Stadtspaziergang Erst weiße Wäsche, dann Fabrikschlote

BEUEL · Auf den Spuren der Beueler Industriegeschichte geht es von der ehemaligen Jutefabrik zum Rheinufer. Beuel war einst die Waschküche des Rheinlands. Berühmt war auch der „Beueler Duft“ der frisch gewaschenen Wäsche, die auf den Wiesen am Rheiufer zum Trocknen und Bleichen ausgebreitet war.

Mit der Industrialisierung wurde Beuel zum Industriestandort. „Die Städte siedelten ihre Industrie immer im Osten an, wegen der Schornsteine“, erklärt Hartmut Reim, der als Mitglied des Beueler Heimat- und Geschichtsvereins (HGV) Besucher durch die Ausstellung des Heimatmuseums führt. Die Gewerbesteuer sei in Beuel sehr niedrig gewesen, das Land preiswert.

So entwickelte sich Beuel im 19. Jahrhundert zu einem der bedeutendsten Industriestandorte des Rheinlands. Viele der historischen Fabrikgebäude werden inzwischen anders genutzt oder sind abgerissen. Die Quelle für die folgenden Erläuterungen ist die Veröffentlichung „Denkmalpfade“ des HGV. Startpunkt für den Stadtspaziergang ist die Schauspielhalle Beuel in der Siegburger Straße 42; Anreise am besten mit Bussen der Linien 603, 608 und 609 (Richtung Gielgen), die vom Bonner Hauptbahnhof aus 13 Minuten brauchen.

Jutefabrik/Schauspielhalle Beuel:

Mehr als 1000 Arbeiter waren zur Blütezeit bei der „Vereinigten Jutespinnerei und Weberei AG“ beschäftigt. Das Werk wurde 1868 gegründet und verarbeitete als erste Fabrik in Deutschland die angelieferte Jute von der Rohfaser bis zum fertigen Gewebe. Zur Geschichte gehören Konkurs und Rohstoffknappheit ebenso wie die Ausbeutung von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs.

Nach dem Krieg wurden in den Hallen bis zur Schließung 1980 Bodenbeläge hergestellt. Das Theater Bonn nutzt das Gelände heute als Probenbühne und Spielstätte. Erhalten sind Backsteingebäude und ein Kesselhaus mit Kamin.

Arbeitshäuser:

Von der Jutespinnerei geht es über die Siegburger Straße zur Paulusstraße und zur Josef-Thiebes- Straße. Mit steigendem Bedarf an Arbeitern mussten auch Wohnungen geschaffen werden. Die schlichten Häuserwurden1898/99 errichtet. Jedes bot vier Wohnungen mit rund 22 Quadratmetern Fläche, Toiletten wurden erst 1937 angebaut.

Ledige Arbeiterinnen und Arbeiter wurden in einem Wohnhausmit Kantine an der Paulusstraße 17 untergebracht. Sie waren streng nach Geschlechtern getrennt, auch in den Speisesälen. Die einstige Arbeitersiedlung zählt zu den besterhaltenen in Bonn – heute mit mehr Komfort und veränderten Grundrissen.

Villa Marquardt:

Von der Kreuzung Königswinterer Straße aus erreicht man die Marquardtstraße. Hier steht, zugemauert und mit Graffiti besprüht, eine Direktorenvilla der Chemischen Fabrik Marquardt, deren Gebäude zum großen Teil abgerissen sind. 1846 gründete Apotheker Ludwig Marquardt sein Unternehmen am Bonner Talweg.

Weil er dort nicht expandieren konnte, zog er nach Beuel um. Sein Backpulver-Rezept gab Marquardt an den Bielefelder Apotheker August Oetker weiter, dessen Weltkonzern heute in jedem Supermarktregal vertreten ist. Das Werk Marquardt ging 1936 an die Degussa; 1998 wurde es stillgelegt. Weil viele Produktionsräume mit Schwermetallen kontaminiert waren, konnten sie nicht weiter genutzt werden.

Tapetenfabrik:

1893 zog Tapetenhändler August Schleu in die ehemalige Teppichfabrik an der Auguststraße ein. Tapeten wurden hier zunächst noch aufwendig per Hand gedruckt, ab 1895 ging dann alles maschinell. Nur zehn Jahre später produzierten 350 Arbeiter täglich bis zu 120 000 Rollen Tapeten. 1980 wurde der Betrieb als Folge zunehmender Absatzschwierigkeiten geschlossen. Noch heute prägt die neugotische Putzfassade mit Backsteingliederung die Auguststraße.

Auch ein Blick in den Innenhof mit Sportfabrik und Klavierhaus Klavins (Foto) lohnt sich. Über der Zufahrt ist das ehemalige Pförtnerhaus mit Fachwerkgiebel erhalten. Auf dem gesamten Areal haben sich inzwischen Unternehmen und Handwerksbetriebe angesiedelt. Gegenüber vom neuen Eingangsbereich aus den 1950er Jahren steht das Kunstwerk „Wegzeichen“, das aus einem aufgeschnittenen Farbsilo und Leitungsrohren besteht.

Wer sich die Arbeiterhäuser Auguststraße 17 und 19 genauer anschaut, sieht besonders bei Sonnenlicht die Fassade farbig glitzern. In die Zementsteinfassade wurden bunte Glassplitter eingearbeitet, eine Technik, die laut Heimatverein im Bonner Raum fast einmalig ist.

Versöhnungskirche:

Die Industrialisierung wird auch an einer Kirche sichtbar. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siedelten sich mit den neuen Unternehmen nämlich auch zahlreiche evangelische Familien in Beuel an. Zentrum des geistlichen Lebens war zunächst das Privathaus von Ottilie Sanders.

1894 wurde die evangelische Versöhnungskirche an der Neustraße 2 errichtet. Wer aus Richtung Obere Wilhelmstraße kommt, sieht links den weiß gestrichenen Backsteinbau. Wer nach rechts einen Abstecher in die Kreuzstraße macht, kann einen Blick in den Hof der ehemaligen Großbäckerei werfen. Die Brotfabrik besticht allerdings weniger durch die Architektur als durch das Kulturzentrum mit Kino und Theater, das sie beherbergt.

Bürgermeisterhaus:

Die heutige Friedrich-Breuer- Straße entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Hauptgeschäftsstraße. Sie ist nach Bürgermeister Friedrich Breuer benannt, der 1902 neben dem damaligen Rathaus sein reich verziertes Wohnhaus im neugotischen Stil errichten ließ.

Gleich gegenüber lohnt sich auch ein Blick ins Schaufenster der Hirsch-Apotheke mit der Hausnummer 44. In der ältesten Beueler Apotheke kann man noch die historische Einrichtung sehen, weitere Exponate zeigt das Heimatmuseum.

Heimatmuseum und ehemaliges Waschhaus:

Wer sich über die Beueler Wirtschaftsgeschichte informieren möchte, ist im Heimatmuseum, Wagnergasse 2, richtig. Geöffnet ist mittwochs, samstags und sonntags von 15 bis 18 Uhr. Schon draußen vor dem Haus begrüßt eine Wäscherin die Gäste (Foto). Drinnen kann man Originalteile wie Druckwalzen aus der Rheinischen Tapetenfabrik sehen, außerdem Fotos und historische Rechnungen.

Das rot-weiße Firmenzeichen der Dachpappe-Fabrik A.W. Andernach ist inzwischen auch Geschichte: Es steht unter einem Dach im Garten des Museums und ist von außen zu besichtigen, ebenso wie eine Maschine aus der Produktion. Wie behutsamer Denkmalschutz funktioniert, kann man ein Stück weiter hinter dem Haus Hermannstraße 61 sehen – mit Rücksicht auf die private Nutzung mit Abstand und von außen.

Laut Heimatverein ist hier eines der wenigen baulichen Zeugnisse des florierenden Wäschereigewerbes erhalten. Das ehemalige Waschhaus im Hof ist an den schlitzförmigen Öffnungen zu erkennen, über die der Trockenboden belüftet wurde.

Nepomuk und Brückenweibchen:

Durch die Johannesstraße geht es zum Rheinufer und damit zu den Anfängen der Beuel Wirtschaft. Die Nepomuk-Statue weist auf den Schiffer-Verein hin, 1862 als Notgemeinschaft der Schiffer und Fischer gegründet. Das Brückenweibchen hängt etwas weiter, verbunden mit der Weisheit:„ Die Welt ist ein Laken, dass selbst die Beueler nicht waschen können.“

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