Interview mit Sally Perel "Ich war Hitlerjunge Salomon"

Beuel · Beinahe ein bisschen verloren wirkt der kleine Mann hinter dem großen Tisch mit dem Mikrofon. Es ist mucksmäuschenstill im Speisesaal des Ernst-Kalkuhl-Gymnasiums. Sally Perel ist ein brillanter Erzähler, und die Schüler hängen förmlich an seinen Lippen.

 Selfie mit dem Zeitzeugen: Der 90-jährige Sally Perel hat keine Berührungsängste.

Selfie mit dem Zeitzeugen: Der 90-jährige Sally Perel hat keine Berührungsängste.

Foto: Leif Kubik

"Es ist eine Frechheit zu behaupten, Au-schwitz sei eine Lüge", sagt er leise, aber bestimmt, nachdem er von seinem Besuch der Gedenkstätte erzählt hatte. Der 90-Jährige ist derzeit wieder auf einer Informationsreise durch Europa und machte jetzt am Kalkuhl Station, wo er seine Geschichte erzählte und sich anschließend den Fragen der Schüler stellte. Leif Kubik sprach mit dem Zeitzeugen.

Was war Ihr Beweggrund, das Buch zu schreiben?
Sally Perel: Ich hoffe, meine Geschichte enthält einige Aspekte, die insbesondere für Jugendliche lehrreich sind. Ich trage ja seit meiner Zeit als Hitlerjunge einen inneren Konflikt aus. Irgendwie schlugen immer zwei Herzen in meiner Brust: Auf der einen Seite meine jüdischen Wurzeln, auf der anderen wurde ich zum Hassen und Töten erzogen: Gerade weil mir als Jugendlicher noch die Fähigkeit fehlte, das Erlernte kritisch zu reflektieren, begann ich tatsächlich, mich mit der Nazi-Ideologie zu identifizieren.

Was ist ihre wichtigste Botschaft an die Schüler?
Perel: Sie sollen lernen, selbstständig und kritisch zu denken. Das ist die wichtigste Botschaft, die ich an die junge Generation weitergeben möchte. Seid keine Roboter! Kritisch denken heißt, sich ständig zu fragen, ob etwas wirklich so sein muss: Egal ob es dabei um die Nazi-Ideologie geht oder heutzutage um andere politische Entwicklungen.

Das Interesse, auf das Sie hier stoßen, scheint sehr groß zu sein: Denken Sie, dass das auch etwas mit dem Erstarken rechtsradikaler Bewegungen wie Pegida oder der Flüchtlingskrise zu tun hat?
Perel: Ich glaube, in erster Linie wollen die Schüler meine Geschichte hören. Die hat vielleicht auch einige Aspekte, die man auf die aktuelle Situation übertragen kann. Ob das Interesse deshalb aber größer ist, weiß ich nicht. Ich sehe mich als Gast hier in Deutschland und will keine schlauen Ratschläge geben. Ich meine aber, wenn Jugendliche kritisch denken, sind sie wesentlich resistenter gegen menschenverachtende Ideologien.

Sind Sie gerne in Deutschland?
Perel: Ich wurde 1925 in Peine geboren und hatte bis zur Machtübernahme Hitlers eine sehr glückliche Kindheit. Das änderte sich erst, als unsere Familie nach Polen flüchtete. Ich habe deshalb meine Muttersprache auch in Israel immer gepflegt und komme immer wieder gerne her. Und wenn ich das überwältigende Interesse der Schüler sehe, geht mir das Herz auf; die behandeln mich ja fast wie einen Popstar.

Zur politischen Lage im nahen Osten haben Sie auch Stellung bezogen?
Perel: Ich finde es gut, dass sich die deutsche Jugend auch mit der Situation im Nahen Osten ausein-andersetzt. Meine Position dazu ist klar: Eine Lösung gibt es nur, wenn beide Seiten etwas aufgeben. Das heißt, Jerusalem muss wieder geteilt und der Osten der Stadt muss zur Hauptstadt Palästinas werden. Und auch die Siedlungen müssen geräumt werden.

Wie lange wollen Sie solche Informationsreisen unternehmen?
Perel: Ich bin aktuell ja vier Wochen lang in Österreich und Deutschland unterwegs. Das macht mir so unglaublich viel Spaß, dass ich solche Reisen so lange machen werde, wie es mir gesundheitlich möglich ist. Es erfüllt mich auch mit einer gewissen Genugtuung, dass ich mit meinen 90 Jahren noch nützlich sein kann.

Zur Person

Sally Perel lebt heute in Israel und unternimmt trotz seines hohen Alters von 90 Jahren noch immer Informationsreisen durch Europa. Er war gerade 14 Jahre alt, als seine Eltern ihn notgedrungen auf die Flucht nach Osten schicken. Als er im Juni 1941 gegenüber einem Soldaten der Wehrmacht behauptet, ein Volksdeutscher ohne Papiere zu sein, wird er nach einem Jahr an der Ostfront zum Hitlerjungen der HJ-Schule in Braunschweig. Er überlebt als Jupp Perjell in der Uniform seiner Feinde.

Erst 40 Jahre später bricht er sein Schweigen und gibt in seinem Buch "Ich war Hitlerjunge Salomon" seine doppelte Identität preis.

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