"Ein Stück aus dem Tollhaus"

Berlin schweigt über Details der Bundespolizei-Reform - Hinter den Kulissen brodelt es - Rhein-Sieg-Landrat und Sankt Augustins Bürgermeister schreiben Schäuble - Plan für einen Umzug von der See an die Sieg

"Ein Stück aus dem Tollhaus"
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Bonn. Sie hoffen und bangen. 40 000 Bundespolizisten plagen Sorgen, denn nach der Ankündigung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), den früheren Grenzschutz radikal umzubauen, wissen sie nicht, ob ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt.

Es brodelt hinter den Kulissen der weit mehr als 100 Dienststellen. Berlin schweigt zu Details der künftigen Struktur. Nur ein kleiner Personenkreis um Schäuble und Rüdiger Kass, Abteilungsleiter Bundespolizei im Ministerium, weiß mehr. Und so zucken selbst die fünf Präsidenten der regional in Deutschland zuständigen Mittelbehörden der Bundespolizei bei Fragen ihrer Mitarbeiter nach dem "Wie geht's weiter?" mit den Schultern.

Schäuble will etliche Standorte schließen und Führungsstellen straffen beziehungsweise ganz auflösen. Hintergrund: die zunehmende terroristische Bedrohung und der bevorstehende Schengen-Beitritt von Polen und Tschechien sowie möglicherweise auch der Schweiz, sagt der Minister.

Enttäuschung, Verärgerung und Wut herrscht bei den Beschäftigten. Nicht so sehr über die Reform, sondern über die Art und Weise der Entscheidung. "Wir wissen, dass wir uns an die heutigen Gegebenheiten anpassen müssen, aber wir sind vor vollendete Tatsachen gestellt worden", sagt ein Beamter aus Sankt Augustin.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisiert, dass Staatssekretär August Hanning "das größte Reformvorhaben seit vielen Jahren wie ein weißes Kaninchen aus dem Hut gezaubert" hat. Der längst zu Grabe getragen geglaubte Befehl- und Gehorsamstil des alten BGS scheine wieder auferstanden zu sein.

Josef Scheuring, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei im Bezirk Bundespolizei, sagt, dass Schäubles Spitzenbeamte noch wenige Wochen vor Verkündung der Pläne den Mitarbeitervertretern des Bundespolizei-Hauptpersonalrates erklärt hätten, es gäbe keine Überlegungen zu einer Strukturveränderung. "Damit wurde ganz bewusst die Unwahrheit gesagt."

Nach Angaben der Bundespolizeigewerkschaft Verbund innere Sicherheit (bgv) hat sich der Minister gegen den Vorwurf der Lüge verwahrt und sein Vorgehen mit dem Erfordernis der politischen Meinungsbildung begründet, um zu einer politischen Grundsatzentscheidung zu kommen.

Deshalb habe er auch Politiker aus dem Bundestag und den Ländern erst später informiert. Max Stadler, Innenexperte der FDP-Bundestagsfraktion, will nicht ausschließen, dass Schäuble mit der Reform die Auslandseinsätze der Bundespolizei "massiv ausweiten" will.

Die Informationen, die Berlin bisher nach draußen gelassen hat, bieten Raum für Spekulation und Interpretation. Vieles ist Kaffeesatz-Leserei, doch in den Wachen gibt es nur ein Thema. Die Diskussionen laufen auf Hochtouren.

Eines scheint klar: Kleine Dienststellen mit einem bisherigen Mitarbeiterstamm von unter 100 werden aufgelöst. Und das trifft vor allem die Ostgrenze. Zwischen Ostsee und Bayerischem Wald sind die Inspektionen wie an einer Perlenschnur aufgereiht. Alle paar Kilometer eine Wache. Städten wie Pomellen und Pasewalk, Selb und Schönberg, Zittau und Zwiesel würde mit einem Wegzug der Polizisten erhebliche Wirtschaftskraft verloren gehen.

Ähnlich träfe es aber auch andere Gebiete in Deutschland. So Bad Bramstedt in Schleswig-Holstein. In der 13 500 Einwohner zählenden Stadt hat das Bundespolizeipräsidium Nord seinen Sitz. Nach den Plänen Schäubles wird es aufgelöst und mit den Präsidien Ost (Berlin), Mitte (Fuldatal), West (Sankt Augustin) und Süd (München) in einer Megabehörde verschmelzen.

Für Bad Bramstedts Bürgermeister Hans-Jürgen Kütbach (FDP) wäre das eine Katastrophe: "Die Bundespolizei gehört seit 42 Jahren unverwechselbar zu Bad Bramstedt wie unsere Kureinrichtungen. Das Präsidium ist neben den Kliniken der wichtigste Arbeitgeber." Sankt Augustins Bürgermeister Klaus Schumacher (CDU) und Rhein-Sieg-Landrat Frithjof Kühn (CDU) haben sich schriftlich an Schäuble gewandt und bitten um mehr Information, verbunden mit dem Wunsch nach Beibehaltung des Status quo.

"Die Auflösung des Präsidiums West mit seinen 1 800 Angehörigen wäre für Sankt Augustin ein herber Verlust", sagt Schumacher. Nach dem Umzug von Bonn habe es immer eine Standortsicherung gegeben. Die Bundespolizei wird in Hangelar weiterhin präsent sein, glauben nicht wenige, wenn auch nur als Direktion und mit weniger Bediensteten.

Nach GA-Informationen sollen künftig Spezialverbände in Sankt Augustin zusammengezogen werden. Dann würden die Anti-Terror-Einheit GSG 9 mit 250 Beamten, die Fliegergruppe und die -staffel mit insgesamt 350 Mitarbeitern bleiben. Außerdem plant Berlin, die administrative Abteilung des Bundespolizeiamtes See mit rund 70 Beamten nach Hangelar zu verlegen.

Ein hochrangiger Beamter vergleicht die geplante Reform mit einem "Stück aus dem Tollhaus". Beispiel: Mehr als zwei Jahre lang hat eine Arbeitsgruppe an der Straffung der Abteilungsstäbe in den Präsidien herumgedoktert. Zum 1. September trat die Neuregelung endlich in Kraft, doch zweieinhalb Monate später ist mit Schäubles Ankündigung, die Präsidien aufzulösen, wohl alles Makulatur.

"So gewinnt das Ministerium keine Glaubwürdigkeit bei den Kollegen." Während so mancher Polizist an der Basis sich um seinen Arbeitsplatz sorgt und einen möglichen Umzug quer durch Deutschland mit der ganzen Familie befürchtet, geht bei den fünf Präsidenten und dem Inspekteur "bereits das Hauen und Stechen" los, wie ein Insider sagt. "Jeder will doch die neue Super-Behörde leiten."

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