Eine zweite Heimat in Vilich-Müldorf Syrer singen mit deutlich rheinischer Färbung

Vilich-Müldorf · Die syrische Familie Jammoul-Alshumari hat eine zweite Heimat in Vilich-Müldorf gefunden. Ein ganzes Dorf hat ihnen sozusagen ein neues Zuhause gegeben.

 Fast ein Familienfoto: Peter Kunze (von links) mit Tarek, Amrh und Omayma Jammoul-Alshumari.

Fast ein Familienfoto: Peter Kunze (von links) mit Tarek, Amrh und Omayma Jammoul-Alshumari.

Foto: Stefan Hermes

Die Detonation der Bombe ließ auch das Haus der syrischen Familie Jammoul-Alshumari erzittern. Später erfuhr Omayma (39), dass die Explosion genau an der Stelle stattfand, wo wenige Minuten zuvor noch der Schulbus mit ihrer Tochter Farah (13) vorbeifuhr. Schon seit Beginn des Krieges in Syrien hatten die Brüder ihres Mannes Tarek (52), die schon seit Anfang der 1980er Jahre in Müldorf heimisch geworden sind, Wael und Basel, darauf gedrängt, dass sich auch Tarek mit seiner inzwischen fünfköpfigen Familie in das sichere Deutschland begibt.

Doch Tarek hatte als studierter Anglist und kenntnisreicher Reiseführer durch die Kultstätten Syriens („Ich kenne jeden Stein in Syrien“) immer noch daran geglaubt, dass es eines Tages besser werden könnte. Doch dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Stattdessen kamen die Bomben an ihrem Wohnort Damaskus immer näher. Die Familie brachte sich in Suwaede im Süden des Landes, der Stadt ihrer Eltern, in Sicherheit. Doch auch dorthin zog die Angst mit. Der Terror des Islamischen Staats (IS) bedrohte bald auch ihren Zufluchtsort.

„Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schön es ist, dass die Kinder hier mit dem Fahrrad einfach auf die Straße können“, sagt Tarek in nahezu akzentfreiem Deutsch. Er ist glücklich, dem Drängen seiner Brüder nachgegeben zu haben und seine Familie nun in Sicherheit zu wissen. Seit 2015 sind Tarek und Omayma mit ihren Kindern Farah (13), Amrh (10) und Shad (8) in Müldorf. Sie sind nicht als Flüchtlinge gekommen, sondern mit Visum eingereist. Bruder Wael hat die Familienzusammenführung beantragt und für die Familie seines jüngsten Bruders gebürgt. Damit waren die ersten zwei Jahre in Deutschland gesichert. Inzwischen sind daraus weitere drei Jahre geworden. So wie es aussieht, sollte es auch keine Probleme bereiten, dass die Familie länger in Deutschland bleibt.

Farah spricht perfekt Deutsch

„Auf jeden Fall bis wir alle Abitur haben“, mischt sich Farah vehement in das Gespräch ein. Sie spricht inzwischen perfekt Deutsch. Im Sankt Adelheidis-Gymnasium in Pützchen glaubt sie die einzige Ausländerin zu sein. Doch man sieht und hört es ihr nicht an. „Sie ist eine sehr gute Schülerin“, freut sich ihre Mutter. Auch die gelernte Bankkauffrau spricht schon gut Deutsch, versteht alles. Das sei die Voraussetzung, um bald wieder in ihrem Beruf arbeiten zu können, meint sie. So, wie auch ihr Mann beruflich wieder Fuß gefasst hat. Die Zeit als Mini-Jobberin in der Kautex-Kantine sieht sie als vorübergehend an. Jetzt ist sie vor allem für ihre Kinder da. Und für Peter Kunze.

„Ich bin der Meinung, dass der extremen Seite in Deutschland viel zu viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. Vielmehr sollte man den meist aus Bescheidenheit nicht an die Öffentlichkeit kommenden Taten unzählig vieler Leute mehr Beachtung schenken“, sagt Kunze, den in Vilich-Müldorf alle als „Bauer Dopfer“ kennen. „Ich bin Hobbybauer mit Leib und Seele“, sagt der ehemalige Vertriebsleiter der Kautex-Werke von sich. Er lernte die Familie Jammoul vor zwei Jahre auf seiner Geistervertreibung kennen. In den Walpurgisnächten zieht er mit den Müldorfer Pänz durch die nächtlichen Straßen, bleibt alle zehn Minuten stehen und die ganze Mannschaft schreit mit großem Vergnügen aus Leibeskräften.

„Ein Riesengaudi für die Kinder“, sagt Kunze. Auch für die Kinder der Jammouls. Omayma fragte Kunze, ob sie ab und zu mit ihren Kindern zu seinen Tieren kommen könnte. Daraus entstand eine Regelmäßigkeit. Man striegelte das Gnadenpferd, mistete aus, sammelte Eier ein („Bei mir ist jeden Tag Ostern“) und half aus, wo man konnte. Daraus entstand eine Freundschaft. Jammouls zogen aus der kleinen Wohnung des Bruders aus und fanden bei den Eheleuten Schmitz eine familiengerechte Wohnung, die man ihnen trotz vieler anderer Bewerber gab. Inklusive aller Möbel. Und nun könnte die Liste der Hilfsbereitschaft sehr lang werden. Peter Kunze hat alles festgehalten: Omayma wurde herzlich in der Gymnastikgruppe des Dorfes aufgenommen. Frau Zimmer sammelte für Deutschkurse und Christine Röttger gab kostenlosen Musikunterricht für die Kinder der syrischen Familie, der die Hilfsbereitschaft der Müldorfer die Heimatferne erträglicher machte.

Spenden für Führerschein

Kunze erzählte seinem damaligen Chef von der Familie und Reinhold Hagen spendete die Kosten eines für Tarek notwendigen Führerscheins in Höhe von bald 2000 Euro. Die japanische Diplomatenfamilie Yamamouto schenkte den Jammouls wertvollen Hausrat bis hin zum Fernseher, als sie Deutschland gen Japan verließen. Die Liste der Helfenden ist lang. Seit einem Monat wohnen die Jammouls bei Kunze. Jetzt haben sie das Gefühl, wirklich angekommen zu sein. „Wir sind hier eine Familie“, sagt Kunze und sagen die Jammouls. Es war die Unterstützung vieler, die ihnen ihren Heimatverlust erträglicher machte.

Einmal sah Omayma in der Kirche, wie sich über 80-jährige Helfer selbstlos um Flüchtlinge kümmerten. Die Tränen, die sie bewegt weinte, trocknete Kunze. Er erinnert die Syrerin an ihren eigenen Vater. Ihre Kinder nennen den Bauern Dopfer schon Opa. Kunze hört das gerne und sagt: „Wir sind wie ein Puzzle: Wir ergänzen uns gegenseitig da, wo es uns fehlt.“ So verwundert es auch nicht, dass seine syrischen Mieter beim herbstlichen Loss-mer-singe-Abend mit bereits deutlich rheinischer Färbung singen „Wenn am Himmel die Stääne danze un d´r Dom sing Glocke spillt, jo dann weiß ich dat ich doheim bin, jo doheim bin he am Ring“. Die Bedeutung des Liedes hat Kunze Omayma erklärt. „Ich mag das Lied sehr“, sagt sie und lässt dabei den Eindruck entstehen, dass die Heimat der Müldorfer auch die ihrer Familie werden könnte.

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