Verkehr in Bonn und der Region Gefangen im Dauerstau

BONN · Bald erscheint der Entwurf des Bundesverkehrswegeplans. Auf dem Prüfstand stehen die Südtangente, die neue Rheinbrücke und der Ausbau von Straßen und Gleisen. Großprojekte kommen erst in Jahrzehnten - wenn überhaupt. Der Region läuft die Zeit davon: Es fehlt an gemeinsamen Strategien gegen den Kollaps.

Ein ruhiger Mittag im Lengsdorfer Ortskern. Zwischen Kirche, Dorfplatz und Hauptstraße ist kaum etwas los. Die Geschäfte haben noch geschlossen, die Schaukästen von Parteien und Vereinen sind mäßig gefüllt. Beschaulichkeit, Herbstsonne, ein laues Lüftchen.

Doch was ist das? Die hölzerne Infotafel neben der Bankfiliale ist neu, und sie passt so gar nicht zur Lengsdorfer Gemächlichkeit. "So sähe es aus hier aus, wenn die Südtangente käme", warnt sie in großen Lettern.

Eine Karte zeigt den mutmaßlichen Verlauf jener Straße, die an die A 565 anschließt, den Venusberg untertunnelt, auf der anderen Seite über die Südbrücke (A 562) führt und jenseits des Rheins über den Ennert in Richtung A 3 fortgeführt wird, auch dort teilweise als Tunnel.

All das geht auch Lengsdorf etwas an, wollen die örtlichen Bachfreunde mit der Tafel zum Ausdruck bringen. Eine Trassenvariante soll hinterm Ortsausgang am Konrad-Adenauer-Damm ansetzen, im Grünen. Vor allem der Verein "Lebenswerte Siebengebirgsregion" macht mobil gegen die Südtangente, die Oberbegriff für Venusbergtunnel und Ennertaufstieg ist.

13 000 Unterschriften sammelte der Verein gegen die Straße, die Bonn streng genommen nicht tangiert, sondern durchkreuzt. Zugleich steigt der Leidensdruck bei all jenen, die im Stau stehen. Und bei denen, die den Stau vor ihrer Tür haben.

Verschiedene Philosophien zum Thema Mobilität

In der Diskussion drehen sich Befürworter und Gegner der Südtangente seit Jahren im Kreis. Es geht dabei nicht zuletzt um verschiedene Philosophien zum Thema Mobilität. "Wir haben mehr Verkehr, also brauchen wir mehr Straßen", sagen die einen.

"Wir bekommen immer mehr Verkehr, weil wir immer mehr neue Straßen bauen", sagen die anderen. Beide Positionen stehen sich scheinbar unvereinbar gegenüber. Hier der motorisierte Individualverkehr, dort die alternativen Konzepte mit Schwerpunkt Bahn, Bus und Rad.

Dass sich in der Sache im Moment wenig tut und die Stimmung gereizt ist, hängt mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan zusammen. Noch im Herbst will das Bundesverkehrsministerium den Entwurf vorlegen. Dann wird sich zeigen, welches Projekt mit welcher Priorität verfolgt werden soll.

"Alles bekommt die Region nicht"

Unter den Kandidaten aus der Region Bonn/Rhein-Sieg befinden sich die Südtangente (als "B 56 n") und die neuerdings heiß geliebte Rheinbrücke bei Wesseling als mögliche Neubauprojekte. Daneben prüft der Bund aber auch den Ausbau von Autobahnen, ebenso wie Ortsumgehungen sowie den zweigleisigen Ausbau der Bahnstrecke von Troisdorf nach Siegen; bedeutend ist auch die Entflechtung des Bahnknotens Köln. Klar ist nur: Alles bekommt die Region nicht.

Die Untersuchungen des Ministeriums sind zunächst abstrakt, sie führen zu einer Einordnung von Verkehrsprojekten zwischen "dringend" und "verzichtbar". Das Kosten-Nutzen-Verhältnis muss stimmen. Priorität haben Projekte, die Engpässe beseitigen und Lücken im übergeordneten Netz schließen.

Allein beim Straßenbau stehen bundesweit fast 1900 Bauprojekte auf der Prüfliste. Zwischen 2011 und 2015 veranschlagte der Bund gut 44 Milliarden Euro für Straße und Schiene - wovon aber nur etwa 15 Milliarden Euro für Aus- und Neubauten vorgesehen waren. Der Rest fließt in die Bestandspflege.

Man kann sich leicht ausrechnen, wie lange es dauert, bis selbst politisch gewollte Bauprojekte der obersten Kategorie "Vordringlich Plus" umgesetzt sind. Jahre? Eher Jahrzehnte. Planverfahren ziehen sich hin und werden noch länger, wenn auch nur einer dagegen klagt.

Problem in NRW

In NRW kommt ein strukturelles Problem dazu: Die Straßenbauverwaltung, zuständig auch für Bundesfernstraßen, gilt als wenig leistungsfähig - Folge von Umstrukturierungen und Personalmangel. 2013 musste NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) 44 Millionen Euro an den Bund zurückgeben, weil es an baureifen Projekten mangelte.

Unterdessen wachsen die Blechlawinen. Ein gewöhnlicher Spätnachmittag in Bonn: Berufsverkehr, Dämmerung, die üblichen Geduldsspiele. Die Reuterstraße ist dicht, ebenso die Zufahrten zum Verteilerkreis und das Autobahnkreuz im Bonner Norden. Passiert ein Unfall, liegt die ganze Stadt lahm.

Bonn und die Region wachsen weiter

Was hilft? Erhalten die Autobahnen 565 und 59 wie angedacht zusätzliche Spuren, läuft es flüssiger - bliebe es denn beim heutigen Verkehrsaufkommen. Doch die Region wächst weiter, bis 2040 soll laut Statistischem Landesamt Bonn 348 000 Einwohner haben, der Rhein-Sieg-Kreis 615 000 Einwohner. Und: Bonn und der Kreis haben sich auf eine gemeinsame Gewerbeflächenpolitik verständigt, um Wachstum und Wohlstand sicherzustellen. Vor allem die Wirtschaft ruft nach einer zusätzlichen Verkehrsachse, die zugleich ein Ventil für das Bundesviertel wäre: eben die Südtangente.

Die ersten Pläne stammen aus den 60er Jahren, doch wurden diese nach Fertigstellung der Südbrücke 1972 nicht forciert und stießen in Bonn zunehmend auf Widerstand. In der Bundesstadt gibt es längst keine politische Mehrheit mehr dafür, die Befürworter sitzen vielmehr im Siegburger Kreishaus.

Zu deren Leidwesen flog die Straße 2003 aus dem Bundesverkehrswegeplan, auch weil sich Rot-Grün in Düsseldorf dagegen aussprach. So war es auch 2013, als der Kreistag mit Stimmen von CDU und FDP die Südtangente erneut beim Bund anmelden wollte.

Das unionsgeführte Bundesverkehrsministerium sagte dennoch eine Prüfung zu; dafür hatten sich einflussreiche Christdemokraten in Berlin eingesetzt. Sie sahen sich durch Verkehrsgutachten von 2011/12 bestärkt. Die von Bund und Land beauftragten Untersuchungen bescheinigten Venusbergtunnel und Ennertaufstieg - geschätzte Gesamtkosten: 520 Millionen Euro - gute Entlastungseffekte.

Projekt stößt auf viel Widerstand

Was dabei nicht eingerechnet ist: die Zerrissenheit der Region in dieser Frage, die Ablehnung der Landesregierung. Warum sollte der Bund ein Projekt verfolgen, dessen Umsetzung an allen Ecken und Enden auf Widerstand stößt? Nicht auszuschließen, dass die Südtangente irgendwo im neuen Bundesverkehrswegeplan auftaucht.

Doch würde sie ein Papiertiger bleiben. Das Schlimme daran: Solange sie auch nur theoretisch im Raum steht, werden Bemühungen von Bonn und Kreis gehemmt, zusammen Lösungen gegen verstopfte Autobahnen, Zubringer und Ortsdurchfahrten zu finden. Und der Kollaps ist absehbar, angesichts der Sanierung der Nordbrücke und des fälligen Neubaus des Tausendfüßlers.

Rheinbrücke: "Everybody's Darling"

Währenddessen befindet sich ein anderes mögliches Neubauprojekt auf der Überholspur: die Rheinbrücke zwischen Niederkassel und Wesseling, als Querverbindung zwischen A 59, A 555 und A 553; letztere führt zur A 61. Die Brücke ist in alten Stadtplänen als gestrichelte Linie enthalten, galt über Jahrzehnte aber nur als Phantom.

Doch im Laufe dieses Jahres stieg sie zum "Everybody's Darling" auf: Köln, Bonn, die Kreise, Wirtschaft, Gewerkschaften und Verkehrsunternehmen werben in Berlin um die Aufnahme der Brücke in den Bundesverkehrswegeplan, als Kombilösung für Straße und Schiene. Die neue Rheinquerung würde den Kölner Süden entlasten, ebenso den Bonner Norden. Die Probleme in Bonn selbst und im Siebengebirge könnte sie jedoch weniger lösen.

Vor allem die Industrie hat Interesse an der Brücke. Die Wege zwischen Flughafen, Godorfer Hafen und Güterbahnhof Eifeltor würden sich ungemein verkürzen. Der Konzern Evonik, auf beiden Seiten des Rheins vertreten, will in Lülsdorf mit der Duisburger Hafen AG (Duisport) ein Containerterminal bauen.

An Duisport ist das Land zu zwei Dritteln beteiligt. Die Landesregierung gehört zu den großen Befürwortern der Brücke. Politisch schlägt die Rheinbrücke die Südtangente also um Längen. Gilt das auch für die Kosten-Nutzen-Bewertung? Das ist eine der spannenden Fragen, die mit dem Bundesverkehrswegeplan verbunden sind.

Ortswechsel

Ein Abend am Bahnhof Siegburg/Bonn. Der ICE in Richtung München hat zuerst 10 Minuten Verspätung, dann 20, dann 30, schließlich sind es 50. Frust am Bahnsteig. Die Durchsagen sind kryptisch. Was dabei unausgesprochen bleibt: Nicht nur Autos stehen im Stau, sondern auch Züge.

Zum Beispiel in Köln. An dem Nadelöhr potenzieren sich Verspätungen, die im Ruhrgebiet entstanden sind. Zwar können Züge im Hauptbahnhof hintereinander halten, doch ist das Netz am Limit. Heute schon machen täglich 1200 Züge Station am Dom. Abhilfe soll der Ausbau des Kölner Bahnknotens schaffen, der sich aus 15 Bauprojekten zusammensetzt und unter Federführung des Zweckverbands Nahverkehr Rheinland für den Bundesverkehrswegeplan angemeldet wurde.

Die Schiene. Was kann sie bewirken, wenn es um die Verkehrsprobleme der Region geht? "Wenig", sagen die Freunde der Straße und holen Gutachten hervor. Zum Beispiel die Untersuchung "Mobilität in Deutschland 2008 - Alltagsverkehr in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis". 75 Prozent der Bonner Haushalte haben demnach mindestens ein Auto, im Kreis sind es 90 Prozent. Das Auto war und ist laut Studie Fortbewegungsmittel Nummer eins in der Region. Und daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern, sind sich die Freunde der Straße sicher.

Alternative Konzepte

"Macht doch erst einmal Angebote", halten die Verfechter alternativer Konzepte dagegen. Dazu gehört der Verein "Lebenswerte Siebengebirgsregion", der freilich die Südtangente verhindern will, zugleich aber einen Gegenentwurf vorlegt. Ziel: Aufwertung und Ausbau des Bahn- und Busnetzes.

Bessere Verknüpfungen und Verlängerung von Stadtbahnen, flexible Linienführungen, eine rechtsrheinische Uferbahn von Beuel bis an die Kölner Südgrenze, eine Seilbahn zum Venusberg, ein Mobilitätsmanagement - all das soll die Menschen zum Umsteigen bewegen.

Zuständig ist dabei aber schon nicht mehr der Bund, sondern das Land beziehungsweise die Kommunen. Doch an der Basis hakt es: Beim ÖPNV etwa mischen neben Bonn, dem Kreis, Bezirksvertretungen und Kreis-Kommunen auch drei Verkehrsunternehmen mit - ein Geflecht voller Fallstricke und Egoismen, das selbst kleine und kleinste Eingriffe ins grenzüberschreitende Busnetz zum lärmenden Politikum mutieren lässt.

So ist es nicht nur der Stau, der die Region lähmt. Es ist auch der Mangel an gemeinsamen Strategien, bedingt durch Kleinstaaterei, politische Ränkespiele, eingefahrene Positionen - und letztlich auch durch die Fokussierung auf Großprojekte, deren Realisierung ungewiss ist.

Bundesverkehrswegeplan

Der Bundersverkehrswegeplan ist ein Investitionsrahmenplan des Bundes für Straße, Schiene und Wasserwege. Er wird in mehrjährigen Abständen neu aufgelegt, der bislang letzte stammt von 2004. Kommunen, Kreis, Länder, aber auch Verkehrsverbünde melden dafür beim Bund Verkehrsprojekte, die aus ihrer Sicht dringlich sind.

Allerdings kann der Bund auch von sich aus Projekte ins Visier nehmen - wie im Falle der Südtangente. Allein beim Straßenbau stehen 1900 Projekte auf der Prüfliste, bei der Schiene gut 400. Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis haben ihre Projekte schon 2012 gemeldet. Im Bundesverkehrswegeplan sind die Bauprojekte nach Prioritäten sortiert: Oberste Kategorie ist "Vordinglicher Bedarf Plus", es folgen die Kategorien "Vordringlicher Bedarf", "Weiterer Bedarf mit Planungsrecht" und "Weiterer Bedarf".

Je höher ein Projekt eingruppiert ist, desto besser die Realisierungschancen. Wichtige Faktoren bei der Prüfung sind das Kosten-Nutzen-Verhältnis, Auswirkungen auf die Umwelt, die Bedeutung für das Gesamtnetz und die Beseitigung von Engpässen. Der sogenannte Referentenentwurf des Bundesverkehrswegeplans soll noch im Herbst vorliegen.

Erstmals bietet der Bund vor der Entscheidung im Bundeskabinett eine sechswöchige Beteiligung der Öffentlichkeit an. Wann sie beginnt, steht noch nicht fest. Mehr dazu beim Bundesverkehrsministerium unter: www.bmvi.de.

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