Bonner Tafel: Kinder und Alte werden bevorzugt

Der streitbare Soziologe Stefan Selke nennt die "Tafeln" einen "schein-selbstverständlichen Pannendienst der Gesellschaft" und vergleicht sie mit dem ADAC.

Bonner Tafel: Kinder und Alte werden bevorzugt
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Bonn. Der streitbare Soziologe Stefan Selke nennt die "Tafeln" einen "schein-selbstverständlichen Pannendienst der Gesellschaft" und vergleicht sie mit dem ADAC. Während der Bundesverband der Tafeln empört reagierte und diesen Vorwurf zurückwies, will sich Edith Trittler, Vorsitzende der Bonner Tafel, dazu gar nicht näher äußern: "Wir beteiligen uns nicht an solchen politischen Diskussionen. Wir lassen uns auch von niemanden instrumentalisieren."

Jede Woche verteilen Trittler und 70 zumeist ehrenamtliche Mitarbeiter an rund 3 600 Bedürftige in Bonn zehn bis 15 Tonnen Lebensmittel, "die ansonsten weggeworfen würden". Und genau das sei der Ansatz der Bonner Tafel: "Wir wollen den Überfluss an die verteilen, die es nötig haben, und nichts wegwerfen", sagt die Vorsitzende. Vorwürfe wie den des Soziologen Selke, die Tafeln verfestigten Armut, lassen Trittler und Vorstandsmitglied Marie-Luise Tepper nicht gelten. "Es gibt Bedürftigkeit in Bonn - auch wenn niemand verhungern würde, wenn es uns nicht gäbe."

Und wer in welchem Umfang bedürftig ist, das prüfen die Tafel- Mitarbeiter mittlerweile sehr genau. Zwar hätten die Anfragen mit Inkrafttreten von Hartz IV 2005 sehr zugenommen, doch längst nicht jeder Hartz-IV-Empfänger bekomme Lebensmittel bei der Bonner Tafel: "In erster Linie erhalten alte, kranke und behinderte Bedürftige Lebensmittel", so Tepper.

LebensmittelspendenDie Bonner Tafel bekommt unter anderem Lebensmittel vom Centralmarkt Roisdorf, von Aldi und neuerdings auch von Galeria Kaufhof. Es handelt sich jeweils um Lebensmittel, die kurz vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums sind

95 Prozent von ihnen seien Russlanddeutsche. Zwar könnten sie alle ihre Bedürftigkeit nachweisen, dennoch finden es Trittler und Tepper "schade, dass die Hemmschwelle bei den armen, alten Bonnern, zur Tafel zu gehen, immer noch relativ hoch ist". Dabei sei die Zahl dieser Bedürftigen in Bonn hoch.

Anderen können und wollen die Tafel-Mitarbeiter nicht helfen: Zum Beispiel jungen Hartz-IV-Empfängern oder Familienvätern, "die erkennbar keine große Lust haben, arbeiten zu gehen". Auch bei manchen Alleinerziehenden stellen sie "hohe Ansprüche" fest.

Deswegen verteilt sie seit drei Jahren verstärkt Lebensmittel in Kindergärten, Schulen und Jugendzentren, zurzeit in 28 Einrichtungen. Gerade in sozialen Brennpunkten hätten Kinder morgens kein Frühstück, "nicht selten, weil die arbeitslosen Eltern noch schlafen". Von ihnen sei leider auch nicht zu erwarten, dass sie für das Frühstück in der Kita zahlten.

"Leidtragende sind letztlich die Kinder", so Tepper. "Wenn wir Obst und Gemüse in den Einrichtungen verteilen, kommt ihnen das direkt zugute." Mit gemischten Gefühlen sehen sie, dass damit die Eltern ihre Verantwortung abwälzten. Aber was solle man machen, wenn manche Eltern das Geld lieber verrauchten? "Diese Leute bräuchten ein Finanztraining, um mit ihrem Geld besser zu wirtschaften", so Trittler.

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