Die Feuerwehr sah tatenlos zu

Am 10. November 1938 zündeten die Nazis auch in Bonn Synagogen an. Der Pogrom, bei dem im heutigen Bonner Stadtgebiet alle fünf Synagogen, 28 Geschäfte und ein jüdischer Betsaal zerstört wurden, war Auftakt zur vollständigen Entrechtung und Verfolgung der Juden, ja zum Holocaust.

 Ausgebrannt: die große Synagoge am Rheinufer nach dem Novemberpogrom.

Ausgebrannt: die große Synagoge am Rheinufer nach dem Novemberpogrom.

Foto: Stadtarchiv Bonn

Bonn. Um 11.29 Uhr schrillt am 10. November 1938 bei der Bonner Feuerwehr das Telefon. Anonym meldet jemand, die große Synagoge am Rheinufer brenne. Ein Löschzug rückt aus, während schon die ersten Schaufenster von Geschäften Bonner Juden zersplittern. SS- und SA-Männer aus der Region sind in der Nacht nach Bonn beordert worden, um unerkannt in den jüdischen Gotteshäusern Benzin auszuschütten.

Ein Bonner Kaufmann wirft mit Freunden die Synagogenfenster ein, damit sich die Flammen besser ausbreiten. Da beobachtet der 18-jährige Wilhelm Hirschfeld von der Rheinbrücke aus entsetzt den Brand und die vielen Menschen, die tatenlos zuschauen. Denn längst sind die Feuerwehrleute vom Polizeidezernenten angewiesen, nur die umliegenden Häuser zu schützen. Lichterloh werden die 1878 erbaute stattliche Synagoge und ihr Gemeindehaus Opfer der Flammen.

"Ich wusste gar nicht, um was es sich handelt", erinnerte sich später der Bonner Jude Hirschfeld, der sich noch nach England retten sollte. Was der 18-Jährige vor Ort nicht verstand, war Teil einer von langer Hand vorbereiteten, behördlich genehmigten Brandstiftung, die seit der Nacht des 9. November in ganz Deutschland die jüdischen Gotteshäuser und Geschäfte dem Erdboden gleichmachen sollte und verharmlosend Reichskristallnacht genannt wird.

Tatsächlich war der Pogrom, bei dem im heutigen Bonner Stadtgebiet alle fünf Synagogen, 28 Geschäfte und ein jüdischer Betsaal zerstört wurden, Auftakt zur vollständigen Entrechtung und Verfolgung der Juden, ja zum Holocaust.

In den Jahren zuvor hatte man die Juden schon so drangsaliert, dass die Jüngeren als Ausweg nur das Exil sahen. Von im Jahr 1933 noch 1268 Juden in der alten Stadt Bonn waren 1939 nur noch 512 geblieben. Als am 10. November 1938 ihre Synagogen am helllichten Tag brannten, da zog sich auch für sie die Schlinge um den Hals. Wie Wilhelm Hirschfeld wurden die jüdischen Männer sofort festgenommen. Wie der 18-Jährige landeten viele alsbald im Konzentrationslager.

Auf Lastautos herangekarrte Abgesandte Hitlers in schwarzen Uniformen hatten inzwischen auch die Türen der Poppelsdorfer Synagoge zertrümmert und das Mobiliar angezündet. Um 14 Uhr schrillten bei der Godesberger Feuerwehr die Alarmglocken. Der Dachstuhl des jüdischen Gotteshauses in der Oststraße brannte bald lichterloh, während wie durch Zauberhand die Nachbargebäude unversehrt blieben.

Auch die kleine Mehlemer Synagoge wurde Fraß der Flammen. In Beuel zündeten maßgeblich die örtlichen SA- und SS-Leute die Synagoge an, wie Astrid Mehmel und Sandra Seider in ihrer 2009 erschienenen Dokumentation zum Pogrom darstellen. "Die meisten Bonner bleiben unbeteiligt oder nehmen die Rolle des Zuschauers an", schreiben die Autorinnen wenig Schmeichelhaftes.

Nicht ohne auf löbliche Ausnahmen wie die Professorenfamilie Kahle zu verweisen, die in der Hölle des Pogroms den jüdischen Nachbarn zu helfen versuchte. Bekanntlich mussten die Kahles bald darauf selbst ihr Leben durch Flucht retten.

All das wird am Mittwoch und Donnerstag bei den Gedenkveranstaltungen Thema sein. Vielleicht aber auch, dass die Bonner jüdische Gemeinde 73 Jahre nach dem Novemberpogrom zumindest zahlenmäßig wieder Anschluss an die Zeit vor 1933 gewonnen hat: In der 1958 errichteten neuen Synagoge in der neuen Tempelstraße gehen dank des Zuzugs aus Osteuropa wieder an die 1000 Mitglieder ein und aus.

Gedenkveranstaltungen##ULIST##

Beuel: Mittwoch, 17.30 Uhr, Rathaus Beuel, Beginn des Schweigegangs; 18 Uhr, Beueler Synagogenplatz, Ansprache von Astrid Mehmel; 18.30 Uhr, Abschluss der Gedenkfeier im Jungen Theater, Hermannstraße 50.

  • Bad Godesberg: Mittwoch, 18 Uhr, Oststraße, Andacht an der Gedenktafel für die zerstörte Synagoge, gemeinsamer Gang zu "Stolpersteinen".
  • Bonn: Donnerstag, 18 Uhr, Opernfoyer, Am Boeselagerhof, szenische Lesung "Hiob" von Josef Roth, Schauspiel und Oper Bonn; 19.30 Uhr, Synagogen-Mahnmal, Erzberger-Ufer, Gedanken von OB Jürgen Nimptsch und Margaret Traub, Vorsitzende der Synagogengemeinde.
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