an der Julius-Leber-Straße liegt Esmen mitten im Tüv-Prüfungsgebiet. Die Horror-Strecken, die einem Prüfling alles abverlangen, kennt er ganz genau: die Meßdorfer Straße mit den Engpässen, die kurvigen Gassen in Alt-Duisdorf, Lengsdorf, Endenich oder Alfter – „sehr komplex“. Gar nicht zu reden von den Schilderwäldern etwa in Dransdorf oder Röttgen.

Wer es nicht auf Anhieb schafft und auch im zweiten, dritten Anlauf nicht, hat bereits viel Lehrgeld bezahlt und Prüfungsangst, die sich wie ein Berg auftürmt. Mancher arbeitet sich Jahre am Führerschein ab. „Mit zwei Füßen drei Pedale bedienen, mit den Händen lenken und schalten – und dann noch auf den Verkehr achten, das verlangt, dass im Kopf blitzschnell Entscheidungen getroffen werden.“ Auch unter Professoren gäbe es schlechte Fahrer. Wichtig sei, den Kandidaten die Angst vor den Entscheidungen zu nehmen. Registrieren Prüfer die Nervosität der Prüflinge? „Das bekommen wir natürlich mit“, sagt Böhne. Wenn der Kandidat deswegen etwa rechts und links verwechsele, bekäme er vom Prüfer eine zweite Chance. „Allerdings nicht, wenn er über die rote Ampel fährt.“

Die meisten Prüflinge würden das Nichtbestehen mit Fassung aufnehmen. Es gäbe allerdings auch Fälle, da würden sich Enttäuschung und Anspannung mit Gebrüll entladen. Abgesehen von denjenigen, die offenbar aus allen Wolken fallen und verständnislos reagieren. „Ausflippen“ würden Führerscheinanwärter eher bei der Theorieprüfung. „Mitarbeiter in den Prüfungszentren werden bedroht und beleidigt.“

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