Ein Leben ohne Hände: "Das Meiste ist einfacher, als man denkt"

OBERKASSEL · Paralympics-Goldmedaillengewinner und Weltmeister Rainer Schmidt hat mit Grundschülern in Oberkassel über sein Leben mit Behinderung gesprochen.

 Mit Spannung verfolgen die Schüler, was Rainer Schmidt zu erzählen hat. Das Thema Inklusion wird zurzeit an der Gottfried-Kinkel-Grundschule groß geschrieben.

Mit Spannung verfolgen die Schüler, was Rainer Schmidt zu erzählen hat. Das Thema Inklusion wird zurzeit an der Gottfried-Kinkel-Grundschule groß geschrieben.

Foto: Max Malsch

Mit großer Spannung verfolgen die Mädchen und Jungen der Gottfried-Kinkel-Grundschule das Tischtennisturnier im Foyer: Ihr Schulleiter Christian Eberhard tritt an gegen einen mehrfachen Welt- und Europameister - eine Hälfte der Schüler feuert den Schulleiter an, die anderen rufen ganz laut "Rainer, Rainer".

Dieser hat von Anfang an die gesamte Aufmerksamkeit der Schüler auf sich gelenkt, denn Rainer Schmidt spielt Tischtennis ohne Hände: Bedingt durch das Femur-Fibula-Ulna-Syndrom fehlen ihm beide Unterarme. Mit zwölf Jahren hat der heute 46-Jährige angefangen, Tischtennis zu spielen, sieben Mal hat er in seiner Sportkarriere an den Paralympics teilgenommen - öfter als jeder andere Deutsche.

Schmidt ist am Montag in die Gottfried-Kinkel-Grundschule gekommen, um den Erst- bis Viertklässlern von seinem Leben mit Behinderung, seinen Erlebnissen bei den Paralympics und den Erfahrungen, die er im alltäglichen Leben macht, zu berichten.

Dort wird das Thema Inklusion groß geschrieben: Erstmals wurden zu Beginn dieses Schuljahres zwei im Rollstuhl sitzende Erstklässler aufgenommen. Die Schule möchte auch weiterhin offen sein, weitere Kinder mit Behinderung aufzunehmen, wie Christian Eberhard berichtet: "Wir haben eine Schulkultur entwickelt, die der Heterogenität gerecht wird", so Eberhard.

Vor dem Mini-Turnier hören die Schüler gebannt zu, wie Rainer Schmidt Anekdoten aus seinem Leben erzählt. Auf sehr lockere und amüsante Art erzählt Schmidt, wie er als Kind regelmäßig mit der Bahn gefahren ist und sein Ticket immer wieder benutzen konnte, da der Schaffner jedes Mal wegsah, als er an Schmidt vorbeiging und keine Fahrkarte sehen wollte.

Während in seiner Heimat viele Menschen ihren Blick abwenden, erlebte Schmidt auf seiner Reise zur Tischtennis-WM in China die gegenteilige Reaktion: Nachdem er am Flughafen kurz eingenickt war, standen, als er aufwachte, plötzlich mehrere Chinesen um ihn herum, die sich laut und aufgeregt über ihn unterhielten und immer wieder auf seine Arme zeigten.

Als Rainer Schmidt von den Grundschülern wissen möchte, wer noch Fragen hat, melden sich fast alle: "Wie kannst du dich anziehen? Fährst du auch Auto? Wie kannst du essen und trinken?", wollen die Mädchen und Jungen wissen, und Schmidt steht ihnen Rede und Antwort. Für alle Bewegungen, die man im Leben braucht, hat er Techniken entwickelt, die es ihm ermöglichen, ohne fremde Hilfe zu leben.

"Das Meiste ist einfacher, als man denkt", erklärt Schmidt. Auf die Frage, wie er schreiben kann, holt Schmidt eine Autogrammkarte hervor. Als er den Namen einer Schülerin auf die Karte schreibt, springen alle Kinder auf, um genau zu sehen, wie er das macht. "Vieles habe ich als Kind einfach selbst ausprobiert. Auch das Schreiben mit den Armen", erzählt Schmidt.

Am spannendsten ist für die Kinder jedoch zu sehen, wie der mehrfache Weltmeister Tischtennis spielt. Überrascht sind sie, als Schmidt ihnen erklärt, er werde sich jetzt einen Tischtennisschläger "anziehen". Wenige Sekunden später kommt Schmidt zurück, mit einer Spezialanfertigung, die er um seinen linken Oberarm schnallt. Die Kinder sind von seinem Spiel begeistert und fordern hinterher "Zugabe". Doch außer dem Schulleiter traut sich kein Lehrer gegen den mehrfachen Weltmeister anzutreten...Die Erfolge von Rainer Schmidt

Seine Erfolge: Rainer Schmidt, geboren am 18. Februar 1965, ist evangelischer Pfarrer und Dozent am Pädagogisch-Theologischen Institut auf dem Heiderhof. Freiberuflich ist er als Kabarettist, Referent und Seminarleiter tätig. Seine sportlichen Erfolge als Tischtennisspieler: Paralympics 1988 (Seoul) - Gold im Team, Silber im Einzel; 1992 (Barcelona) - Gold im Einzel, Silber im Team; 2000 (Sydney) - Gold im Team, 4. Platz im Einzel; 2004 (Athen) - Gold im Team, Silber im Einzel; 2008 (Peking) - 4. Platz im Einzel. Zudem ist er zweifacher Einzel- (1986 und 1990) und vierfacher Team-Weltmeister sowie zweifacher Europameister im Einzel (1997 und 2003) und siebenfacher Team-Europameister.

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