Ein Jahr nach dem Hochwasser des Mehlemer Bachs Die Angst vor einer neuen Flut

3. Juli 2011 - ein Jahr nach dem Hochwasser des Mehlemer Bachs: Nichts erinnert mehr an den Tag vor genau einem Jahr. Zumindest auf den ersten Blick. Alle materiellen Schäden sind bis auf Kleinigkeiten beseitigt. Die Angst aber ist geblieben.

Ein Jahr nach dem Hochwasser des Mehlemer Bachs: Die Angst vor einer neuen Flut
Foto: GA-Archiv

Mehlem. 3. Juli 2010, 16.05 Uhr: In der Villa oberhalb der Mündung des Mehlemer Bachs läuft der Fernseher. Soeben hat das WM-Halbfinalspiel Deutschland-Argentinien begonnen. Juliane Kirschbaums Gäste jubeln über das frühe 1:0. Die Gastgeberin selbst steht zitternd am Geländer der Uferpromenade. "Bei jedem weiteren Tor für Deutschland brach ein weiteres Stück Promenade weg", erinnert sie sich später. Im Mehlemer Ober- und Unterdorf ist zur gleichen Zeit Land unter. Hunderte kämpfen gegen die Flut.

3. Juli 2011: Nichts erinnert mehr an den Tag vor genau einem Jahr. Zumindest auf den ersten Blick. Alle materiellen Schäden sind bis auf Kleinigkeiten beseitigt. Die Angst aber ist geblieben.

Spätestens vor vier Wochen, als ein Wolkenbruch den Bach dramatisch ansteigen ließ und es wieder Spitz auf Knopf stand, wurde vielen Bewohnern klar, dass sie jetzt und in Zukunft mit der ständigen Sorge leben müssen, dass sich die Ereignisse jederzeit wiederholen können. Und nicht nur sie stellen sich bei jedem Gewitter die Frage aufs Neue: Was hat sich in der Zwischenzeit eigentlich getan, um eine erneute Flut zu verhindern oder zumindest einzudämmen?

Die Antwort: So gut wie nichts. "Wir sind auf einem guten Weg, aber ein effizienter Schutz muss gut vorbereitet sein", sagt der zuständige Abteilungsleiter im Bonner Tiefbauamt, Werner Baur. Nicht nur die Stadt Bonn, auch die Gemeinde Wachtberg, der Kreis und der Regierungspräsident in Köln müssen warten.

Denn hinter den Kulissen haben zahlreiche Köpfe doch geraucht. Die alles entscheidende Rezeptur, die über jeden weiteren Schritt entscheidet, wird seit Monaten im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Lengsdorf gebraut.

Hier entsteht mit Unterstützung einer Karlsruher Ingenieurgesellschaft die lang ersehnte Hochwassergefahrenkarte, die die Folgen so genannter Starkregenereignisse am Computer berechnen kann. Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen die dicht bebauten, hängigen Zuflussgebiete des Bachs, vor allem in Werthhoven, Berkum und Niederbachem.

Ein erstes Treffen zur Beurteilung der Zwischenergebnisse ist in zwei Wochen geplant, fertig sein soll das Simulationsmodell im Spätherbst. "Dann werden wir schnell handeln", erklärt Baur, und meint damit im Gleichklang mit vielen Fachleuten und Kommunalpolitikern, dass sich vor allem am Oberlauf des Bachs einiges ändern muss.

Die Schuldfrage stellt sich zwar nicht, aber seit Monaten ist aus Bonner Sicht klar, dass die Ursache für die Flut auf Wachtberger Terrain liegt. Am weitesten trauten sich die Grünen vor. Gemeindeübergreifend fordern sie, dass die Ausweisung von Neubaugebieten eingeschränkt werden soll, um weitere Flächenversiegelungen zu verhindern. Zudem sollen am Bachlauf mehrere Regen-Rückhalteflächen gebaut werden.

Eine Liste mit möglichen Arealen in Ober- und Niederbachem haben sie der Stadt Bonn und der Gemeinde Wachtberg zukommen lassen.

Die Grünen stehen nicht allein. Die Bad Godesberger Bezirksvertretung ist mehrheitlich ebenfalls der Auffassung, dass sich das Hauptaugenmerk eines effektiven Hochwasserschutzes auf den Zufluss des Wassers richten muss, und nicht auf die Engpässe am unteren Bachlauf.

Werner Baur ergänzt: "Auf Bonner Stadtgebiet gibt es momentan keinen Handlungsbedarf." Das heißt: Alles schaut in Richtung Wachtberg.

Zahlen, Daten und Fakten##ULIST##

Niederschlagsmenge: Am 3. Juli 2010 sind in Mehlem rund 50 Liter pro Quadratmeter Regen gefallen. In Wachtberg waren es bis zu 135 Liter. Das entspricht mehr als 65 Tonnen Wasser auf einem Grundstück von etwa 500 Quadratmetern Größe. Eine derartige Niederschlagsmenge ist in Bonn seit Beginn der Aufzeichnungen nie gemessen worden.

  • Der Pegel: Innerhalb weniger Minuten schwoll das kleine Quellrinnsal Mehlemer Bach zu einem Fluss an, der auf seinem Weg zur Mündung von plätschernden 20 Zentimeter Höhe auf eine drei Meter hohe Sturzflutwelle anstieg. Das hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) errechnet.
  • Kanalkapazitäten: 35 Kubikmeter Wasser pro Sekunde schossen nach Messungen des Landesamts für Umwelt, Natur- und Verbraucherschutz im Mehlemer Bach Richtung Rhein. Vor allen Engpässen staute es sich, unter anderem vor dem Kanal an der Domhof- und der Mainzer Straße. Ausgelegt sind die Rohre in Mehlem auf 22, verkraftet haben sie an diesem Tag 28 Kubikmeter pro Sekunde. Die überschüssigen Wasser- und Schlammmassen ergossen sich durchs Ortszentrum.
  • Schäden: Genaue Angaben gibt es nicht. Fest steht, dass die Schäden an Privathäusern in Wachtberg und Mehlem in die Millionen gehen. Das meiste mussten die Geschädigten selbst zahlen, da viele nicht gegen Elementarschäden versichert waren. Die Stadt Bonn musste eine halbe Million Euro für die Reparatur der Bachmündung und der weggerissenen Uferpromenade zahlen.
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort